Die Strafverfolgerin legte dem Amtsgericht Stuttgart, das den Durchsuchungsbeschluss erließ, präzise dar, wie sie mit ihren Kollegen auf den Tatverdacht gekommen ist. Der Bericht einer Untersuchungskommission Abgas des Bundesverkehrsministeriums sei wichtig gewesen. Aus den Akten des Kraftfahrtbundesamtes habe man viel gelernt. Und natürlich aus den Verfahren bei Volkswagen, wo vor knapp zwei Jahren die Abgasaffäre begann. Bedeutsam sind zudem Unterlagen, die Daimler dem US-Justizministerium übergeben hatte; und der Staatsanwaltschaft Stuttgart, bevor diese zur Durchsuchung schritt.
"Bei uns wird nicht betrogen, bei uns wurden keine Abgaswerte manipuliert", hat Konzernchef Dieter Zetsche Anfang 2016 mit Blick auf den Volkswagen-Fall behauptet. Später hat er hinzugefügt, dass es "große Spielräume in der Gesetzgebung" gegeben habe, und die habe man nutzen müssen. Sonst könne man "Untreue zuungunsten der Shareholder begehen". Soll heißen: Weil alle anderen getrickst haben, musste auch Daimler tricksen. Aber waren das wirklich nur Tricks? Oder wurde vielmehr manipuliert?
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart glaubt an Manipulation, weil vieles sehr verdächtig sei. Mails, Vermerke und so weiter. So hatte einer der beiden Beschuldigten bereits 2008 notiert, da Daimler ein schwäbisches Unternehmen sei, wolle man auch bei der Dosierstrategie für die Harnstoff-Wasser-Lösung diese Tugenden einführen. Also sparsam sein und nicht mehr verbrauchen als unbedingt nötig.
Schwäbische Tugenden bei der Abgasreinigung anzuwenden, das ist aus Sicht der Staatsanwaltschaft das falsche Rezept gewesen. Die Ermittler rechnen vor, dass auf dem Prüfstand 95 bis 99 Prozent der Stickoxide herausgefiltert worden seien; auf der Straße aber nur 35 bis 85 Prozent. Betroffen seien die beiden Motorreihen OM 642 und OM 651. Die sollen in mehr als einer Million Daimler-Fahrzeugen verbaut sein. Genaue Zahlen nennt der Konzern nicht; auch nicht, welche Modelle mit den Motoren ausgestattet seien. Man kooperiere mit der Staatsanwaltschaft, diese sei der Ansprechpartner. Deswegen könne man, sagt ein Daimler-Sprecher, keine Angaben machen.
Doch Autoexperten wissen: Die Motoren wurden in fast alle Mercedes-Typen eingebaut, unter anderem in die der C-, E- und R-Klasse. Sicher ist, dass ein großer Teil der 247 000 Fahrzeuge, die Daimler auf Druck von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt nachbessert, nicht die Motoren OM 642 und OM 651 enthalten. Jetzt könnte also bei vielen weiteren Autos ein Werkstattbesuch nötig werden. Aber bei wie vielen? Bei allen Modellen mit OM 642 und OM 651? Oder nur bei einigen, weil diese Motoren je nach Modell unterschiedlich ausfallen? Daimler wird sich nicht ewig um Antworten drücken können.
Ob der Fall Daimler einmal so etwas wie Volkswagen 2.0 werden könne, hat ein Aktionär vor Monaten bei der Hauptversammlung gefragt. Die Antwort kennt nicht einmal die Staatsanwaltschaft Stuttgart.