VW-Abgasskandal:Drei Millionen Euro fürs Schweigen

Volkswagen AG Automobiles Stockpiled Ahead Of Emissions Testing

VW-Tarifangestellte haben derzeit nichts zu befürchten, falls sie in den Dieselskandal verstrickt gewesen sein sollten. Dennoch ist die Unruhe in der Belegschaft groß.

(Foto: Bloomberg)
  • Volkswagen zieht zunehmend Konsequenzen aus dem Abgas-Skandal. "Wir handeln ohne Rücksicht auf Hierarchien", sagt der Personalvorstand.
  • Arbeitsrechtliche Konsequenzen gibt es bislang kaum. Jedoch sollen Dutzende Anstellungsverhältnisse überprüft werden, es drohen Kündigungen.
  • Der Fall eines bereits entlassenen Audi-Motorenentwicklers zeigt: Das harte Vorgehen ist nicht ohne Risiko.

Von Max Hägler und Klaus Ott

Es ist eine ungewöhnliche Meldung im Volkswagen-Intranet. Wo sonst über neue Wagen informiert wird, lesen die Mitarbeiter seit Mittwoch: "Volkswagen zieht personelle Konsequenz aus der Dieselkrise". Gegen mehrere "Volkswagen-Manager" habe man wegen schwerer Verfehlungen arbeitsrechtliche Maßnahmen eingeleitet, heißt es in der Nachricht, die nur Mitarbeitern zugänglich ist und bestätigt, was schon kursierte. Betroffen seien Mitarbeiter, die in den Dieselskandal in den USA verstrickt sind.

"Wir haben immer gesagt, dass wir die Aufklärung konsequent vorantreiben", lässt sich Hiltrud Werner, Vorstand für Integrität und Recht, zitieren. Das klingt nach klarem Ablauf. Und doch ist das Auftreten nun eine Änderung in der Strategie.

Zwar wurde seit dem Auffliegen des Dieselskandals eine zweistellige Zahl an Mitarbeitern der Marken Audi, VW und Porsche beurlaubt. Aber gegen die wenigsten wurden bislang arbeitsrechtliche Konsequenzen ergriffen, von einigen Ausnahmen abgesehen, wie dem in den USA wegen Dieselbetrugs verurteilten VW-Manager Oliver S. Jetzt allerdings sollen dem Vernehmen nach mehrere Dutzend weitere Anstellungsverhältnisse überprüft werden, bis hin zur Kündigung. Der frühere VW-Vorstandschef Martin Winterkorn ist übrigens nicht darunter. Über sein Schicksal will das Unternehmen erst entscheiden, nachdem alle Strafverfahren beendet sind.

Weil der Kreis der Betroffenen ansonsten jedoch nicht ganz klar ist, ist die Unruhe in der Belegschaft groß. Und so erklärt Personalvorstand Gunnar Kilian im Intranet einerseits: "Wir handeln ohne Rücksicht auf Hierarchien." Zugleich beteuert er, dass "die derzeitigen Maßnahmen" ausschließlich Manager beträfen. Tarifmitarbeiter, die im Rahmen eines unternehmensinternen Amnestieprogrammes zur Aufklärung beigetragen hätten, würden nicht gekündigt.

Wie sehr der Konzern die Strategie im Umgang mit verstrickten Managern nun zu ändern scheint, zeigt der Fall Ulrich Weiß, ehedem Chef der Dieselmotorenentwicklung bei Audi. Die Volkswagen-Tochter aus Ingolstadt hatte Weiß fristlos gekündigt, unter anderem mit den Vorwürfen, er habe bei der Aufklärung der Dieselmanipulationen unwahre Angaben gemacht und Unterlagen vernichtet. Weiß wehrte sich dagegen vor dem Arbeitsgericht Heilbronn - und verlangte sechs Millionen Euro Abfindung. Das müsse, hatte Audi wiederum bei Gericht vorgetragen, als "zwielichtiges Angebot für ein Schweigegeld" verstanden werden.

Und doch gibt es jetzt eine Menge Geld für Weiß. Der Diesel-Experte bekommt nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR von seinem ehemaligen Arbeitgeber nach und nach mehr als drei Millionen Euro. Darauf haben sich Audi und Weiß bereits im vergangenen Jahr verständigt, dies aber geheim gehalten.

Kein Detail soll nach draußen dringen

Auch jetzt äußern sich die einstigen Widersacher nicht. Kein Detail soll nach draußen dringen über die Einigung, von der beide profitieren. Die VW-Tochter kommt darum herum, dass bei Gericht schmutzige Wäsche gewaschen wird. Dass dort Vorgänge zur Sprache kommen, die Aktionäre wie auch Käufer von manipulierten Autos für Schadenersatzprozesse gegen den Konzern nutzen könnten. Der gefeuerte Diesel-Manager hatte ja schwere Vorwürfe gegen den inzwischen beurlaubten Audi-Chef Rupert Stadler erhoben, der jetzt in Untersuchungshaft sitzt, aber seine Unschuld beteuert. Auch Weiß widerspricht allen Vorwürfen; die Lösung jetzt erspart ihm Ärger.

Kann man das nun als Schweigegeld betrachten? Ja und Nein. Ja, weil der gefeuerte Diesel-Manager sich öffentlich nicht äußern darf. Nein, weil Weiß per Vertrag verpflichtet ist, an der Aufklärung der Affäre mitzuwirken und sein Wissen sowohl bei Audi wie auch bei den Behörden preiszugeben. Das hat der Dieselmotorenentwickler bereits getan; mit mehreren Zeugenaussagen bei der im Fall Audi ermittelnden Staatsanwaltschaft München II und einem dort übergebenen USB-Stick. Darauf sind Protokolle und Mails gespeichert, die Aufschluss geben über das trübe Treiben bei Audi.

Warum aber hat Audi, angesichts der heftigen Vorwürfe gegen Weiß, den Prozess beim Arbeitsgericht nicht einfach durchgezogen? Bei der Konzernmutter Volkswagen in Wolfsburg heißt es, die Tochter sei mit dem Rauswurf des Technikers zu früh dran gewesen. Anders als bei den jetzt vor der Kündigung stehenden Managern hätten bei Weiß noch keine staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsergebnisse vorgelegen. Ohne diese Ergebnisse sei es schwer, bei Gericht die Verwicklung von Mitarbeitern in die Affäre nachzuweisen. Die Millionenzahlungen an Weiß und andere bei Audi sollten verhindern, dass mutmaßliche Mitwisser der Manipulationen bei der Justiz obsiegten - und im Zweifel sogar an ihre Arbeitsplätze zurückkehrten.

Der VW-Chefjurist hat sich bereits von der Kündigungsstrategie bei Audi distanziert

Chefjurist Manfred Döss hat sich von dieser Kündigungsstrategie bei der Konzerntochter Audi übrigens vor mehr als einem Jahr distanziert. Im April 2017 führte er bei der Braunschweiger Staatsanwaltschaft als Zeuge aus, so werde das bei VW mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht laufen. Es sei unklug, solcherlei öffentlich auszutragen. Zudem müsse VW im Gegensatz zur Tochter Audi alle Maßnahmen mit der US-Justiz abstimmen. Das US-Justizministerium habe VW angehalten, zunächst nicht arbeitsrechtlich gegen die betroffenen Beschäftigten vorzugehen, um diese als Zeugen zu erhalten, so Döss. Gemeint war, dass der Konzern Mitarbeiter besser befragen könne, solange sie angestellt seien. Das mögliche Risiko im Falle eines Verstoßes gegen Vereinbarungen mit der US-Justiz liege bei etwa 63 Milliarden Euro. Döss fügte hinzu, er wolle nicht der Chefjustiziar von Volkswagen sein, der das Unternehmen in die Insolvenz manövriere.

Nun ist die Lage eine andere. Der Volkswagen-Konzern hat Einsicht in die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft, hat die Erkenntnisse gegen die 39 Beschuldigten mit eigenen Erkenntnissen verknüpft. Das alles erscheint nun offenbar valide genug, um auch Rauswürfe zu betreiben. Und vor allem ist da der von den US-Behörden als Aufpasser bei Volkswagen installierte Larry Thompson. Ein früherer Generalstaatsanwalt, der nach Angaben aus Konzernkreisen auf Konsequenzen drängt: VW solle nun jene Mitarbeiter rauswerfen, die manipuliert hätten, fordert Thompson, der in der kommenden Woche auch vor die Presse treten will. Jetzt ist es für VW offenbar an der Zeit zu handeln. Dem Vernehmen nach will man die nun möglichen Kündigungen durchfechten bis zum Ende.

Am 10. September wird sich bereits zeigen, inwieweit VW konsequent ist. Dann wird am Arbeitsgericht Braunschweig die Kündigungsschutzklage des in US-Haft sitzenden Oliver S. verhandelt. Zudem fordert der Manager die Auszahlung eines Jahresbonus in Höhe von 114 700 Euro brutto und erhebt Schadenersatzanspruch: Volkswagen soll ihm jene 333 000 Euro erstatten, die er bereits an die US-Justiz als Teil seiner Strafe überwiesen hat. Viel Geld. Aber im Vergleich zu den Risiken, die anderweitig bei Gerichten drohen, wäre das für den Konzern wieder nur Kleingeld - für das man Ruhe erkaufen kann.

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