Süddeutsche Zeitung

Abgase in Städten:Der Wind steht gut

Als letzte deutsche Stadt bekommt nun auch Stuttgart den Feinstaub unter Kontrolle. Bleibt das Problem der Stickoxide - die Bundesregierung aber tut so, als gehe sie der Dreck der Städte nichts an.

Von Josef Kelnberger, Stuttgart

Die Erfindung des "Feinstaubalarms" ist bestimmt kein großer Marketingerfolg für die ohnehin nicht sonderlich gut beleumundete Stadt Stuttgart gewesen. Die überteuerten Mieten, die Kessellage, die hässlichen Betonschneisen quer durch die Stadt, die schlechte Luft - und dann seit zwei Jahren auch noch im Winter dieser Alarm. Es soll Anfragen von asiatischen Touristen gegeben haben, ob man in Stuttgart ohne Mundschutz überleben könne. Demnächst aber will der grüne Oberbürgermeister Fritz Kuhn das Thema zur Imagebildung verwenden, Motto: Wir haben den Staub besiegt.

Stuttgart hat die Chance, erstmals überhaupt die EU-Grenzwerte für Feinstaub einzuhalten. Am Sonntag endete die von Oktober bis April währende Alarmperiode, in der bei ungünstiger Witterung die Pendler aufgefordert werden, das Auto stehen zu lassen. Das Ergebnis: Man verzeichnet im Kalenderjahr 2018 erst 17 Tage, an denen der Wert von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter überschritten wurde. 35 Tage sind erlaubt, das sollte diesmal zu schaffen sein. Stuttgart ist die einzige deutsche Stadt, die die EU-Vorgabe bei Feinstaub nicht erfüllt, an einer Messstelle, dem Neckartor, das den Ruf als "Deutschlands schmutzigste Kreuzung" genießt.

Er werde jetzt die Nachricht verbreiten, man könne sich das Bild von Stuttgart als deutscher Feinstaub-Hauptstadt langsam "abschminken", sagte OB Kuhn der Stuttgarter Zeitung. Aber darf sich die Stadt nun aufschminken als deutsche Hauptstadt der sauberen Luft? Noch lange nicht.

Die Stadt im Kessel hat viel unternommen gegen den Staub, von Tempolimits über kostenlose ÖPNV-Jobtickets für Pendler bis hin zu ausgefeilten Methoden des Straßenkehrens und dem Aufbau einer Mooswand, die den Dreck binden soll. Aber letztlich profitierte man in diesem Winter auch vom Wetter. Häufiger als sonst blies ein günstiger Wind den Dreck aus dem Kessel. Und dann gibt es ja noch das andere, größere Problem der Luftreinhaltung: die überhöhten Stickoxid-Werte. Während der Feinstaub von Autos jeglicher Antriebsart aufgewirbelt wird, kommen Stickoxide vorwiegend aus dem Auspuff von Dieselfahrzeugen. Und diese Reizgase lassen sich wohl nur mit Fahrverboten eindämmen.

Aber Fahrverbote, war da was?

Im Februar urteilte das Bundesverwaltungsgericht, Fahrverbote seien ein zulässiges Mittel, um die Belastung zu senken. In etwa 70 deutschen Städten werden die EU-Grenzwerte nicht eingehalten, das Land Baden-Württemberg hat mit seinem Luftreinhalteplan für Stuttgart ein rechtsgültiges Urteil umzusetzen. Einigermaßen konsterniert blicken die Südwest-Grünen, von Oberbürgermeister Kuhn über Verkehrsminister Winfried Hermann bis zum Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, nach Berlin. Denn die Bundesregierung tut so, als gehe sie das alles nichts an. Eine blaue Umweltplakette, um die Fahrverbote geordnet und zeitlich gestreckt umzusetzen gilt unter Experten als Mittel der Wahl - aber mit dieser Regierung ist das nicht zu machen.

Sollte man bei den Fahrverboten einfach auf Zeit spielen? Die Versuchung ist groß

Das Kabinett hat auch bei der Klausur in Meseberg keine Strategie im Umgang mit dem Urteil erkennen lassen außer: ignorieren. Man wolle Fahrverbote vermeiden, das Problem werde sich auch so erledigen, sagte Kanzlerin Angela Merkel. Der neue Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) lässt wissen, mit den Grenzwerten müsse man es nicht so genau nehmen, und möglicherweise müsse man auch über die Standorte der Meßstationen nachdenken. Er will die Hersteller auch nicht auf eine Nachrüstung der Abgas-Reinigungshardware verpflichten. Die Konzernchefs trommeln Woche für Woche, die Schadstoffwerte würden sinken, die Industrie tue ihr Bestes: Software-Nachbesserung, individuelle Umstiegsprämien für ältere Dieselfahrzeuge, Beteiligung am Fonds "Nachhaltige Mobilität für die Stadt" der Bundesregierung.

Fahrverbote müssen "verhältnismäßig" sein, hat das Verwaltungsgericht beschlossen, und könnten aufgeschoben werden, wenn die Luft bis nächstes Jahr deutlich besser werde. Nun gehe es allerdings weder mit den Software-Updates voran, noch würden die Mittel aus dem Mobilitätsfonds fließen, klagen die Grünen. Dennoch zeigen Untersuchungen, dass die Belastung in den ersten Monaten des Jahres 2018 an den Brennpunkten in den deutschen Städten zum Teil deutlich zurückgegangen ist. Zu dem Ergebnis kommt auch Ferdinand Dudenhöffer von der Uni Duisburg-Essen, ein industrie-kritischer Automobilwissenschaftler. Allerdings stellt er auch fest, dass selbst bei günstiger Prognose in 32 Städten die Grenzwerte 2018 nicht eingehalten werden - und in Metropolen wie Stuttgart oder München auch 2019 nicht. Sollte man nicht auch in Stuttgart einfach auf Zeit spielen?

Es ist nicht ausgeschlossen, dass es in der Frage zu heftigen Verwerfungen in der Regierungskoalition kommt. Das Urteil zu ignorieren, komme nicht infrage, sagt Ministerpräsident Kretschmann, schließlich lebe man in einem Rechtsstaat. Der Koalitionspartner CDU aber hofft, den Regierungschef auf ihre Seite zu ziehen. Maximal streckenbezogene Verbote kämen infrage, heißt es in der CDU. Das wiederum hält das Verkehrsministerium für Unsinn. Dort wird am neuen Luftreinhalteplan gearbeitet mit der Maßgabe von Fahrverboten für Modelle der Abgasnorm Euro-5 in der gesamten Umweltzone vom 1. Januar 2020 an. Ob die älteren Euro-4-Modelle schon früher ausgesperrt werden sollen, steht noch nicht fest.

Wird Stuttgart die erste deutsche Großstadt sein, die das Stickoxid besiegt? Dazu müssten sehr günstige Winde durch den Talkessel blasen.

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Quelle:
SZ vom 17.04.2018
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