Abgasaffäre:Wie sich VW und Audi hinter Anwaltskanzleien verstecken

Audi Ingolstadt am Tag der Pressekonferenz / Razzia Unternehmensleitung

Am 15. März sagte Audi-Chef Rupert Stadler auf der Bilanzpressekonferenz: "Wir arbeiten vollumfänglich mit den Behörden zusammen." Am selben Tag war die Staatsanwaltschaft angerückt.

(Foto: Matthias Ferdinand Döring)

Wohin führt es, wenn Unternehmen wie VW und Audi ihre Affären von Kanzleien untersuchen lassen? Münchner Richter haben dazu eine deutliche Meinung: Die Justiz braucht dringend Zugriff auf alle Ermittlungsunterlagen.

Von Klaus Ott

Die spannendste Stelle kommt zum Schluss. Am Ende eines rund 50-seitigen Beschlusses des Landgerichts München I. Er richtet sich gegen Volkswagen und gegen die Anwaltskanzlei Jones Day, die im Auftrag des Autokonzerns dessen Abgasaffäre untersucht. In den letzten Passagen werden die Richter noch einmal besonders deutlich. Eine vorbehaltlose Zusammenarbeit mit staatlichen Ermittlern zur Aufklärung der Affäre habe nicht stattgefunden.

Der Wolfsburger Autokonzern habe keine Unterlagen über seine Ingolstädter Tochter Audi und deren mutmaßliche Betrügereien freigegeben, sondern den Strafverfolgern lediglich mündlich Bericht erstatten lassen. Insofern sei es völlig in Ordnung gewesen, dass die für Audi zuständige Staatsanwaltschaft München II bei der Kanzlei Jones Day zahlreiche Unterlagen sicherstellte und mitnahm. So steht es in dem Beschluss vom 8. Mai.

Dass das Landgericht München I damals so entschieden hat, ist bekannt. Nicht aber, warum die Richter einen Einspruch von VW und Jones Day gegen die Durchsuchung der Kanzlei zurückgewiesen haben. Der Gerichtsbeschluss verstärkt ohnehin vorhandene Zweifel, wie ernst es Volkswagen mit der Aufklärung der Affäre wirklich meint.

Audi-Chef Stadler hatte volle Kooperation mit den Behörden versprochen

Die Richter machen ganz grundsätzlich klar: Konzerne, die betrogen oder auf andere Weise gegen Gesetze verstoßen haben, können die Untersuchungsergebnisse eigens eingeschalteter Anwaltskanzleien nicht dem Zugriff der Behörden entziehen. Ansonsten würde der Staat sein Gewalt- und Verfolgungsmonopol zumindest teilweise aufgeben und letztlich die Aufklärung von Straftaten aus der Hand geben, schreiben die Richter und warnen vor den Folgen. Unternehmen könnten Staatsanwälten das "scharfe Schwert der Ermittlungshoheit aus der Hand schlagen".

So deutlich hat wohl noch kein Gericht kommentiert, wohin es führen kann, wenn Konzerne ihre Affären selbst untersuchen. Und was von dem bei Volkswagen und Audi vielfach beschworenem Willen zur Wahrheit zu halten ist. "Wir arbeiten vollumfänglich mit den Behörden zusammen", hatte Audi-Vorstandschef Rupert Stadler bei der Bilanzpressekonferenz am 15. März versichert, nachdem die Staatsanwaltschaft München II Stunden vorher zu einer großen Durchsuchungsaktion angerückt war.

Die Behörde geht dem Verdacht nach, Audi-Techniker hätten bei Drei-Liter-Dieselmotoren eine unzulässige Software eingebaut. Eine Software, die dazu führe, dass die Abgasreinigung nur bei den offiziellen Schadstoffmessungen auf dem Prüfstand eingeschaltet sei, auf der Straße hingegen abgeschaltet werde. Genauso wie beim Mutterkonzern VW.

Die von Stadler versprochene "vollumfängliche" Kooperation mit den Behörden galt allerdings nicht für die Untersuchungsberichte von Jones Day, die schriftlich vorliegen. Das betrifft vor allem die Protokolle der Aussagen von Audi-Beschäftigten. Die von VW eingeschaltete und auch mit Nachforschungen bei Audi beauftragte Kanzlei hatte dem Münchner Gerichtsbeschluss zufolge der Staatsanwaltschaft drei Mal ausführlich und detailliert berichtet, was man herausgefunden habe. Aber das geschah eben nur mündlich. Jones Day weigerte sich, Unterlagen herauszugeben. Daraufhin rückten die staatlichen Ermittler mit einem Durchsuchungsbeschluss an und beschlagnahmten diverse Dokumente und Datenträger.

Das wiederum veranlasste VW und Jones Day, Widerspruch einzulegen und die Rückgabe des sichergestellten Materials zu fordern. Der Konzern und die Kanzlei rügten, sie seien in ihren Grundrechten verletzt worden; insbesondere dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Zudem gelte das Anwaltsgeheimnis. Die für die Verteidigung von VW notwendigen Unterlagen seien vor einer Beschlagnahme zu schützen. Die Münchner Richter entgegnen, das sei weniger ein klassisches Anwaltsmandat, sondern eher ein Untersuchungsauftrag.

Seit den Schmiergeldenthüllungen vor zehn Jahren bei Siemens ist es üblich, dass Unternehmen bei Korruption, Steuerdelikten, Betrug, Geldwäsche und anderen Fällen Kanzleien beauftragen: Sie sollen herausfinden, was warum und wie schiefgelaufen ist. Die Anwälte durchforsten dann E-Mails und andere Dateien, befragen Mitarbeiter und legen am Ende ihre Ergebnisse vor. Nach Siemens war das auch bei der VW-Tochter MAN so; bei Rheinmetall und Thyssen-Krupp; bei der Handelsgesellschaft Ferrostaal; bei Airbus; bei diversen Geldinstituten bis hin zur Deutschen Bank. Und schließlich sogar beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) wegen der Affäre um die Weltmeisterschaft 2006.

Affäre um Fußball-WM: Die vom DFB eingeschaltete Kanzlei blockiert

Manchmal ermitteln in solchen Fällen neben deutschen Staatsanwälten auch US-Behörden. Die gelten als besonders streng und lassen sich nur dann etwas milde stimmen, wenn die Unternehmen ihre Verstöße selbst untersuchen und alles offenlegen. So geschehen bei Siemens, und jetzt gleichfalls bei Volkswagen. Jones Day hat den US-Behörden umfangreich berichtet, auch schriftlich, was man bei VW herausgefunden hat. Lange Zeit überließen auch in Deutschland Unternehmen wie Siemens, MAN, die Deutsche Bank und Airbus staatlichen Ermittlern Untersuchungsergebnisse. Selbst wenn das zu Bußgeldern oder Steuerrückzahlungen von mehreren zehn Millionen bis hin zu mehreren Hundert Millionen Euro führte.

Doch inzwischen zeichnet sich eine Wende ab. Erst hat die vom DFB eingeschaltete Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer gemauert. Freshfields hatte der Staatsanwaltschaft Frankfurt zuerst zugesagt, zu kooperieren; später aber eingeschränkt, dass man keine Protokolle von Gesprächen mit DFB-Funktionären und anderen Zeugen herausrücke. Nun blockiert VW, oder versucht dies. Der Autokonzern befürchtet, Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft München II auf der Basis der bei Jones Day beschlagnahmten Unterlagen könnten auch bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig landen. Die ermittelt ebenfalls; dort droht VW ein hohes Bußgeld.

Das Landgericht München I sieht aber keine Gefahr, dass Unterlagen nach Braunschweig weitergereicht werden. Sondern vielmehr das generelle Risiko, dass Konzerne über Anwaltskanzleien Unterlagen auslagern und so dem Zugriff staatlicher Ermittler entziehen könnten (auch wenn das derzeit bei VW nicht festzustellen sei). Am Ende entscheidet das Bundesverfassungsgericht. Dort hat VW Beschwerde gegen die Razzia bei Jones Day eingelegt.

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