Süddeutsche Zeitung

Abgasaffäre:Heimliche Vergleiche schützen VW

  • Etliche VW-Händler schließen Vergleiche mit Kunden ab, um so Urteile vor Oberlandesgerichten zu verhindern.
  • Der Volkswagen-Konzern sagt zwar, die heimlichen Vergleiche seien nicht Teil einer Strategie - er spart durch die Methode jedoch viele Millionen Euro.
  • In den USA muss VW gut 15 Milliarden Dollar an Schadenersatz und Strafen zahlen, in Europa möchte der Konzern hingegen ohne Geldstrafe davonkommen.

Von Markus Balser und Klaus Ott

Die entscheidende Klausel, die Volkswagen viele Millionen, wenn nicht Milliarden Euro ersparen könnte, steht am Ende des geheimen Papiers. Die Gegner vor Gericht seien sich einig, über Abschluss und Inhalt dieses Vergleichs "Stillschweigen" zu vereinbaren. Kein Wort, kein Detail, nichts soll nach außen dringen. Autos zurücknehmen, Käufer ausbezahlen, keine Verurteilung riskieren, das ist die Strategie etlicher VW-Händler im Umgang mit Kunden. Mit jenen, die wegen manipulierter Abgaswerte bei Diesel-Autos in Deutschland vor Gericht ziehen und ihr Geld wiederhaben wollen. Und die inzwischen des öfteren Aussicht auf Erfolg haben, sogar bei Oberlandesgerichten (OLG). Ein OLG-Votum zugunsten der Besitzer von Diesel-Autos aber wäre ein Rückschlag für Volkswagen.

Geheime Vergleiche mit Kunden, die klagen; diese in Gerichtsunterlagen dokumentierte Vorgehensweise diverser Händler nutzt auch dem Konzern. VW sei "stark daran interessiert, OLG-Entscheidungen zu vermeiden oder möglichst lange hinauszuzögern", glaubt Klaus Heimgärtner, Jurist beim Automobilclub ADAC und dort zuständig für Verbraucherrecht. Jeder Tag ohne "richtungsweisendes OLG-Urteil" führe dazu, dass Ansprüche von Käufern eines Tages verjährten. Die der vielen Kunden, die bislang noch keine rechtlichen Schritte eingeleitet hätten.

VW will in Europa eigentlich nichts zahlen

Die Rechnung aus Sicht von Volkswagen ist ganz einfach. Die Abgas-Affäre kostet alleine in den USA gut 15 Milliarden Dollar an Schadenersatz und Strafen. Hierzulande und im übrigen Europa will Vorstandschef Matthias Müller dagegen nichts zahlen. Rund 2,5 Millionen Kunden in Deutschland und acht Millionen in Europa haben Diesel-Autos mit einem Gerät (Defeat Device), das die Abgas-Reinigung weitgehend abschaltet. Müsste Volkswagen auch diese Käufer entschädigen, wäre ein weiterer Milliardenbetrag fällig.

Bis zum Herbst sah es so aus, als käme VW mit dieser Strategie durch. Die Fahrzeuge werden nachgerüstet, die Abgasreinigung soll dann funktionieren. Keine Nachteile mehr für die Kunden, alles bestens, das ist auch die Linie von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt. Das war anfangs auch die Linie der Justiz.

Doch seit September haben nach einer Übersicht des ADAC zehn Landgerichte von München bis Hamburg, von Dortmund bis Braunschweig geurteilt, die VW-Händler müssten die Fahrzeuge zurücknehmen. Die Gründe laut ADAC: Das Auto sei mangelhaft; eine "angemessen lange Frist zur Nacherfüllung sei fruchtlos" verstrichen; "berechtigte Erwartungen des Kunden an die übliche Beschaffenheit von Fahrzeugen" seien enttäuscht worden.

Der ADAC erwartet, dass der "jüngste Trend zu käuferfreundlichen Urteilen" weitergehen werde. Ein erster Fall lag kürzlich bereits in zweiter Instanz dem OLG Celle vor. Doch dann einigten sich Käufer und Händler, ganz vertraulich. "Die Linie bei Gericht bestimmt VW und nicht der Vertragshändler", sagt der Düsseldorfer Anwalt Tobias Ulbrich, der mit seiner Kanzlei 800 VW-Kunden vertritt. "Die VW-Anwälte haben alle Fäden in der Hand."

Nicht mehr lange, dann sind nazu alle Fälle verjährt

Heimliche Vergleiche als nächste Strategie? Nein, sagt VW, so sei das nicht. Man habe keine "Taktik", um höchstrichterliche Urteile zu verhindern. Was die Händler machten, sei deren Entscheidung. "Wir schreiben nichts vor." VW räumt aber ein, dass sich Händler und Konzern abstimmten. Und dass Volkswagen den Händlern mit anwaltlichem Rat zur Seite stehe. Das sei "Teil unserer Dienstleistung" für die 2200 Händler hierzulande. VW oder die Händler hätten mehr als drei Viertel von rund 100 Verfahren in Deutschland gewonnen.

Es gebe keinen Trend gegen VW. Bis zu einem ersten OLG-Urteil wird es jedenfalls noch länger dauern. Im Februar soll ein Fall in Hamm verhandelt werden. Mit einem höchstrichterlicher Entscheid des Bundesgerichtshofes wäre anschließend frühestens 2018 zu rechnen. Dann aber sind nahezu alle Fälle verjährt. Volkswagen verzichtet nur bis Ende 2017 darauf, die in den meisten Fällen bereits eingetretene Verjährung geltend zu machen. Seinen Händlern legt der Konzern nahe, das ebenfalls zu tun. Bis Ende 2017 sollen laut VW alle von der Abgas-Affäre betroffenen 2,5 Millionen Autos in Deutschland repariert sein. Das dem Bundesverkehrsministerium unterstellte Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) in Flensburg als Zulassungsbehörde hat jetzt die letzten noch fehlenden VW-Fahrzeuge in Europa mit Defeat Device zur Umrüstung freigegeben.

"Der Rückruf ist verbindlich", teilt das Verkehrsministerium mit. "Fahrzeuge, die nicht umgerüstet werden, können außer Betrieb gesetzt werden." Die Kunden sind demnach gezwungen, in die Werkstatt zu fahren, und haben dann aus Sicht von VW keinen Schaden mehr - und keinen Anspruch auf Entschädigung. VW versuche die Kunden zu übertölpeln, warnt Christopher Rother von der US-Kanzlei Hausfeld. Und die Behörden machten mit. Es gehe um eine freiwilligen Rückruf-Aktion, eine Pflicht zum Umrüsten sieht Rother nicht. Ginge aber die VW-Rechnung auf, bliebe es bei einigen hundert oder tausend Fällen vor Gericht. Volkswagen käme in Deutschland und Europa vergleichsweise gut weg. Auch dank vieler Vergleiche.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3304446
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 22.12.2016/vit
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.