Süddeutsche Zeitung

Abgasaffäre:Volkswagen bekommt neue Feinde

  • Etwa 12 000 Unternehmen haben jetzt Post erhalten: Ihnen ermöglichen die Logistikverbände, sich einer Art Sammelklage anzuschließen.
  • Sie wollen erzwingen, dass VW den Kaufpreis betroffener Fahrzeuge zurückzahlen muss.

Von Thomas Fromm und Jan Willmroth

Für diese Inszenierung lässt sich Alexander Hartung gern einspannen. Er führt die Heinrich Schäfer Spedition in Limburg an der Lahn, 25 Mitarbeiter, 20 Laster, drei Pkw, von denen er einen als Dienstwagen fährt: einen VW Tiguan mit dem berüchtigten Zweiliter-Betrugsdiesel. Am Montagmorgen haben sie Hartung vorn im Sitzungssaal des Logistikverbands BGL platziert, neben ihm sitzen Anwälte und der Verbandsgeschäftsführer. Hartung liest vom Papier: "Wenn ich als Unternehmer einen Fehler mache, muss ich dafür geradestehen", sagt er und wundert sich, dass VW die US-Kunden wie selbstverständlich entschädigt. "In Deutschland lässt man sie im Regen stehen, weil man glaubt, es sich leisten zu können."

Hartung ist einer von möglicherweise Tausenden Unternehmern, die das nicht mehr hinnehmen und VW im Dieselskandal auf Schadenersatz verklagen wollen - bevor ihre Ansprüche verjähren. Dazu rufen neben dem BGL auch drei weitere Logistikverbände ihre Mitgliedsfirmen und zusätzlich deren Mitarbeiter auf. Etwa 12 000 Unternehmen haben jetzt Post dazu erhalten: Ihnen ermöglichen es die Verbände, sich einer Art Sammelklage anzuschließen. Sie wollen erzwingen, dass VW den Kaufpreis betroffener Fahrzeuge zurückzahlen muss. "Es sind zahlreiche Unternehmer an uns herangetreten und haben gefragt, was sie tun können", sagt BGL-Geschäftsführer Dirk Engelhardt.

Deshalb reagiere man mit dieser "Verbandslösung". Die dürfte für VW ungemütlich werden und sieht so aus: Hat ein Unternehmer wie Hartung betroffene VW-Diesel im Fuhrpark, kann er seine Ansprüche an eine Firma namens Myright abtreten, die mit der US-Anwaltskanzlei Hausfeld zusammenarbeitet. Diese verklagt VW vor dem zuständigen Landgericht Braunschweig auf Schadenersatz. Gewinnt sie das Verfahren und muss VW den Neupreis der Autos zurückerstatten, behält Myright knapp 30 Prozent der Differenz zwischen Zeitwert und Kaufpreis als Provision. Verliert sie das Verfahren, trägt Myright alle Kosten. So haben auch kleine Firmen, die sich langwierige Prozesse weder zeitlich noch finanziell leisten können, ohne Risiko etwas gegen den Volkswagen-Konzern in der Hand.

Juristische Winkelzüge

Diese Form der Zusammenarbeit, sagt Engelhardt, habe sich im Fall des Lkw-Kartells bewährt, dem Vorbild für die Dieselklagen. Schon im vergangenen November hatte Myright eine erste Klage im Namen von rund 15 000 Diesel-Kunden vor dem Landgericht Braunschweig eingereicht. Ihr Ziel: Sie wollen, dass die betroffenen Fahrzeughalter ihren Kaufpreis erstattet bekommen und die manipulierten Fahrzeuge an VW zurück gehen. Denn anders als in den USA, wo der Konzern Milliarden zahlen muss, weigert sich der Konzern hierzulande, den Kunden Schadenersatz wegen der manipulierten Dieselautos zu zahlen. Das Argument der Wolfsburger war von Anfang an juristisch spitzfindig: In den USA seien die Grenzwerte deutlich strenger, damit werde auch die Nachrüstung deutlich komplexer.

Somit bleibt den Kunden hierzulande bis auf Weiteres nur ein schneller Werkstattbesuch mit Software-Update. Gerade die ungleiche Behandlung in den USA und in Europa war sowohl auf Privatkundenseite wie auch bei gewerblichen Kunden heftig kritisiert worden.

In Wolfsburg dürften sie das Vorgehen der Logistiker ernst nehmen: Teilweise gehören die mittelständischen Verbandsmitglieder zu den wichtigsten Kunden des Konzerns, die teils betroffenen VW-Transportermodelle zu den meistverkauften Lieferwagen. Und: es sind dies vor allem Leasing-Fahrzeuge aus den Firmenflotten. Die Betroffenen können nun anführen, dass der tatsächliche Restwert von Dieselautos wegen des Abgasskandals nach dem Ende der Leasingzeit häufig weit unter dem erwarteten Durchschnitt liegt. Die Unternehmen rechnen also mit großen finanziellen Einbußen wegen der schwachen Wiederverkaufswerte sowie drohender Zwangsstilllegungen und Fahrverbote.

"VW hat eine fantastische Verteidigungsstrategie gefahren"

Der VW-Konzern hat bereits einige Erfahrung gesammelt mit Schadenersatzklagen wegen manipulierter Diesel. Auch Myright kennt man spätestens seit der Schadenersatzklage beim LG Braunschweig im vergangenen Herbst gut. "VW hat eine fantastische Verteidigungsstrategie gefahren", sagt Hausfeld-Anwalt Christopher Rother. Wenige Privatkunden hätten ihre Ansprüche rechtzeitig angemeldet. Dem Konzern kann das nur recht sein: Indem er reihenweise Vergleiche mit klagenden Kunden schließt, vermeidet er obergerichtliche Grundsatzurteile. Auf genau solche Urteile will Hausfeld aber hinaus.

Allerdings sind Sammelklagen, bei denen Betroffene ihre Ansprüche an einen Dienstleister abtreten, in Deutschland unüblich. "Nach deutschen Recht muss jeder einzelne Anspruch für jeden einzelnen Kunden dargelegt und bewiesen werden", sagt ein VW-Sprecher. Man sei außerdem der Ansicht, dass es für kundenseitige Klagen "im Zusammenhang mit der Diesel-Thematik" keine Rechtsgrundlage gebe. In jüngster Zeit jedoch häufen sich Landgerichtsentscheidungen zugunsten betroffener Verbraucher. Eine vergleichbare Hausfeld-Sammelklage dagegen hatte das Landgericht Siegen Ende März abgewiesen.

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SZ vom 24.04.2018/hgn
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