Drei Paragrafen, drei Vorwürfe, das ist bislang der Stand der deutschen Ermittlungen in der Abgasaffäre bei Volkswagen. Es geht um viele verdächtige Beschäftigte; und vor allem um schweren Betrug an den Käufern von Diesel-Fahrzeugen, denen niedrige Schadstoffwerte vorgegaukelt worden waren. Jetzt kommen ein neuer Beschuldigter und zwei weitere Paragrafen hinzu, die VW noch mehr Sorgen und Nöte bereiten dürften, die teuer werden könnten für den Autokonzern mit Stammsitz in Wolfsburg.
Dort soll ein Mitarbeiter im August vergangenen Jahres, als Hinweise auf manipulierte Abgastests in den USA immer handfester wurden, ein weiteres schweres Vergehen begangen haben. Er soll versucht haben, die sich anbahnende Affäre zu vertuschen. Das besagen Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft Braunschweig, die ihre Ermittlungen ausgeweitet hat. Gegen diesen Mitarbeiter, der bei VW als hochrangiger Jurist mit der Abgasaffäre befasst war und der inzwischen beurlaubt ist, läuft ein Verfahren wegen versuchter Strafvereitelung und Urkunden-Unterdrückung. Das bestätigte der Braunschweiger Oberstaatsanwalt Klaus Ziehe auf Anfrage von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR. Der Mitarbeiter bestreitet dem Vernehmen nach die Vorwürfe.
Die beiden einschlägigen Paragrafen betreffen keine Kavaliersdelikte; Haftstrafen sind denkbar. Der beschuldigte Mitarbeiter soll nach Angaben der Staatsanwaltschaft mehreren VW-Kollegen bei einer Besprechung "verklausuliert, aber deutlich genug" nahegelegt haben, Daten zu löschen oder beiseitezuschaffen. So sei das dann auch geschehen. Nach den bisherigen Ermittlungsergebnissen sind bestimmte VW-Daten dann in der Tat auf externe Speichersticks übertragen, also ausgelagert worden. Die offenkundige Vertuschungsaktion habe sich aber als Fehlschlag erwiesen, glaubt die Staatsanwaltschaft Braunschweig. Die Sticks seien zumindest zum Teil wieder zurückgegeben worden.
Bisher gehe man "von keinem Datenverlust aus, der die Ermittlungen behindern oder verzögern könnte", sagt Oberstaatsanwalt Ziehe. Endgültig könne das aber noch nicht beurteilt werden, so Ziehe. Die Ermittlungsbehörde nennt keine Details. Auch nicht, welche Daten zwischenzeitlich beseitigt worden seien. Die Staatsanwaltschaft war durch Vernehmungen und weitere Recherchen auf die mutmaßliche Vertuschungs-Aktion gestoßen. Die internen Untersuchungen bei VW führten offenbar zu ähnlichen Hinweisen.
Ob der Mitarbeiter im Alleingang gehandelt haben soll oder auf Anweisung von oben, muss sich erst noch zeigen. Wie auch immer, allein der Versuch der Vertuschung könnte VW in der Abgasaffäre noch mehr in Misskredit bringen. Auch bei jenen Aktionären, die den Konzern auf Schadenersatz für Kursverluste verklagen, weil sie nicht frühzeitig und rechtzeitig über die manipulierten Abgasmessungen in den USA informiert worden seien. Volkswagen hat Ende Februar 2016 in einem 111-seitigen Schriftsatz an das Landgericht Braunschweig versucht, diese Vorwürfe abzuwehren. Als einer der Zeugen dafür, dass im Konzern und in der Konzernspitze alles mit rechten Dingen zugegangen sei, wurde in dem Schriftsatz unter anderem ausgerechnet der nun in Vertuschungs-Verdacht geratene Jurist benannt.
"Die Glaubwürdigkeit dieses Zeugen dürfte zumindest schwer erschüttert sein."
"Zeugnis des Herrn . . .", zu laden über die Volkswagen AG, heißt es in der Klage-Erwiderung des Autokonzerns. Der Mitarbeiter soll vor Gericht bekunden, dass man in der Wolfsburger Zentrale lange Zeit von den Manipulationen in den USA nichts gewusst habe. Dass die "konkreten technischen Zusammenhänge" bei den weit überhöhten Stickoxid-Werten von Diesel-Fahrzeugen "vage" geblieben seien. Dass sich die Verantwortlichen bei VW darum bemüht hätten, "sich gegenüber den US-Behörden offen und kooperativ zu verhalten". Dass erst Ende August 2015 in Wolfsburg klar geworden sei, es gehe um eine unzulässige Software. Also um Verstöße gegen US-Recht, die Volkswagen Anfang September 2015 dann eingestanden hatte.
All das soll ausgerechnet jener Mitarbeiter bezeugen, der nun unter Vertuschungs-Verdacht steht. "Die Glaubwürdigkeit dieses Zeugen dürfte zumindest schwer erschüttert sein", sagt der Tübinger Anleger-Anwalt Andreas Tilp. Er hat bereits Anfang Oktober 2015, zwei Wochen nachdem die US-Behörden die Betrügereien öffentlich gemacht hatten und die Affäre ihren Lauf nahm, eine Schadenersatz-Klage eingereicht. Und dann seit März 2016 kräftig nachgelegt, mit weiteren Klagen über insgesamt 3,25 Milliarden Euro. Tilp wirft im Namen mehrerer Hundert Investoren dem Autokonzern vor, nicht nur die Behörden erst in den USA und anschließend weltweit mit manipulierten Schadstoffwerten getäuscht zu haben. Sondern auch viele Anleger, die ihre Aktien erst gar nicht gekauft oder zumindest rechtzeitig vor dem durch die Affäre ausgelösten Kurssturz verkauft hätten, wenn Volkswagen nicht alles verheimlicht hätte.
Vor dem Oberlandesgericht Braunschweig zeichnet sich ein Musterprozess ab. Tilp sieht durch das neue Ermittlungsverfahren gegen den Volkswagen-Mitarbeiter, der bei Gericht eigentlich für seinen Arbeitgeber aussagen sollte, die Chancen für die Anleger steigen. Der unter Vertuschungs-Verdacht stehende Jurist werde "vom Zeugen von VW zum Zeugen für die Klägerseite", frohlockt Tilp. Volkswagen äußert sich nicht dazu. Der Konzern sagt, weil die Untersuchungen noch laufen, auch sonst nichts zu dem neuen Fall. Volkswagen wird nun aber bestimmt prüfen, ob man an diesem Mitarbeiter als Zeuge vor Gericht noch festhält.