Abgasaffäre bei Volkswagen:VW braucht dringend einen Neuanfang

Abgasaffäre bei Volkswagen: Unter anderem gegen VW-Chef Matthias Müller wird ermittelt. Der Konzern braucht einen Personalwechsel, um seine Glaubwürdigkeit zu retten.

Unter anderem gegen VW-Chef Matthias Müller wird ermittelt. Der Konzern braucht einen Personalwechsel, um seine Glaubwürdigkeit zu retten.

(Foto: AFP)

Im Abgasskandal wird gegen die wichtigsten Manager des Konzerns ermittelt. Damit steht die Glaubwürdigkeit von Deutschlands größtem Industrieunternehmen auf dem Spiel.

Kommentar von Thomas Fromm

Volkswagen ist im Jahr zwei nach Ausbruch der Dieselaffäre ein doppelter Konzern. Der eine verkauft so viele Autos wie nie zuvor, streicht immer höhere Milliardengewinne ein und plant die Zukunft mit selbstfahrenden Elektroautos. Dieselkrise? Nichts für den Geschäftsbericht, eher ein Fall für stochernde Staatsanwälte, notorische Sammelkläger und die Umrüster in den Kfz-Werkstätten.

VW Nummer eins ist also ein Konzern, der die Vergangenheit lieber abhaken als aufarbeiten will. Das kann nicht auf Dauer funktionieren, denn der zweite, der andere Konzern, taumelt am Abgrund.

An seiner Spitze steht mit Matthias Müller ein Konzernchef, gegen den jetzt auch offiziell wegen des Verdachts der Marktmanipulation ermittelt wird. Er hat einen Aufsichtsratschef, gegen den ebenfalls ermittelt wird. Hans Dieter Pötsch war in der fraglichen Ära der Dieselbetrügereien übrigens als Finanzchef des Konzerns tätig und muss heute als Aufsichtsratschef aufklären, was in seiner Zeit als Vorstand schiefgelaufen ist.

Bei den Ermittlungen geht es um ihre Rolle in der Porsche SE, jener Holding, in der die Familien Porsche und Piëch ihre Anteile gebündelt haben und von wo aus das Milliardenreich gesteuert wird. Beide regieren nicht nur bei VW, sondern auch bei jener Holding mit, die VW eigentlich kontrolliert. In normalen, ruhigen Zeiten würde man dazu wohl sagen: eine sehr unglückliche Konstellation.

In Zeiten aber, die alles andere als normal sind, ist das alles ein hochexplosives Gemisch von Interessenkonflikten, angereichert durch eine Reihe von Ermittlungen gegen weitere aktive und frühere Manager des Unternehmens. Zumindest, was die Zahl der in Verfahren verwickelten Manager und Ingenieure betrifft, ist VW rekordverdächtig. Die Frage also lautet: Schafft es der eine Konzern auf Dauer? Oder wird er von dem anderen gelähmt oder sogar mit in den Abgrund gerissen? Auch wenn für Müller und alle anderen die Unschuldsvermutung gilt: Es ist jetzt höchste Zeit für einen personellen Neuanfang - im Interesse des Konzerns.

Als sich im September 2015 die Dieselaffäre von US-amerikanischen Testlabors aus weltweit verbreitete, hatte das Unternehmen eine einmalige Chance. Er hätte mit neuen Managern an der Spitze seine Affäre glaubwürdig aufarbeiten können. Diesen Einsatz hatten die Wolfsburger verpasst und auf altes Personal gesetzt. Deshalb hat sich das, was damals als Dieselkrise begann, inzwischen zu einer tiefen Kulturkrise ausgewachsen. Es geht nicht mehr nur um Millionen manipulierte Dieselautos, es steht zumindest die Glaubwürdigkeit von Deutschlands größtem Industrieunternehmen mit weltweit 600 000 Mitarbeitern auf dem Spiel.

VW braucht den Personalwechsel - sonst explodiert die Bombe

Die Staatsanwaltschaft geht der Frage nach, ob sich VW-Chef Müller der Marktmanipulation schuldig gemacht hat, als im September 2015 die Abgasmanipulationen in den USA aufflogen. Hat Müller, der damals auch schon im Vorstand der VW-Dachgesellschaft Porsche SE saß, da bereits gewusst, was auf den Konzern zurollte? Wurden Anleger im Spätsommer 2015 absichtlich über den Fall und seine finanziellen Risiken im Dunkeln gelassen? Solche Fragen müssen erst einmal aufgeklärt werden - bis dahin müssen die Ämter ruhen.

Von den Salzburger Eigentümerfamilien Porsche und Piëch ist zurzeit nicht viel zu erwarten. Sie halten an ihrem alten Personal fest, weil sie keine Experimente lieben. Das könnte eine Chance sein für VW-Aufsichtsrat und Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). Sein Land Niedersachsen hält 20 Prozent an VW; er trägt also auch politische Verantwortung für den Großarbeitgeber und könnte nun die Aufklärung vorantreiben. VW braucht den Wechsel, damit die Bombe sorgfältig entschärft werden kann, bevor es zu spät ist.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: