Süddeutsche Zeitung

Audi:Abgasaffäre weitet sich aus

  • Die Abgasaffäre weitet sich aus: Die Polizei hat Büros der VW-Tochter Audi durchsucht. Auch Privatwohnungen sind betroffen.
  • Es geht um den Verdacht des Betrugs und der strafbaren Werbung. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft laufen bislang gegen unbekannt.

Von Hans Leyendecker, Georg Mascolo, Klaus Ott und Nicolas Richter

Die Affäre um gefälschte Abgaswerte hat nun auch den Autohersteller Audi voll erfasst. Recherchen der Süddeutschen Zeitung und der ARD zufolge hat die Polizei am Mittwochmorgen damit begonnen, Büros der Konzernzentrale im oberbayerischen Ingolstadt, Gebäude in Baden-Württemberg und VW-Standorte in Niedersachsen zu durchsuchen. Auch Privatwohnungen sind betroffen. Insgesamt sind etwa 80 Staatsanwälte und Polizeibeamte im Einsatz. Die Staatsanwaltschaft München II hat schon vor einigen Wochen Ermittlungen wegen des Verdachts des Betrugs und der strafbaren Werbung eingeleitet.

Der Anfangsverdacht richtet sich derzeit nicht gegen einzelne Audi-Manager. Die Ermittlungen laufen gegen unbekannt. So ähnlich hatte auch die strafrechtliche Aufarbeitung der Diesel-Affäre von VW durch die Staatsanwaltschaft Braunschweig begonnen. Die Braunschweiger hatten zunächst gegen unbekannt ermittelt, nun gibt es etliche Beschuldigte. Die mutmaßlichen Straftaten bei Audi stehen ausschließlich im Zusammenhang mit den Aktivitäten von Audi auf dem amerikanischen Markt. Im Kern lautet der Vorwurf, dass die Audi-Ingenieure die Abgaswerte von Dieselfahrzeugen für die USA so ähnlich manipuliert haben wie ihre Kollegen bei VW. Die Audi-Geschäfte in Europa sind nicht davon betroffen.

Die Durchsuchungen haben am Mittwochmorgen um sieben Uhr begonnen, drei Stunden vor Beginn der Jahrespressekonferenz von Audi. Nach Berichten von Insidern aus der Justiz hatten die Ermittler erst Anfang der Woche von dem Termin der Jahrespressekonferenz erfahren. Zu diesem Zeitpunkt aber waren die Vorbereitungen für die Durchsuchungen an neun Orten in drei Bundesländern schon abgeschlossen. Eine Verlegung der Aktionen sei nicht mehr möglich gewesen, heißt es.

Für den gebeutelten Volkswagen-Konzern, zu dem Audi gehört, erreicht der Abgasskandal damit eine neue Dimension. Seit September 2015 hat die Affäre um manipulierte Abgaswerte bei Dieselfahrzeugen dem größten Autohersteller Europas erheblich zugesetzt. VW muss in den USA Schadenersatz und Strafen in Höhe von mehr als 20 Milliarden Dollar zahlen. Die Konzerntochter Audi war allerdings bisher weitgehend verschont geblieben, sowohl in der öffentlichen Wahrnehmung als auch in strafrechtlicher Hinsicht. Mit den Durchsuchungen am Mittwoch aber hat der Fall nun auch Audi erreicht, jene Tochterfirma im VW-Konzern, die für besondere Qualität und Innovation steht und verhältnismäßig hohe Gewinne abwirft.

Während die Staatsanwaltschaft Braunschweig seit nunmehr anderthalb Jahren gegen Mitarbeiter von VW ermittelt, tat sich bei Audi zunächst lange nichts. Eine Wende brachten offenbar erst die Ermittlungen der amerikanischen Justiz. Diese hatte im Januar dieses Jahres ein halbes Dutzend VW-Manager angeklagt und in der Klageschrift schwere Vorwürfe gegen Audi erhoben. Gleichzeitig veröffentlichten die US-Behörden ein "Statement of Facts", eine Tatsachendarstellung, auf die sich US-Regierung und VW zuvor geeinigt hatten. Demnach erkennt VW an, dass auch Audi an der Täuschung von US-Behörden und Verbrauchern mitgewirkt hat.

Audi-Mitarbeiter sollen Unterlagen vernichtet haben

"Das Statement of Facts enthält gewichtige und relevante Erkenntnisse zum Gesamtkomplex 'Abgasaffäre-Audi', die derzeit analysiert und einer abschließenden rechtlichen Bewertung zugeführt werden", erklärte die Staatsanwaltschaft München II kürzlich auf Anfrage. Die Strafverfolger haben bei ihren Vorermittlungen Rechtshilfeersuchen in die USA geschickt, sollen aber keine Antwort erhalten haben. Die Kooperation mit der Staatsanwaltschaft Braunschweig hingegen soll eng sein.

Im Statement of Facts und in der US-Anklage heißt es übereinstimmend, Audi habe ab dem Jahr 2006 speziell für den US-Markt einen Dieselmotor mit drei Liter Hubraum entwickelt. Dieser sei in etlichen Fahrzeugen von VW, Audi und Porsche verwendet worden, unter anderem im Porsche-Modell Cayenne. In der Anklage heißt es, es seien zudem die Audi-Modelle A6 Quattro und A7 Quattro betroffen, ferner die Geländewagen Q5 und Q7.

Der von Audi entwickelte Motor enthält demnach ein sogenanntes Defeat Device. Diese Funktion erkennt, wann das Auto auf dem Prüfstand von US-Behörden getestet wird. Im Testmodus spritzte das Fahrzeug so viel Harnstoff ("AdBlue") in die Abgase, dass die Menge an ausgestoßenem Stickoxid den gesetzlichen Vorschriften entsprach. Im Normalbetrieb auf der Straße dagegen wurde die Abgasreinigung zurückgefahren. Das führte zu einem hohen, gesundheitsschädlichen Stickoxidausstoß. Für die Audi-Kunden hatte diese Technik aber den Vorteil, dass sie weniger oft den Harnsäuretank neu auffüllen müssen. Im Statement of Facts werden auch weitere Vorwürfe gegen Mitarbeiter der Audi AG erhoben: So sollen sie Unterlagen vernichtet haben, die mit den Abgasproblemen in den USA zu tun gehabt hätten.

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