Süddeutsche Zeitung

Abgas:Wie Seehofer geplante Abgasregeln torpedierte

  • Horst Seehofer und seine Staatskanzlei haben im Oktober 2015 wiederholt im Bundeskanzleramt interveniert.
  • Die Autoindustrie sollte trotz der Dieselaffäre vor allzu strengen Auflagen geschützt werden.
  • Das Papier der Staatskanzlei enthielt dabei auch die "wichtigsten Forderungen der BMW Group".

Von Klaus Ott und Katja Riedel, Berlin

Die Abgas-Affäre bei Volkswagen war gerade mal einen Monat alt, als Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer und seine Staatskanzlei im Oktober 2015 wiederholt im Bundeskanzleramt in Berlin intervenierten. Bis hin zu Regierungschefin Angela Merkel. Das Anliegen des CSU-Vorsitzenden: Die Autoindustrie sollte, trotz der Affäre um manipulierte Schadstoff-Messungen, vor allzu strengen Auflagen für Diesel-Fahrzeuge geschützt werden. Am 27. Oktober schickte Seehofers Staatskanzlei dem Kanzleramt dazu ein dreiseitiges Positionspapier; mit der Bitte um "vertrauliche Behandlung". Offenbar sollte verborgen bleiben, wer da wie in letzter Sekunde von München aus über Berlin Einfluss nahm auf die künftigen Abgas-Grenzwerte der Europäischen Union (EU) in Brüssel.

Das Positionspapier der Staatskanzlei, es liegt SZ, NDR und WDR vor, enthielt unter Punkt drei die "wichtigsten Forderungen der BMW Group". Der Münchner Konzern steht bei Abgastests besser da als viele andere Hersteller. Aber nicht immer gut genug für die neuen Limits, wie sie Brüssel eigentlich geplant hatte. Die EU-Staaten verständigten sich am 28. Oktober 2015, dem Tag nach dem Vorstoß aus Bayern, auf weniger strenge Regeln als zuerst geplant. Was in Brüssel beschlossen wurde, entspricht bis ins Detail dem, was BMW durchsetzen wollte. Dem Hersteller war es vor allem darum gegangen, in welchem Umfang die schon vor Jahren eingeführten, aber nur auf dem Papier gültigen Grenzwerte für gesundheitsschädliche Stickoxide auch künftig überschritten werden dürfen. BMW sagt heute dazu, man habe nur das verlangt, was die ganze Branche gewollt habe und was technisch möglich sei. Die EU-Kommission hatte die Autoindustrie in die Pflicht nehmen wollen, mehr als bisher für den Umweltschutz zu tun. Und blieb doch auf halbem Wege stehen, nach vehementen Lobbying vieler Konzerne von Daimler über Ford bis VW und eben BMW. Seehofers Staatskanzlei beschrieb in ihrem geheimen Positionspapier akribisch die BMW-Wünsche. Einstweilen solle das offizielle Limit für neue Diesel-Fahrzeuge von 80 Milligramm Stickoxide pro Kilometer noch auf mehr als das Doppelte heraufgesetzt werden, auf über 160 Milligramm (die EU hatte weniger als 130 Milligramm durchsetzen wollen). Später dann, in einer zweiten Stufe, sollten nach 2020 noch 120 Milligramm pro Kilometer in die Luft geblasen werden dürfen (Brüssel hatte unter 100 Milligramm gewollt)

. Eine Woche vorher, am 20. Oktober, hatte Seehofer einen Brandbrief an Merkel geschickt. Die EU-Pläne würden "den Automobilstandort Deutschland nachhaltig beschädigen." Das Fehlverhalten von VW dürfe nicht dazu benutzt werden, die deutsche Autobranche insgesamt zu diskreditieren, warnte Bayerns Ministerpräsident. Die von ihm ungeliebte Kanzlerin wusste, was zu tun war: Die EU-Pläne entschärfen.

Am 28. Oktober 2015 verkündete die EU also genau jene Zahlen, die just zuvor in dem Positionspapier von Seehofers Staatskanzlei als Wunsch-Werte von BMW beschrieben worden waren. Das ist zwar, einerseits, ein Fortschritt. Bisher werden die Abgase im Labor gemessen. Dort halten die Autos von Daimler, Fiat, Opel und anderen Herstellern die offiziellen Normen ein. Unter geschönten Bedingungen, während auf der Straße ein Vielfaches dessen ausgestoßen wird, was eigentlich erlaubt ist. Faktisch gibt es bislang keine Grenzen für Stickoxide, die vor allem in den Innenstädten für schlechte Luft sorgen. Künftig misst die EU die wirklichen Werte, im realen Verkehr. Andererseits aber mit der Maßgabe, dass die Normen weiterhin überschritten werden dürfen. Und eben stärker, als die EU-Kommission das wollte.

Die Autobranche war von Anfang an Sturm gelaufen gegen die Brüsseler Pläne und hatte alle Beziehungen spielen lassen. Auch die des früheren Kanzleramtsministers Eckart von Klaeden, der heute als Verbindungsmann von Daimler zur Politik agiert. Die deutsche Autoindustrie sei "massiv bedroht", protestierte Klaeden, Leiter der Abteilung Politik und Außenbeziehung bei Daimler, in einer Mail vom 18. März 2015. Der "Verlust der Dieseltechnologie-Führerschaft" sei zu befürchten. Im Kanzleramt löste das Alarm aus. "Uns erreichen Hilferufe aus der Automobilindustrie", notierte die Regierungszentrale. Es drohten sogar Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge in den Innenstädten.

Die Brüsseler Pläne könnten "zu einem Job-Killer werden", warnte Ford in Berlin

Auf Klaeden folgte Matthias Wissmann, einst Verkehrsminister und heute Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA). Er warnte den heutigen Kanzleramtsminister Peter Altmaier, einen von Merkels engsten Vertrauten, vor "massiven Problemen für den Dieselmotor". Auf Wissmann und den VDA folgte, im Juli 2015, eine Intervention von Volkswagen. Und als sich VW, nach Beginn der Abgas-Affäre, dann zurückhalten musste, griff Ford ein. "Das ist bei uns das Top-Thema und könnte zu einem Job-Killer werden", schrieb die Berliner Ford-Dependance am 13. Oktober 2015 an das Kanzleramt. Die Bundesregierung müsse eine industriefreundlichere Position einnehmen. Man würde gerne "mit Herrn Altmaier dringend dazu telefonieren".

Ford schickte ein Papier über verheerende Folgen der EU-Pläne. Diese Pläne seien "viel strenger", als von der Industrie erwartet. Sollte das Wirklichkeit werden, werde der Konzern 400 000 Autos weniger verkaufen und Verluste in Milliardenhöhe erleiden. Als dann noch Seehofer und seine Staatskanzlei in Berlin vorstellig wurden, mit den BMW-Wünschen im Gepäck, war klar: Die EU muss gestoppt werden.

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SZ vom 24.09.2016/hgn
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