Süddeutsche Zeitung

Abgas-Skandal:Bosch gerät in der Diesel-Affäre in Erklärungsnot

  • Zahlreiche Details einer Klageschrift aus Kalifornien, die erstmals ungeschwärzt einsehbar sind, zeigen: Bosch hatte über Jahre hin die Entwicklung und wohl auch Nutzung seiner Software durch VW akribisch verfolgt.
  • Ohne Einverständnis des Zulieferers konnte der Autokonzern die Software, die für die Dieselmanipulationen genutzt worden war, offenbar nicht verändern.

Von Thomas Fromm, Max Hägler und Klaus Ott

Wenn ein Unternehmen die Beschäftigten auf schlechte Nachrichten einstimmt, kann man davon ausgehen: Da weiß jemand, dass höchst Unerfreuliches bevorsteht.

Bosch, mit 375 000 Mitarbeitern und 70 Milliarden Euro Jahresumsatz der größte Autozulieferer der Welt, hat sich am Wochenende mit einer aufschlussreichen Botschaft an die Belegschaft gewandt: Es werde gerade viel ermittelt und geschrieben über Bosch und mögliche Verstrickungen in die Abgasaffäre bei Volkswagen. VW hat weltweit Schadstoffmessungen von Diesel-Fahrzeugen manipuliert. Nun wird VW-Zulieferer Bosch mehr und mehr in die Affäre hineingezogen. Also schrieb die Geschäftsführung ahnungsvoll den Mitarbeitern: "Auch in nächster Zeit wird es weitere Berichte geben, die die Rolle von Bosch unterschiedlich beleuchten werden."

In der Tat. Zahlreiche Details einer 740 Seiten schweren Klageschrift aus Kalifornien, die erstmals ungeschwärzt einsehbar sind, zeigen nach Informationen von SZ, NDR und WDR: Bosch hatte über Jahre hin die Entwicklung und wohl auch Nutzung seiner Software durch VW akribisch verfolgt. Ohne Einverständnis des Zulieferers konnte der Autokonzern die Software, die für die Dieselmanipulationen genutzt worden war, offenbar nicht verändern. Das hatte sich Bosch vertraglich ausbedungen. Und zugleich scheint der Zulieferer gewusst zu haben, dass ein Teil seiner Dienstleistung im Endergebnis dem VW-Konzern bei illegalen Tricksereien helfen könnte. Bosch kommt mehr und mehr in Erklärungsnot. Bisher hatten die Schwaben von ihrer Konzernzentrale auf der Schillerhöhe hoch über Stuttgart stets erklärt: Ja, man habe zwar die betreffende Motorsteuerung entwickelt. Für das System als solches, und damit auch die manipulierten Abgastest, sei aber VW verantwortlich.

So war das zu Beginn der Dieselaffäre auch bei Volkswagen in Wolfsburg zu hören gewesen. VW hatte den Zulieferer in Schutz genommen: Die Schwaben hätten mit der Sache nichts zu tun. Vielleicht erinnerte man sich in Wolfsburg noch an alte Diskussionen mit Bosch. 2008, das geht aus der Klageschrift hervor, habe Bosch von VW ausdrücklich verlangt, von jeglicher Haftung freigestellt zu werden.

Bosch, so heißt es dort, habe gewusst, dass die fragliche Software in den USA verboten war. Weil ein Fahrzeug so selbständig erkenne, ob es sich auf dem Prüfstand befinde und die Abgasreinigung funktionieren müsse. Oder ob es auf der Straße fahre, wo nicht gemessen werde.

VW verweigerte den Haftungsausschluss damals übrigens. Die US-Kläger, die gegen Bosch vorgehen, kommen zum Schluss: Der Zulieferer sei ein "wissender und aktiver Teilnehmer" der Manipulationen gewesen und habe so geholfen, US-Autokunden "zu betrügen".

Das sind keine Vorwürfe einer Staatsanwaltschaft, sondern von Zivilklägern, aber auch das wiegt schwer. Zumal die Belege für die Anschuldigungen wohl aus offiziellen Ermittlungen stammen. 171 Besitzer von Autos der Marken Audi, Porsche und Volkswagen hat die Kanzlei Lieff und Kollegen aus San Francisco versammelt und streitet nun in deren Namen um Schadenersatz von Bosch.

Es geht um Milliarden Euro und um die Reputation eines Unternehmens, das Wert legt auf Integrität: Lieber Geld verlieren als Vertrauen, hatte der Firmengründer Robert Bosch einst als Losung ausgegeben. Man nehme die Vorwürfe "sehr ernst", heißt es von der Schillerhöhe, aber könne nichts dazu ausführen, da man sich grundsätzlich nicht zu laufenden juristischen Streitigkeiten äußere.

Derzeit sitzen die Schwaben an einer Klageerwiderung. Im Schreiben an die eigenen Mitarbeiter warnen die Konzernoberen ihre Belegschaft: "In einer Klageschrift stellen die Kläger ihre Sicht der Dinge dar. Damit ist noch nichts über die Richtigkeit oder Stichhaltigkeit der Vorwürfe gesagt." Das mag sein. Aber: Kompletter Unsinn dürfte die Klageschrift nicht sein, dazu sind die vorgelegten Informationen zu dicht. Dass Bosch ganz ohne Schaden herauskommt, wird immer unwahrscheinlicher.

Ohne Hilfe von Bosch war die Software angeblich nicht zu verändern

Schon seit 2001 haben der Klage zufolge an die 20 Bosch-Ingenieure an dem Code für die VW-Motorsteuerungssoftware mit dem Namen "EDC17" geschrieben. Da geht es um die Abstimmung von Motortemperatur, Treibstoffeinspritzung, Zündzeitpunkten. Nicht verwerflich.

Spätestens im Februar 2005 begann man jedoch über Tricksereien nachzudenken. Damals ließ ein Audi-Entwickler eine interne Studie zur Einführung von Dieselautos in den USA erstellen. In dem Papier ist erwähnt, dass über geheime Funktionen der Bosch-Software die Messergebnisse von Stickoxid-Emissionen verändert werden könnten. Der Codename: "Akustikfunktion". Eine Software wie maßgeschneidert für ein Land, in dem extrem strenge Stickoxid-Grenzwerte herrschen. Und Bosch wachte wohl genau darüber, wer die Programmzeilen zu sehen bekam: Am 20. Februar 2006 tauschten Autohersteller und Zulieferer die Namen der 35 VW-Mitarbeiter auf, die damals Zugang zu dem streng geheimen Teil der Software bekommen durften.

Softwarespezialisten wollen laut Klageschrift sogar eine Art "Schloss" ausfindig gemacht haben, womit VW daran gehindert werden konnte, die Software eigenhändig zu verändern. Das würde bedeuten: Ohne die Hilfe der Bosch-Experten ließ sich die Software nicht verändern und anpassen - auch nicht, als sie ab Markteinführung 2011 längst als illegale Software in Millionen VW-Fahrzeugen im Umlauf war. Dass ohne Bosch offenbar nichts ging, zeige auch die Aussage eines Auto-Ingenieurs: "Ich hatte viele Diskussionen mit Bosch, und ihnen gehört die Dataset-Software; die Kunden sind für die Feinabstimmung ('Tune the curve') verantwortlich. (. . .) Bosch ist in alle Entwicklungen involviert. Sie legen Wert darauf, bei allen Tests dabei zu sein. Irgendwo wird jemand bei Bosch gewusst haben, was passierte."

Die Kläger kommen zu dem Schluss: Die Entscheidung, bei Abgastests zu manipulieren, sei bei Volkswagen wie auch bei Bosch ein "offenes Geheimnis" gewesen. Eines, von dem auch der amtierende Bosch-Chef Volkmar Denner gewusst haben könnte, schreiben die Kläger, ohne aber Belege zu liefern. Bei einem Treffen am 28. Mai 2014 von VW- und Bosch-Topmanagern in der VW-Zentrale sei über die "Akustikfunktion", wie die Software genannt wurde, gesprochen worden. Denner und der damalige VW-Chef Martin Winterkorn sollen dabei gewesen sein. Ein Beweis für Wissen über illegale Tricks ist das nicht.

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SZ vom 07.09.2016/hgn
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