Abfallwirtschaft:Trügerischer Grüner Punkt

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Die meisten Verbraucher kennen den grünen Punkt. Was aber in welche Tonne darf, ist vielen immer noch unklar. (Foto: Rolf Vennenbernd / dpa)

Das Öko-Label wurde schon vor zehn Jahren abgeschafft, existiert aber weiter - mit womöglich negativen Folgen für die Umwelt und den Wettbewerb unter den Müllfirmen in Deutschland.

Von Michael Kläsgen, München

Der Grüne Punkt wurde vor ziemlich genau zehn Jahren abgeschafft, verschwunden ist er damit aber nicht. Kritikern aus der Müllwirtschaft zufolge hat sein Fortbestand eher nachteilige Folgen für das sachgemäße Sortieren des Plastikmülls in den deutschen Haushalten, für den Wettbewerb unter den Müllfirmen und den Umweltschutz in Deutschland.

Dem Konkurrenten Belland-Vision zufolge werfen Verbraucher auch heute noch vorzugsweise Plastikmüll in den gelben Sack, der den Grünen Punkt trägt. Dabei gehören auch Leichtverpackungen aus Metallen wie Aluminium und Weißblech und Verbundstoffe wie Getränkekartons hinein. Es herrscht darüber auch fast 30 Jahre nach Einführung des Müllsortierens in Deutschland große Verwirrung. Die Müllwirtschaft will erst 2020 mit einer großen Aufklärungskampagne informieren, was genau in den gelben Sack beziehungsweise die gelbe Tonne gehört - und was nicht.

Die Branche ist im Umbruch. Anfang 2019 tritt ein Verpackungsgesetz in Kraft. Es sieht eine wesentlich höhere Recyclingquote von Kunststoffen vor, als heute in Deutschland realisiert wird. Herstellern und Händlern wird nun klar, wie wichtig es ist, die Verwirrung, die der Grüne Punkt stiftet, aus der Welt zu räumen. Viele Wertstoffe aus Kunststoff, die eigentlich recycelt werden könnten, gehen verloren, weil Verbraucher nicht wissen, dass sie in den gelben Sack oder die Tonne gehören. Manche ziehen daraus den Schluss, dass der Effekt des Markenlogos für die Umwelt eher negativ ist. Ohne Label könnte mehr recycelt werden, als es faktisch getan wird.

Es wirkt paradox, aber die großen Konsumgüterhersteller sind im Moment noch vom genauen Gegenteil überzeugt, auch wenn manche umdenken. Bislang hielten sie am Label fest und es damit am Leben. Die Konzerne versehen ihre Produkte ganz bewusst offiziell weiterhin mit dem Label. Eine Sprecherin von Henkel sagt: Es biete "Verbrauchern eine gute Orientierungshilfe für das Recycling". Ähnlich antworten Procter & Gamble, Nestlé und Aldi auf Anfrage. Aber ist das wirklich so?

Einer Studie des BVSE zufolge sind etwa 50 Prozent der im gelben Sack oder in der gelben Tonne gesammelten Mengen nicht zu verwenden, weil sie aufgrund ihres Materials nicht hineingehören oder verunreinigt sind. "Der ökologische Nutzen des Sammelaufwandes ist damit infrage zu stellen", sagt eine Sprecherin der Münchner Abfallwirtschaft. Deswegen wird in München mehr Plastikmüll verbrannt als anderswo. Die "thermische Verwertung" widerspricht allerdings ebenfalls dem Geist des Gesetzes, das eine höhere Recyclingquote einfordert.

Kritiker des Grünen Punktes behaupten, Hersteller und Händler hielten an dem Markenzeichen vor allem fest, weil es verkaufsfördernd sei. Demnach greifen viele umweltbewusste Verbraucher gezielt nach Shampoos oder Spülmitteln, die mit dem Siegel gekennzeichnet sind. Sie gäben, so die Sicht der Kritiker, Geld für ein Zeichen aus, das es aus ökologischen Gründen besser nicht mehr gäbe. Mit der Kampagne 2020 könnte sich das ändern.

Weltkonzerne wie Nestlé bieten aus ökonomischen Gründen mehrsprachige Verpackungen in mehreren Ländern gleichzeitig an. In manchen davon wie in Spanien und Griechenland gilt weiterhin die Kennzeichnungspflicht. Deswegen prangt darauf das international gültige Markenlogo Grüner Punkt. Bislang erscheint es betriebswirtschaftlich logisch, dass es auch Verbraucher in Ländern zu Gesicht bekommen, in denen keine Kennzeichnungspflicht mehr herrscht. Auch das könnte sich ändern, wenn die Hersteller mit dem Inkrafttreten des Gesetzes stärker in die Pflicht genommen werden.

Die größten Gegner des Grünen Punkts sind seine Konkurrenten. Das Label gehört dem Unternehmen Duales System Deutschland (DSD), dem Marktführer von derzeit neun dualen Systemen in Deutschland, darunter Belland-Vision, eine Tochter des französischen Suez-Konzerns. Vor 2008 war DSD bundesweit allein dafür zuständig, die Entsorgung des Plastikmülls zu organisieren. Aus wettbewerbsrechtlichen Gründen fiel das Monopol. Doch das Markenrecht für den Grünen Punkt behielt DSD. Dadurch erhält das Unternehmen weiterhin Lizenzgebühren für das Label. Die Gebühren zahlen letztendlich die Verbraucher bei jedem Kauf der Produkte mit dem Label. Es sind aber im Wesentlichen die konkurrierenden Systembetreiber, die sich über diese Einnahmen ärgern.

Die Einnahmen sollen sich zwar nur auf acht bis zehn Millionen Euro belaufen. Es sind aber Einnahmen, die DSD einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil gegenüber den Konkurrenten bei der Akquise von Kunden, spricht Herstellern und Händlern, bieten. Sie hoffen, dass dieser Vorteil spätestens mit der Aufklärungskampagne entfällt.

Wie schreibt der Entsorgungsverband BVSE fast 30 Jahre nach der Einführung des Dualen Systems und des Grünen Punkts unter dem damaligen Umweltminister Klaus Töpfer auf seiner Homepage? "Das Kunststoffrecycling in Deutschland ist auf einem guten Weg, hat aber noch viel Potenzial." Fürwahr.

© SZ vom 29.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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