Süddeutsche Zeitung

Abfallpolitik:Verbote allein werden nicht viel bringen

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Erst Müllexporte, jetzt Plastiktüten: Verbote haben Konjunktur und deutsche Minister machen mit. Dagegen wäre prinzipiell nichts einzuwenden - wenn sie denn durchdacht wären.

Kommentar von Vivien Timmler

Die Minister sind aufgewacht. Ein bisschen hat es gedauert, bis Gerd Müller, Bundesentwicklungsminister, und Svenja Schulze, zuständig für Umwelt und Naturschutz, klar geworden ist, dass sich das Müllproblem in Deutschland nicht von allein erledigen wird. Dass es sowohl wirtschaftliche als auch gesellschaftliche Veränderungen braucht, um der Abfallmassen Herr zu werden. Besser spät als nie, könnte man nun meinen. Doch das Lob wäre nicht angebracht.

Das einzig Positive an den Vorstößen ist, dass sie das Thema Entsorgung und den damit verbundenen Umweltschutz noch stärker in den Fokus rücken. Die Forderungen, Plastiktüten zu verbieten (erst Müller, dann Söder, jetzt Schulze), Verpackungsfirmen am Aufräumen zu beteiligen (Schulze) und Müllexporte nach Südostasien zu untersagen (Müller) zeigen jedoch, dass der Regierung ein abgestimmter Plan in der Abfallpolitik fehlt.

Nicht nur, dass Schulze und Müller sie zu völlig irrationalen Zeitpunkten mit zweifelhaften Absichten tätigen. Sie lassen sogar daran zweifeln, dass das oberste Ziel der Müllvermeidung in Berlin wirklich ganz oben auf der Agenda steht.

Da ist etwa Schulzes Wunsch, Plastiktüten trotz bereits sinkender Ausgabemengen zu verbieten. Was die Ministerin verkennt: Untersagt man die Polyethylen-Beutel, ebnet man ihrem Einweg-Pendant aus Papier den Weg. Dessen Umweltbilanz ist bei einmaligem Gebrauch aber noch schlechter. Besser wäre es, nicht nur Plastik-, sondern auch Papier- und somit Einwegtüten generell zu untersagen. Es wäre ein erster Schritt hin zu einer Mehrweggesellschaft.

Ähnlich verhält es sich mit dem Vorstoß, Hersteller von Einwegbechern und Zigaretten an der Entsorgung zu beteiligen. An sich keine schlechte Idee - wenn das Ziel aber sein soll, "dass es endlich aufhört, dass wir hier so eine Wegwerf-Mentalität haben", wie Schulze sagt, ist sie vollkommen nutzlos. Kein Hersteller wird seine Produktion wegen ein paar Cent von Einweg auf Mehrweg umstellen. Eher werden sie die Abgabe auf die Kunden umlegen. Wenn es Schulze wirklich ernst wäre, die Müllmenge im öffentlichen Raum zu reduzieren, müsste sie viel früher ansetzen. Sie müsste Anreize für umweltfreundliches Verhalten schaffen, Kreislaufsysteme etablieren und einen Blick auf die Petition des Berliners Stephan Orlow werfen, der Pfand auf weggeworfene Zigaretten fordert.

Wer radikale Verbote fordert, muss immer auch die Konsequenzen bedenken

Dem Müll einen Wert geben, das kann auch für Minister Müller eine Strategie sein. Mit seiner Forderung, die Ausfuhr von Plastikmüll nach Südostasien zu verbieten, hat er recht: Es kann nicht sein, dass deutsche Kunststoffabfälle andere Länder verschmutzen. Doch wer ein solches Verbot fordert, muss sich der Konsequenzen bewusst sein. Schon jetzt wissen viele Recycler nicht mehr, wohin mit dem ganzen Plastik, abgesehen davon sind die echten Recyclingquoten in Deutschland ein Witz. Hier braucht es dringend Investitionen, sonst führt der an sich richtige Schritt dazu, dass wir selbst im Müll ersticken - oder ihn doch wieder exportieren, nur dann eben in die Türkei.

Beide Minister müssen aufpassen, dass ihre Forderungen nicht zu bloßer Symbolpolitik verkommen. Zu Verboten zu greifen - dem wohl radikalsten Instrument, das der politische Handlungsspielraum hergibt - ist leicht, gerade in einer Zeit, in der sie erstaunliche Konjunktur erfahren. Schwieriger ist es da schon, sie in einen größeren Plan einzubetten, damit sie ihre Wirkung auch entfalten können. Bislang ist davon noch nichts zu sehen, aber bislang waren Umwelt- und Entwicklungsministerium auch nicht für ihre Neigung zu radikalen Verboten bekannt. Dabei ist Radikalität in der aktuellen Umweltdebatte durchaus zu begrüßen - wenn sie denn durchdacht ist.

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Quelle:
SZ vom 14.08.2019
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