Abfall:So verzweifelt kämpfen Städte gegen die Vermüllung

Müll; WIR

Immer schön weiter drauflegen: ein überquellender Mülleimer im Alten Botanischen Garten in München.

(Foto: Lukas Barth)
  • Die Großstädte in Deutschland kämpfen mit immer mehr Abfall durch Einweggrills und To-Go-Verpackungen auf Plätzen, Straßen und in Parks.
  • Manche Städte versuchen dagegen mit besonderen Werbekampagnen oder zusätzlichen Kontrollen vorzugehen.
  • Die Maßnahmen gegen dieses sogenannte "Littering" kosten die Kommunen Millionen.

Von Michael Bauchmüller und Angelika Slavik

Die Sonne scheint, der Abend wird lau. Und Wolken gibt es wieder nur über den Parks deutscher Großstädte. Grillwolken, die sich mit jeder Stunde verdichten. Bei schönem Wetter grillen die Deutschen. Die Spuren lassen sich am nächsten Morgen in den Parks besichtigen: grenzenloser Müll. Allein in Köln haben die Abfallwirtschaftsbetriebe AWB am vorletzten Wochenende 20 Tonnen Müll aus den Parks geholt. Ein Rekord, selbst für Köln. "Es geht leider nach oben", heißt es bei den Müllbetrieben der Stadt. "Und das trotz aller Mühen."

Das Leben ist bequem geworden. Den Einweggrill gibt es im Baumarkt für 3,79 Euro inklusive Grillkohle und Anzünder. Kaffee nimmt man bequem "to go", den Hamburger kauft man in einer Styroporschachtel. Nur landet das alles zunehmend nicht mehr im Müll, sondern auf Plätzen, Straßen oder eben in den Parks. "Littering" nennt sich das, oder einfacher: Vermüllung. Eine Studie der Berliner Humboldt-Universität - angefertigt im Auftrag der Kommunen - konstatierte neulich: "Take-away-Verpackungen als Littering-Objekt haben deutlich zugenommen." Eine der Ursachen: "Verpackungsüberfluss".

Wer sich mit seiner Umwelt nicht verbunden fühlt, lässt mehr liegen

Auch Berlin leidet unter dem öffentlichen Müll, zuständig ist hier die Stadtreinigung BSR. "Wenn wir ganz ehrlich sind, sind wir auch alle Teil des Problems", sagt BSR-Chefin Tanja Wielgoß. "Pappteller sind manchmal einfach praktischer." Und nach dem langen Grillabend ist das Aufräumen nur lästig. Seit Jahren läuft in Berlin eine wahre Müllkampagne, sie soll das ordentliche Entsorgen, na ja, sympathisch machen. "Keiner will gerne gemaßregelt werden", sagt Wielgoß. "Aber mit einem Augenzwinkern, das geht." Da heißt ein öffentlicher Abfalleimer plötzlich "Kippendiener", ein anderer verlangt "Gib's mir". In Köln führen auf den Gehweg gemalte Fußabdrücke zu Papierkörben, Plakate loben die sachgerechte Entsorgung von Bananenschalen. In München danken Schilder all denen, die ihren Müll nicht am Isarufer hinterlassen.

Doch die Probleme bleiben. Und irgendwie muss der Müll dann weg. In Hamburg werden sogenannte "Waste Watcher" eingesetzt, also Müllbeobachter. An sonnigen Tagen etwa patrouillieren die Mitarbeiter der Stadtreinigung durch den Stadtpark oder am Elbstrand. Erwischen sie Menschen, die ihren Müll nicht ordentlich entsorgen, kann es richtig teuer werden - denn die Waste Watcher verteilen neuerdings auch Knöllchen. Und das nicht zu knapp: Unbedacht weggeworfene Obstreste werden mit 35 Euro bestraft. Für einen achtlos abgestellten Coffee-to-go-Becher werden 55 Euro fällig. Unzureichend gelöschte Grillkohle kostet 1000 Euro. "Littering ist kein Kavaliersdelikt", sagt Holger Lange, Geschäftsführer der Hamburger Stadtreinigung. Wer die Stadt "durch Bequemlichkeit oder Rücksichtslosigkeit" verschmutze, müsse zahlen. Etwa 180 solcher Strafen sind bereits verhängt worden. Nur muss man die Bösewichte erst einmal auf frischer Tat ertappen.

In Hamburg sind die drakonischen Strafen Teil der neuen Sauberkeitsoffensive, mit der die Stadt seit Jahresbeginn versucht, der Vermüllung beizukommen. 440 neue Mitarbeiter hat die Stadtreinigung dafür eingestellt, darunter ehemalige Langzeitarbeitslose und auch Migranten. Außerdem wurden 162 neue Fahrzeuge angeschafft, mit denen Fahrbahnen, Radwege und Parkbuchten nun deutlich häufiger gereinigt werden als früher. Mit einer eigenen App können Bürger vermüllte Plätze melden, die dann spätestens nach drei Tagen gereinigt werden. Über die App gibt es nun etwa 4000 Meldungen im Monat: Von verrosteten Fahrrädern bis zu illegalen Sperrmüllansammlungen ist alles dabei.

Abfallhaie gegen Einwegbecher

In Köln schicken die Abfallwirtschaftsbetriebe an schönen Wochenenden "Grill Scouts" in die Parks. Sie verteilen Müllbeutel und erinnern freundlich daran, dass es für Abfälle und Asche spezielle Behälter gibt. Von den knapp 20 000 öffentlichen Abfallkörben stehen mittlerweile 6000 in Grünanlagen. Und im Kampf gegen die flachen Einweggrills, die aus grünem Rasen braunen Rasen machen, zog zuletzt sogar das Ordnungsamt zu Felde - mit saftigen Knöllchen. An den 20 Tonnen Restmüll am nächsten Morgen hat das alles aber nichts ändern können. Und das ist nur der Müll im Park. Das andere sind all die Pappbecher und Einwegverpackungen, die das Leben der Wegwerfgesellschaft so bequem machen. Die aber werden zum Müllproblem, selbst wenn sie im öffentlichen Papierkorb landen. "To go ist ein Grund, warum die Mülleimer so oft überfüllt sind", sagt BSR-Chefin Wielgoß. "Denn das ist meist ein sehr voluminöser Müll." Quellen aber die Abfalleimer über, landet der Becher gern im Gebüsch. So gestanden es auch sogenannte "Litterer" in der Studie der Humboldt-Universität. Ganz überwiegend übrigens junge Leute, zwischen 18 und 30.

22 000 Tonnen

Rohöl stecken nach Schätzungen der Deutschen Umwelthilfe in den Coffee-to-go-Bechern, die jedes Jahr in Deutschland verbraucht werden. Das Öl ist nötig für die Fertigung der Kunststoffdeckel, aber auch für die Beschichtung der Pappbecher: Damit sie nicht aufweichen, sind sie von innen mit Polyethylen beschichtet. Die Umwelthilfe verlangt deshalb eine Abgabe von 20 Cent auf die Einwegbecher - und empfiehlt ein Pfandsystem für die Mehrweg-Alternative.

Der Kaffee spielt dabei eine entscheidende Rolle. Bundesweit fallen mittlerweile jährlich 2,8 Milliarden Coffee-to-go-Becher an. Allein in Köln schätzen die Abfallbetriebe das Aufkommen auf 180 000 Becher pro Tag. Macht mehr als 65 Millionen im Jahr. In den öffentlichen Papierkörben machen sie mittlerweile die Hälfte des Abfalls aus. Am Dom gibt es deshalb mittlerweile sogenannte Abfallhaie - Mülleimer, die den Abfall verpressen und per Funk melden, wenn sie voll sind. Und am Berliner Alexanderplatz stehen "bubbles": extragroße, kugelförmige Müllbehälter aus Edelstahl. Da passen mehr Becher rein. Fast verzweifelt werben die Kommunen mittlerweile für Mehrwegbecher. "Sei aktiv für Köln und entscheide dich für einen Mehrwegbecher", wirbt am Rhein eine eigene Homepage. "Du hast es in der Hand!" Doch in der Hand haben die meisten Kaffeetrinker unterwegs immer noch den Einwegbecher. Ganz bequem.

Bequemlichkeit ist das eine, die Beziehung zur eigenen Umwelt das andere. Als die Psychologen der Humboldt-Uni den Gründen für den wachsenden öffentlichen Abfall nachgingen, stießen sie auch auf das Problem der "Verbundenheit". Wer sich mit seinem eigenen Wohnort wenig verbunden fühlt, schert sich auch nicht weiter um ihn. "Anonymität ist ganz klar ein Thema", sagt Katherina Reiche, Chefin des Kommunal-Verbands VKU - kombiniert mit einem anderen Phänomen: "Wo schon was liegt, kommt noch was hinzu." So entstehen regelrechte Müll-Brennpunkte. Häufig sind es soziale Brennpunkte.

Aber sind das am Ende alles Beobachtungen aus einem Land der Spießer? Das sich an jeder Zigarettenkippe, jedem zerknüllten Papiertaschentuch stört? "Das ist nicht nur ein ästhetisches Problem", sagt Katrin Hennwald, die sich im Umweltbundesamt mit Vermüllung befasst. "Ein Teil des gelitterten Mülls wird in Gewässer getragen und landet irgendwann im Meer." Dort zerfällt er zum berüchtigten Mikroplastik. "Das ist auf alle Fälle auch ein Umweltproblem", sagt Hennwald, die derzeit eine groß angelegte Bestandsaufnahme begleitet. Bürger können bundesweit per App nachhalten, an welchen Orten sich wie viel Müll sammelt. Das Ganze ist Teil einer Aktion: "Let's clean up Europe", lasst uns Europa aufräumen. Es ist, als beginne überall der Kampf gegen den öffentlichen Müll.

27 Millionen Euro kostet die neue Hamburger Reinlichkeit - im Jahr

Doch so ein Kampf kostet. In Köln etwa fallen für achtlos weggeworfenen Müll jährlich sieben Millionen Euro an, Stuttgart hat ein Zehn-Millionen-Programm gegen die Vermüllung öffentlicher Plätze aufgelegt. Wer aber zahlt das? In Köln etwa wird die Summe über die allgemeinen Müllgebühren erhoben. Es zahlen alle für die Hinterlassenschaft weniger. Ein Umstand, der in der Schweiz eine große Debatte provozierte: Schließlich soll beim Abfall nach Möglichkeit das Verursacherprinzip gelten. Doch beim Müll neben der Parkbank oder nach einem warmen Grillabend lässt sich das kaum durchsetzen. Es geht eben letztlich um Achtsamkeit. "Vielleicht ist ja irgendwann die Schmerzgrenze erreicht", heißt es auch bei den Kölner AWB, "dass sich die Leute fragen, was man mit dem Geld alles Schönes machen könnte."

Auch die Hamburger streiten über das Geld. 27 Millionen Euro zusätzlich kostet die neue Hamburger Reinlichkeit - im Jahr. Entsprechend hitzig war der Streit über die Finanzierung. Die rot-grüne Stadtregierung wollte ursprünglich die Grundstücksbesitzer in die Pflicht nehmen und für die Reinigung vor deren Häusern 59 Cent pro Meter im Monat verlangen. Mietervereine, Wohnbaugesellschaften und der Bund der Steuerzahler waren empört, die Opposition auch. Das Geld kommt nun aus der Stadtkasse.

Immerhin, die millionenschwere Maloche gegen den öffentlichen Müll scheint zu wirken: Bei der Aktion "Hamburg räumt auf", bei der jedes Jahr an einem Frühlingswochenende mit vielen Freiwilligen der Abfall in der ganzen Stadt aufgesammelt wird, kamen diesmal 193 Tonnen Müll zusammen. Das ist die kleinste Menge seit mehr als zwei Jahrzehnten. 2017 mussten bei der Aktion noch 333 Tonnen Dreck aus der Stadt gekarrt werden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: