Geldpolitik:Japan: Der Architekt der lockeren Geldpolitik geht

Geldpolitik: Haruhiko Kuroda hatte den Kauf von Staatsanleihen als Chef der Bank of Japan zum Routinewerkzeug erhoben.

Haruhiko Kuroda hatte den Kauf von Staatsanleihen als Chef der Bank of Japan zum Routinewerkzeug erhoben.

(Foto: Kazuhiro Nogi/AFP)

Zehn Jahre lang hat Haruhiko Kuroda als Notenbankchef die Abenomics-Politik möglich gemacht, nun muss sein Nachfolger das Land in die Realität zurückführen.

Von Thomas Hahn, Tokio

Als Haruhiko Kuroda im März 2013 an die Spitze der Bank of Japan kam, kursierte im Inselstaat die Verheißung eines neuen Geldrauschs. Der Rechtspopulist Shinzo Abe hatte bei der Wahl im Dezember die konservative Establishment-Partei LDP zurück an die Macht geführt. Er hatte versprochen, Japan aus der Rezession zu holen und fackelte nicht lange. Seine Abenomics-Strategie sollte der Wirtschaft neue Kräfte verleihen. Die eigentlich unabhängige Bank of Japan (BoJ) brachte er dafür auf seine Linie. Kuroda, damals 68, ein früherer Vizefinanzminister, war Abes Wahl. Er bewerkstelligte die beispiellos lockere Geldpolitik, die Abe für sein Japan der unbegrenzten Möglichkeiten brauchte.

Den Kauf von Staatsanleihen erhob Kuroda von einer Notfallmethode zum Routinewerkzeug und blies so die Geldbasis auf. Japans Wirtschaft war wieder flüssig. Sie erholte sich. Die Zentralbanken in Europa und den USA beobachteten, was Kuroda machte, und fühlten sich in ihrem eigenen Kaufrausch bestätigt. Bis wegen Pandemie und Russlands Krieg in der Ukraine die Preise zu stark anstiegen. Die Inflation beendete die ultralockere Geldpolitik in Europa und den USA. Aber nicht in Japan.

Und nun?

Mit dieser bangen Frage an die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt endet an diesem Samstag die zehnjährige Amtszeit des prägenden Währungshüters Haruhiko Kuroda. Kuroda ist sich treu geblieben, das kann ihm keiner absprechen. Als er im März nach der letzten BoJ-Sitzung unter seiner Leitung vor die Presse trat, zeigte er noch einmal seine Abwiegelungskunst: keine Zinserhöhung, alles wie gehabt. "Die Vorteile unserer geldpolitischen Lockerung haben die Nachteile bei weitem übertroffen", sagte Kuroda. Dass die Inflation gerade klar über zwei Prozent liegt, sei ein vorübergehendes Phänomen, kein Grund für einen Politikwechsel. Zumal Japans Inflation immer noch deutlich niedriger ist als die in Europa und den USA.

Kuroda hat gute Argumente - trotzdem kann es nicht so weitergehen. Das ist das Dilemma, das Kuroda seinem Nachfolger, dem Wirtschaftswissenschaftler Kazuo Ueda hinterlässt. Ueda, 71, muss eine Politik einfangen, die sich als stetige Wiederholung kurzfristiger Geldbeschaffung verselbständigt hat.

Die Abe/Kuroda-Strategie besteht im Kern darin, Staatsanleihen von Geschäftsbanken und anderen Finanzinstitutionen zu kaufen. Dieses sogenannte Quantitative Easing unterstützt Kredite zu extrem niedrigen Zinsen und hält indirekt den Staat flüssig. Einfacher gesagt: Japan druckt sich das Geld, das es braucht, und lebt bedenkenlos auf Pump bei seinen eigenen Bürgern. Das ist zu märchenhaft, um zu funktionieren, sagten viele Skeptiker am Anfang. Aber weil Japan sich in seiner eigenen Währung verschuldete, funktionierte es doch. Japan kam aus der Rezession heraus, ein Gefühl von Sicherheit stellte sich ein.

Das Problem: Die Strategie machte Japans Wirtschaft nicht dynamischer. Kein Boom, keine steigenden Gehälter, kein gesunder Investitionskreislauf. Das konsumfördernde Inflationsziel von zwei Prozent blieb lange außer Reichweite. Und jetzt ist Krise.

Der Druck auf die Staatsfinanzen wächst. Der Yen ist tief gesunken, der Import teurer. Wegen Chinas Macht-Avancen steigen die Kosten für die Sicherheit. Die Bevölkerung altert und schrumpft rasant. Die BoJ hält mittlerweile 52 Prozent der Staatsanleihen, vor zehn Jahren bei Abes Amtsantritt hatte sie 11,48 Prozent. Und Japans Staatsverschuldung bricht ständig neue Weltrekorde - würde die BoJ die Zinsen anheben, würde sie noch höher. Der Geldrausch fühlt sich nicht mehr gut an. Die Zeitung Asahi titelt: "Neuer BoJ-Chef konfrontiert mit dem Kater von Kurodas zehnjähriger Party." Frank Rövekamp, Leiter des Ostasieninstituts an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft in Ludwigshafen, sagt: "Wenn Japan seine Geldpolitik nicht in den Griff kriegt, verlieren die Menschen dort mehr und mehr ihren Wohlstand."

Geldpolitik: Wirtschaftswissenschaftler Kazuo Ueda leitet künftig die japanische Staatsbank.

Wirtschaftswissenschaftler Kazuo Ueda leitet künftig die japanische Staatsbank.

(Foto: Kazuhiro Nogi/AFP)

Kazuo Ueda, bisher Dozent an der Kyoritsu-Frauen-Universität und Honorar-Professor an der University of Tokyo, gilt als der kühle Kopf, der Japans Geldpolitik in den Griff bekommen kann. Dass Premierminister Fumio Kishida einen Akademiker für die BoJ-Spitze ernannte, überraschte viele. Normalerweise ist der Job für bewährte Ex-Bürokraten wie Kuroda reserviert. Aber Kishida suchte eben keinen Handlanger für seine eigene Idee von Wirtschaftsförderung wie einst Abe. Er wollte einen unbefangenen Fachmann, der nachhaltige Lösungen findet. Der Ökonom Takahide Kiuchi von der Unternehmensberatung Nomura Research Institute sagt im Magazin Nikkei Asia: "Anders als Abe versucht Kishida nicht, Wachstum durch Geldpolitik anzufachen."

Das ist nicht selbstverständlich in Japans konservativen Kreisen. Shinzo Abe wurde im Juli 2022 von einem Attentäter erschossen - aber die Abenomics-Idee vom unkomplizierten Geldnachschub gilt unter den Anhängern des Ex-Premiers in der LDP als unantastbar. Kishida hat sogar Mühe, sie von Steuererhöhungen zu überzeugen, um Japans Schuldengebirge nicht noch weiter wachsen zu lassen. Kazuo Ueda muss ihm mit einer Idee helfen, die Abenomics-Fans verstehen und die trotzdem dazu führt, dass Japans Wirtschaft nicht mehr so abhängig ist von der lockeren Geldpolitik à la Kuroda.

Der neue BoJ-Chef hat in den USA studiert

Uedas Dozenten-Karriere begann 1980 in den USA. Seinen Doktor machte er am Massachusetts Institute of Technology bei Stanley Fischer, dem früheren Vizevorsitzenden der US-Zentralbank Federal Reserve. Uedas Perspektive weist also über Japan hinaus, aber wie viele seiner Landsleute ist er kein Fan der 180-Grad-Wende. Diese Mischung aus Auslandserfahrung und japanischer Geduld, hält ihn jetzt wohl von zu eiligen Schlüssen ab.

Kazuo Ueda ist kein Anti-Kuroda und ultralockere Geldpolitik für ihn kein Teufelswerkzeug. Er hat sie ja praktisch mitentwickelt. Ueda saß von 1998 bis 2005 im Politik-Ausschuss der BoJ und war dabei, als die Zentralbank erstmals mit Null-Zinsen und erweiterter Geldbasis experimentierte. Als er sich im Februar im Parlament vorstellte, nannte er es "angemessen, die geldpolitische Lockerung fortzusetzen und dabei je nach Situation kreativ zu sein". Lob für Kuroda. Aber Ueda denkt längst weiter. In einem Beitrag für Nikkei Asia schrieb er im Juli 2022: "Das Schicksal von Japans ungewöhnlicher Geldlockerungs-Politik, die länger andauerte, als von vielen erwartet, wird man ab einem gewissen Punkt ernsthaft überdenken müssen."

Das kann Kazuo Ueda jetzt also selbst tun. Die Erwartungen sind hoch. Keiner weiß so richtig, wie man runterkommt vom künstlichen Geldrausch der Kuroda-Ära. Aber selbst Verfechtern dämmert, dass es gelingen muss. Es heißt, Masayoshi Amamiya, der bei der BoJ Kurodas Stellvertreter war, habe deshalb die Kuroda-Nachfolge abgelehnt. Einem Bekannten soll er gesagt haben: "Die nächste BoJ-Führung muss eine Politik ändern, für deren Umsetzung ich verantwortlich war." Er sei deshalb befangen. Kazuo Ueda hingegen wird bestimmt nichts leid tun, wenn er irgendwann abschließt mit dem Märchen, Japan könne immer nur von seinen eigenen Schulden leben.

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