Süddeutsche Zeitung

Nahverkehr:Warum günstig, wenn's auch teuer geht?

Für neun Euro kann man seit einem Monat in Deutschland den Nahverkehr nutzen. Trotzdem gibt es viele, die sich noch immer deutlich teurere Monatskarten kaufen. Aber wieso?

Von Leopold Zaak

Das Neun-Euro-Ticket geht gerade in seinen zweiten Monat. 21 Millionen Mal wurde es schon in Deutschland verkauft, einige sind damit bis nach Sylt gefahren, die meisten aber auf den Wochenend-Ausflug oder einfach zur Arbeit. Und auch wenn vielerorts die Züge überquellen - nach einem Monat Neun-Euro-Ticket heißt es überall: Es ist ein voller Erfolg. Viele wünschen sich, dass es das Angebot auch über den August hinaus gibt.

Da überrascht dann doch, was einige Verkehrsbetriebe melden: Im Juni haben sich Tausende Menschen mit oft viel teureren Monatskarten eingedeckt. Beim Großraum-Verkehr-Hannover (GVH) haben im vergangenen Monat 1800 Menschen eine Monatskarte gekauft, bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) waren es 5000. Warum sollte man das tun, wenn man doch für neun Euro überall hinkommt?

"Natürlich erstaunt das einen, wenn man diese Zahlen sieht", sagt Tolga Otkun, Pressesprecher vom GVH. Allerdings müsse man von den 1800 verkauften Monatskarten 1500 ausklammern. Die seien nämlich von Jugendlichen gekauft worden, die schon seit Jahren in Hannover für 15 Euro monatlich den Nahverkehr nutzen dürfen. Auch die zahlen aber monatlich sechs Euro mehr als nötig. Und dann bleiben immer noch 300 Menschen, die eine der Monatskarten gekauft haben, die in Hannover bis zu 115 Euro kosten. "Da fragt man sich schon, warum sie das tun. Dass es das Neun-Euro-Ticket gibt, kann eigentlich an keinem Menschen vorbeigegangen sein", sagt Otkun.

Über die Gründe macht man sich auch bei der BVG Gedanken. Pressereferent Nils Kremmin glaubt jedenfalls nicht, dass jemand aus Versehen zu viel Geld für ein Monatsticket ausgibt. "Die scheinen das schon sehr bewusst zu kaufen. Vielleicht auch, weil Monatstickets mehr können als das Neun-Euro-Ticket", sagt er. Zum Beispiel dürfe man mit einem Monatsticket für 86 Euro den Hund mitnehmen - Fahrer mit dem Neun-Euro-Ticket müssten jedes mal drei Euro bezahlen, so Kremmin. Damit man aber die 77 Euro Differenz wieder reinholt, muss man den Hund pro Monat mindestens 26 Mal mitnehmen. Ob also wirklich pendelnde Hunde der Grund für die 5000 Monatskarten sind, kann man bezweifeln.

Es steht also auch die Frage im Raum, warum es die Verkehrsbetriebe überhaupt zulassen, dass so viele Menschen eine Monatskarte kaufen, die sie eventuell gar nicht brauchen. Eine Abofalle, gewissermaßen.

"Damit man in eine Falle tappt, muss man die auch aufgestellt haben, und das haben wir nicht", wehrt sich Otkun vom GVH. "Und außerdem lassen wir den Kunden auch nicht doof sterben." An den Schaltern zum Beispiel verkaufe sich das Monatsticket gar nicht, weil die Mitarbeiter da das Neun-Euro-Ticket empfehlen würden. Es gebe Aushänge an den Automaten und Werbung auf der Website. Und sollte tatsächlich jemand versehentlich ein viel teureres Monatsticket kaufen, sei man auch kulant und würde das Geld zurückerstatten, so Otkun.

Einen anderen Weg geht der Hamburger Verkehrsverbund (HVV). Über die App und an den Schaltern kann man seit Juni keine Monatstickets mehr kaufen, an den Automaten ist das ohnehin nicht möglich. "Wir haben unser System seit Juni umgestellt, damit niemand ein Ticket kauft, das er nicht braucht", sagt Rainer Vohl, Pressesprecher vom HVV.

In Berlin und Hannover sei das "technisch zu kompliziert" gewesen, heißt es. Was genau die Hürde ist, Monatstickets für kurze Zeit aus dem Angebot zu nehmen, kann man sowohl beim GVH als auch bei der BVG aber nicht sagen. Die Monatskarten bleiben also im Verkauf - auch weil man die ja ab September wieder braucht, wenn das Neun-Euro-Ticket endet.

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