Süddeutsche Zeitung

70 Jahre Konferenz von Bretton Woods:Als über die Zukunft des Geldes entschieden wurde

Das Abkommen von Bretton Woods ist bis heute umstritten, und steht doch für Wohlstand. Als sich die Welt vor 70 Jahren eine neue Wirtschaftsordnung gab, saß allerdings auch ein Spion mit am Tisch.

Von Nikolaus Piper, New York

Über den vielen Gedenkfeiern dieses Jahres - Erster Weltkrieg, D-Day - droht ein weiteres wichtiges Jubiläum vergessen zu werden: Am 1. Juli sind es 70 Jahre her, dass in Bretton Woods (US-Bundesstaat New Hampshire) die "Währungs- und Finanzkonferenz der Vereinten Nationen" zusammentrat. Gut 700 Delegierte aus 44 Staaten - einige von ihnen, etwa Frankreich, waren noch von deutschen Truppen besetzt - legten in drei Wochen das Fundament für die Wirtschafts- und Währungsordnung der Nachkriegszeit.

Diese Ordnung gibt es nicht mehr, doch deren wichtigsten Organe, der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank, haben Bestand. Sie sind mittlerweile meist Gegenstand des Hasses. IWF, Weltbank und Welthandelsorganisation (erst 1994 gegründet) seien die "unheilige Dreifaltigkeit der Weltherrschaft", heißt es auf einer Website von Attac. Freier Waren- und Kapitalverkehr, Abbau von Diskriminierung - all dies steht heute unter Generalverdacht, wie die Proteste gegen die transatlantische Freihandelszone TTIP zeigen. Die Erinnerung an Bretton Woods kann hier heilsam wirken: Eine offene Weltwirtschaft mit verbindlichen Regeln ist unabdingbar, wenn auch nicht ausreichend, für Freiheit und Wohlstand in der Welt. Und es ist nicht selbstverständlich, dass es so eine Ordnung überhaupt gibt.

Als die gut 700 Delegierten 1944 mit dem Zug in die Berge von New Hampshire fuhren, wussten sie, dass es um viel ging. Die Alliierten waren am 6. Juni in der Normandie gelandet, der Zusammenbruch des Dritten Reiches war nur noch eine Frage der Zeit. Die Konferenz entschied wirklich über die Zukunft der Welt. Präsident Franklin D. Roosevelt machte dies in einer Grußbotschaft deutlich: "Handel ist der Lebenssaft einer freien Gesellschaft. Wir müssen dafür sorgen, dass die Arterien, die den Blutstrom transportieren, nicht wieder verstopft werden, so wie das in der Vergangenheit geschehen ist durch künstliche Barrieren, die durch sinnlose ökonomische Rivalität geschaffen wurden."

Auch Kleinigkeiten erscheinen in der Rückschau bedeutungsvoll. Warum fand die Konferenz in Bretton Woods statt? Ein Teil der Antwort ist: Washington ist im Juli unerträglich schwül. Ein Hotel in den Bergen, wo die Nächte kühl und frisch sind, liegt daher als Alternative nahe. Aber solche Hotels hätte es viele gegeben. Warum gerade das Hotel Mount Washington in Bretton Woods, das in der Weltwirtschaftskrise hatte Konkurs anmelden müssen und 1944 noch leer stand?

Benn Steil, Ökonom beim Council of Foreign Relations in New York, gibt in seiner faszinierenden neuen Geschichte der Konferenz ("The Battle of Bretton Woods") eine plausible Antwort: New Hampshire wurde damals im US-Senat von einem einflussreichen Republikaner namens Charles Tobey vertreten. Tobey war Isolationist und strikt dagegen, dass die Vereinigten Staaten Souveränität an internationale Organisationen abtraten. Es gab auch damals schon Globalisierungsgegner. Im November 1944 musste sich Tobey bei Vorwahlen einem innerparteilichen Herausforderer stellen, und Präsident Roosevelt kalkulierte, dass der Senator sich für Publicity in seinem Revier dankbar erweisen würde. Roosevelt musste sehr bewusst gewesen sein, wie die Isolationisten im Kongress nach dem Ersten Weltkrieg den Beitritt der USA zum Völkerbund sabotiert hatten. Er wollte aus der Geschichte lernen.

Die Konferenz wurde von zwei Männern beherrscht. Beide scheiterten auf ihre Weise, trotzdem machten sie im Scheitern Bretton Woods zu einem spektakulären Erfolg. Auf der einen Seite John Maynard Keynes, heimlicher Finanzminister Großbritanniens und damals schon der berühmteste Ökonom der Welt. Sein Partner und Gegenspieler war weniger berühmt, dafür umso mächtiger: Harry Dexter White, Staatssekretär im US-Finanzministerium. Sowohl Keynes als auch White hatten eigene Pläne für die Nachkriegsordnung entwickelt. Angesichts des überragenden wirtschaftlichen Potenzials der USA war von vorneherein klar, dass sich White durchsetzen würde. Trotzdem ist die Rolle von Keynes kaum zu überschätzen.

Keynes begann 1940 mit den Arbeiten an seinem Plan. Damals beherrschte Hitler Europa, Großbritannien war das einzige Land, das der deutschen Kriegsmaschine noch standhielt. Der Ökonom musste sich mit der Frage befassen, warum es dem Deutschen Reich, anders als den westlichen Demokratien, nach 1933 schnell gelungen war, die Massenarbeitslosigkeit zu beseitigen. Eine wichtige Erklärung lag darin, dass die deutsche Wirtschaft Zugang zu ihren Exportmärkten erhielt, obwohl die Reichsmark gar nicht mehr konvertibel war. Den Trick hatte Hitlers Wirtschaftsminister Hjalmar Schacht geliefert: bilaterale Handelsverträge mit 25 Ländern, die Exporte und Importe in einer Art Tauschsystem ermöglichten. Ein deutscher Unternehmer verkaufte eine Maschine an einen ungarischen Abnehmer. Dieser bezahlte in Pengö an die ungarische Zentralbank, der Deutsche bekam seine Reichsmark von der Deutschen Reichsbank. Beide Zentralbanken unterhielten ein Währungskonto, der Kurs war politisch festgelegt. Kurzfristige Handelsüberschüsse und -defizite waren möglich, auf Dauer musste der Warenaustausch aber ausgeglichen sein. Im englischen Sprachgebrauch nennt man diese Art von Handel bis heute "Schachtianism".

Keynes zog seine Lehren auch aus dem Erfolg Schachts: Er demokratisierte und internationalisierte dessen Handelsverträge. Kern des Keynes-Planes war eine Art Welt-Zentralbank, die er "Clearing Union" nannte. Alle Länder konnten Mitglied dieser Zentralbank werden. Diese verrechnete Handelssalden in einer eigenen Währung namens "Bancor". Die Währungen untereinander mussten nicht konvertibel sein, die Umrechnungskurse in Bancor wurden international ausgehandelt. Bei Ungleichgewichten musste nicht nur das Defizit-, sondern auch das Überschussland Strafzinsen zahlen, eine gelegentliche Korrektur der Kurse war möglich. Das System kam ohne Gold aus, das Keynes für ein "barbarisches Relikt" hielt.

Der Plan von Harry White war im Vergleich zu Keynes' Clearing Union intellektuell weniger anspruchsvoll. Im Mittelpunkt stand der Dollar. Alle anderen Währungen sollten mit festen Wechselkursen an den Dollar gebunden werden, Washington verpflichtete sich zum Ausgleich, Dollar jederzeit in Gold umzutauschen (der Kurs wurde später auf 35 Dollar pro Feinunze festgelegt). Ein Fonds, der spätere IWF, sollte im Falle von Zahlungsbilanzkrisen mit Beistandskrediten helfen, eine internationale Bank, die spätere Weltbank, den Wiederaufbau Europas finanzieren.

Sowohl Keynes als auch White wurden stark durch das Bild geleitet, das sie von den nationalen Interessen ihrer Länder hatten: Keynes wusste, dass Großbritannien nach dem Krieg ausgelaugt sein würde. Er glaubte, auf die Handelspräferenzen innerhalb des Britischen Weltreichs nicht verzichten zu können, und lehnte daher sowohl die Konvertibilität des Pfunds als auch den Abbau von Handelsschranken ab. White dagegen glaubte, dass die Abwertungswettläufe und der Zusammenbruch des Welthandels nach 1931 die Weltwirtschaftskrise erst zur großen Katastrophe machten. Deshalb waren für ihn feste Wechselkurse und Handel ohne Diskriminierungen von zentraler Bedeutung.

White spionierte nicht des Geldes wegen

Und noch etwas spielte eine Rolle: Harry White war sowjetischer Spion. Er war kurz nach Kriegsende enttarnt worden, doch diese Tatsache spielte in der wissenschaftlichen Literatur kaum eine Rolle, schließlich fielen die Vorwürfe in die McCarthy-Ära, und viele Anschuldigungen waren übertrieben oder frei erfunden. Am 13. August 1948 sagte White vor dem berüchtigten "Ausschuss für unamerikanische Aktivitäten" aus und erklärte, er sei kein Kommunist. Drei Tage später erlag er einem Herzinfarkt.

Inzwischen sind viele sowjetische und amerikanische Archive geöffnet, und daraus geht klar hervor, dass White schon lange vor Kriegsbeginn spioniert hat. Er tat es nicht wegen des Geldes, sondern weil er die Sowjetunion bewunderte. Benn Steil zeigt, dass er auch während der Konferenz US-Positionen an die Sowjets verriet. Er glaubte, dass die USA und die UdSSR nach dem Krieg natürliche Verbündete sein würden. Den potenziellen Gegner sah er in Großbritannien. Das erklärt einige Merkwürdigkeiten in Bretton Woods: Die Sowjetunion sollte drittgrößtes Mitgliedsland im IWF werden, obwohl Moskau nicht die geringste Absicht hatte, den Rubel jemals konvertibel zu machen.

Whites System war von vornherein zum Scheitern verurteilt. Es litt unter einem unauflösbaren Widerspruch: Um zu wachsen, war der Welthandel auf immer mehr Dollar angewiesen. Die konnten aber nur in Umlauf kommen, wenn die USA ein Defizit im Außenhandel hinnahmen. Hohe Außenhandelsdefizite aber bedeuteten, dass irgendwann die amerikanischen Goldreserven erschöpft sein würden. Den Widerspruch hat der belgische Ökonom Robert Triffin entdeckt, er heißt seither "Triffin-Paradox". Als Reaktion auf die wachsenden Probleme im System von Bretton Woods schuf der IWF 1967 die "Sonderziehungsrechte", eine Kunstwährung. Am 14. August 1971 kündigte Präsident Richard Nixon einseitig die Bereitschaft der USA auf, Dollar in Gold zu tauschen. Damit war Whites System am Ende.

Das eigentliche Erbe von Bretton Woods ist aber nicht der White-Plan, es ist die Grundsatzentscheidung, eine multilaterale Ordnung zu schaffen und daran auch die Verlierer des Zweiten Weltkriegs zu beteiligen. Die Bundesrepublik Deutschland hat dieser Tatsache unendlich viel zu verdanken: Dank einer unterbewerteten D-Mark erwirtschaftete sie riesige Handelsüberschüsse und bildete Goldreserven, die heute im Keller der Federal Reserve Bank of New York liegen, und die einige Politiker in Berlin "heimholen" möchten.

Die ganze Geschichte hat auch noch eine ironische Note: 1944 galt Harry White als natürlicher Kandidat für das Amt des IWF-Direktors. Nach dessen Enttarnung zog Präsident Harry Truman die Kandidatur zurück. Erster IWF-Chef wurde der Belgier Camille Gutt, Präsident der Weltbank wurde Eugene Meyer, Verleger der Washington Post. Bei der Arbeitsteilung ist es bis heute geblieben: Europäer leiten den Fonds, Amerikaner die Weltbank.

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SZ vom 28.06.2014/jab
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