Wirtschaftspolitik:Eau de Sindelfingen

Berlin, Paris, und die Frage nach der korrekten Wirtschaftspolitik: Sollen wir nun Parfüm produzieren, bloß weil unsere Ingenieure zu erfolgreich sind?

K. von Dohnanyi

Vor 20 Jahren, im Frühjahr 1990, beendete ich angesichts der Lage in Ostdeutschland mein Buch "Das Deutsche Wagnis" mit dem Kapitel: "Wird Deutschland zu schwach für Europa?" Nun, im März 2010, titelt der Welt bestes Wirtschaftsmagazin, der Economist: "Europas Motor - mit einem stärkeren Deutschland leben." Ein erstaunlicher Vorgang dieses große Lob für Deutschland, bedenkt man, mit wie viel Vorbehalt der Economist das deutsche "korporative" Wirtschaftsmodell bisher begleitet hatte.

Stärke macht neidisch. Vor wenigen Tagen gab Frankreichs Wirtschafts- und Finanzministerin Christine Lagarde der Financial Times zu Protokoll, dass sich Deutschland durch übermäßige Lohnzurückhaltung einen untragbaren Wettbewerbsvorteil innerhalb der Industrieländer erstritten habe. Seine Exportüber-schüsse gefährdeten den Euro und die Union.

Lagarde setzt noch einen drauf

Martin Wolf, der Wirtschaftskommentator derselben Zeitung, legte nach: Die Exportüberschüsse Deutschlands und Chinas förderten die Schwächung der Weltwirtschaft. Und die Ministerin Lagarde setzte danach noch einen drauf: Deutschland solle die Steuern senken, um die Binnennachfrage, also den Konsum, zu stützen. Zeitgleich ermahnte uns jedoch die Europäische Kommission, die öffentlichen Defizite zu senken. Widersprüchliche Ratschläge, ein verwirrendes Bild.

Die Forderungen von französischer Seite sind nicht neu. Deutsche Exportüberschüsse werden häufig mit den chinesischen in einen Topf geworfen. Die wachsende Ungleichheit der Handelsbilanzen, der Einkommen und der nationalen Sparquoten in der Welt haben unbestreitbar zu den Ursachen der Krise beigetragen. Aber gehört Deutschland wirklich zu den Sündern?

Zunächst: Deutschland ist nur eine "Region" der EU und der Euro-Zone. Die griechische Krise innerhalb der EU ist eben etwas anders als das Welt-Ungleichgewicht, das China verursacht. Denn insgesamt hatte die Euro-Zone im Jahr 2008 ein Handelsbilanzdefizit von 55 Milliarden Euro, das heißt, um diesen Betrag überstieg der Wert der Importe den der Exporte. Und dann, 2009, folgte nur ein knapper Überschuss von 27 Milliarden Euro; eben dank deutscher Stärke. Könnten andere Euro-Mitglieder im Außenhandel ausgleichen, was Deutschland weniger exportieren soll? Oder wollen die Kritiker, dass Euro-Zone und EU defizitär bleiben, wie jahrelang die USA?

Wie könnte ein exportstarkes Deutschland dennoch die Binnennachfrage stärker fördern? Eine grundsätzliche Forderung zielt auf die Abkehr von der "Export-Orientierung" Deutschlands. Gibt es diese "Orientierung" überhaupt, oder handelt es sich nur um die zwangsläufige Folge einer traditionell auf Maschinen, Anlagen und industrielle Dienstleistungen ausgerichteten Volkswirtschaft?

Sollen wir uns von diesem Können trennen und mit Frankreich auf dem Südfrüchtemarkt, dem Parfümsektor, der Mode oder im Tourismus konkurrieren? Würde Frankreich sich von der Kernenergie lösen oder Großbritannien von der Finanzwirtschaft? Das wären doch sehr dilettantische Vorschläge!

Lesen Sie auf der nächsten Seite, ob Deutschland mit zu niedrigen Löhnen den Wettbewerb verzerrt und was die Lösung für mehr inner-europäisches Gleichgewicht wäre ...

Steuern runter, Dienstleistungen rauf

Verzerrt Deutschland aber mit zu niedrigen Löhnen den Wettbewerb? Im verarbeitenden Gewerbe, das die Exportüberschüsse im Wesentlichen erwirtschaftet, stehen unsere Löhne innerhalb von 27 EU-Ländern an Stelle vier, ganz oben und vor Frankreich! Und auch bei den Lohnstückkosten bleibt Deutschland mit Platz sieben ebenfalls im oberen Drittel; deutlich teurer zum Beispiel als Schweden oder die Niederlande.

In Frankreich allerdings sind sie höher - ein klarer Mangel an Produktivität, wenn man das Lohnniveau selbst vergleicht. Auch der Rückgang unserer Lohnstückkosten seit 2001 täuscht: Es handelte sich dabeu nur um eine Reaktion auf allzu rasche Erhöhungen der Löhne seit 1990.

Im Übrigen steht Deutschland mit seiner Industrie nicht nur im innereuropäischen Wettbewerb. Nur zwei Drittel unserer Exporte bleiben in der EU. Jenseits dieser Grenzen - und zunehmend natürlich auch im EU-Gebiet selbst - erfährt Deutschland schon heute harten Preiswettbewerb durch technologisch oft ebenbürtige Niedriglohnländer, zum Beispiel in Osteuropa sowie durch China. Um 25 Prozent unterbietet China inzwischen die Hamburger Hafenkranindustrie!

Gefährliche Lohnerhöhung

Eine allgemeine deutsche Lohnerhöhung im Maschinenbau, der ja Deutschland auch ernährt, wäre also höchst gefährlich. Und anders als die chinesische Währung wurde der Euro auch in den zurückliegenden Jahren nochmals erheblich aufgewertet. Für die schwächeren Länder wäre eine weitere Aufwertung - der ihre Exporte verteuern würde - schwer zu tragen.

Und dann: Hat Deutschland überhaupt Konsumdefizite? Unsere Konsumquote - gemessen als Anteil am Bruttosozialprodukt - war im Jahr 2000 höher als die Frankreichs. 2005 war sie auf dem exakt gleichen Stand und weicht auch heute nicht signifikant ab. Schließlich: Steuersenkungen zur Stärkung der Binnennachfrage? Abgesehen von der Notwendigkeit, die Maastricht-Kriterien zu respektieren und die öffentliche Verschuldung auf drei Prozent der Wirtschaftsleistung zu beschränken - hat Deutschland überhaupt Spielraum? 2008 betrug die deutsche Steuerquote 23,1 Prozent des Bruttosozialprodukts. Rechnet man noch die Sozialabgaben hinzu, kommt man auf 36,4 Prozent. Beide Werte liegen unter den französischen: Unsere Nachbarn kommen auf 27,0 und 43,1 Prozent. Heißt das: runter mit Abgaben und Steuern in Frankreich?

Kritik und Vorschläge sind also unbegründet. Allein mehr Beschäftigung könnte die Binnennachfrage in Deutschland stärken. Mehr Arbeitsplätze sind aber von der wettbewerbsumkämpften Exportindustrie nicht zu erwarten; sie baut Arbeitsplätze ab. Und Konsumgüter produziert unsere Privatwirtschaft eben nur begrenzt, von dort gibt es kaum Entlastung. Doch die offensichtlichen Mängel bei Bildung, Altenpflege, Energiesparen und öffentlicher Infrastruktur müssten beseitigt werden. Mit Steuersenkungen wird das gewiss nicht gehen.

Der Economist meint, Europa könne heute viel von Deutschland lernen. Doch wenn der deutsche Motor zugkräftig bleiben soll, darf man ihm seine Wettbewerbsfähigkeit im Export nicht nehmen. Was wir brauchen, ist eine schlüssige Wachstumsstrategie. Und die heißt nicht: private Steuern runter! Sondern: öffentliche Dienstleistungen rauf! Skandinavien macht es noch besser als wir.

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