Fall Wirecard:Deutsche Finanzaufsicht macht sich angreifbar

Wirecard-Stand auf der Gamescom in Köln

Wirecard will das Bezahlen im Internet neu erfinden.

(Foto: Wolfgang Rattay/Reuters)

Hedgefonds wetten gegen den Dax-Konzern Wirecard. Jetzt schreitet die Finanzaufsicht ein und verbietet Leerverkäufe - aber ist wirklich die Finanzstabilität Deutschlands in Gefahr?

Kommentar von Harald Freiberger

Die Rollen scheinen klar verteilt zu sein in diesem Wirtschaftskrimi, der langsam auf sein Ende zusteuert. Die neueste Wendung lautet, dass die deutsche Finanzaufsicht Wirecard vor Spekulanten schützt. Am Montag verbot die Bafin sogenannte Leerverkäufe, mit denen Hedgefonds auf einen fallenden Aktienkurs des Zahlungsdienstleisters wetten. Seit drei Wochen leidet Wirecard unter extremen Kursturbulenzen. Nun eilt eine ehrenwerte deutsche Behörde dem armen Unternehmen zur Hilfe gegen die bösen Spekulanten. So wirkt es auf den ersten Blick. Es könnte aber sein, dass es sich genau umgekehrt verhält in diesem Wirtschaftskrimi: Was gut ist, ist schlecht, was schlecht ist, ist gut.

Der Schritt der Bafin ist schwer nachvollziehbar, sie greift in einen freien Markt ein und macht sich angreifbar. Erstmals überhaupt verhängt die deutsche Finanzaufsicht ein solches Verbot im Fall eines einzelnen Unternehmens. Sie begründet es damit, die Turbulenzen um die Aktie seien eine "ernstzunehmende Bedrohung für das Marktvertrauen in Deutschland" und stellt "massive Unsicherheiten an den Finanzmärkten" fest.

Das klingt dramatisch und erinnert an den Höhepunkt der Finanzkrise 2008, als die Regulierungsbehörden ein Leerverkaufsverbot für elf Banken in Europa verfügten. Damals war die Finanzstabilität in der Tat in Gefahr. Aber jetzt?

Nichts deutet darauf hin, dass es systemische Probleme geben könnte. Es handelt sich um die speziellen Probleme eines einzelnen Unternehmens. Sein Aktienkurs verlor in den vergangenen drei Wochen zeitweise mehr als 40 Prozent, während der Dax um ein Prozent zulegte. Auch die Anzahl der Leerverkäufe gegen Wirecard war schon dreimal so hoch.

Zudem gibt es derzeit drei Unternehmen im Dax, gegen die stärker gewettet wird, darunter die Deutsche Bank. Selbst als sie 2016 in Kapitalnot geriet und Investoren massiv gegen ihre Aktie spekulierten, griff die Bafin nicht zum Leerverkaufsverbot. Ist die Deutsche Bank weniger schützenswert als Wirecard?

Bleibt noch die Möglichkeit, dass die Bafin mehr weiß, als sie sagen will. Dass ihr viel mehr Wetten gegen Wirecard bekannt sind, als öffentlich angezeigt werden müssen. Wenn dem so wäre, würde sie mit dem Verbot aber auf die Probleme erst hinweisen und diese verschärfen.

Am Ende geht es um die Frage, woher die Probleme von Wirecard kommen - und ob eine Behörde das Unternehmen überhaupt davor schützen soll und kann. Die Financial Times hat mehrmals über angeblichen Betrug und angebliche Geldwäsche eines führenden Wirecard-Mitarbeiters in Singapur berichtet. Der Vorwurf, gestützt auf interne Dokumente: Vertragszahlen sollen manipuliert worden sein, um Lizenzen in Asien zu erhalten und interne Vorgaben zu erfüllen. Der Aktienkurs ist auch deshalb so stark gefallen, weil es den Verdacht gibt, das phänomenale Wachstum von Wirecard könnte auf tönernen Füßen stehen.

Das Unternehmen weist die Berichte der Zeitung entschieden zurück, eine interne Prüfung habe nichts ergeben, ebenso die Untersuchung einer Anwaltskanzlei, die in etwa vier Wochen abgeschlossen sein soll. Aussage steht gegen Aussage.

Die "Financial Times" hält an ihrer Berichterstattung fest

Man muss aber sehen, wer sich da gegen Wirecard stellt. Es ist nicht ein dubioser Hedgefonds, der auf einen fallenden Aktienkurs gewettet hat, falsche Gerüchte streut und dann davon profitiert, wenn die Aktie abstürzt. Das wäre Marktmanipulation. Die Vorwürfe kommen von einer traditionsreichen britischen Finanzzeitung. Würden sie sich als falsch herausstellen, hätte sie ihre Glaubwürdigkeit an der Börse auf lange Zeit verspielt. Das Blatt hält an den Vorwürfen fest: Zweifel an der Aufrichtigkeit ihrer Berichterstattung seien falsch und entbehrten jeder Grundlage.

Die Bafin betont, dass sie die Frage nach möglicher Marktmanipulation noch nicht beantworten könne. Damit ist auch nicht klar, ob es sich bei den Hedgefonds, die auf die Wirecard-Aktie wetten, um böse oder um gute Spekulanten handelt. Es kann nämlich sein, dass sie sich einfach gut informiert haben, das Geschäftsmodell von Wirecard zurecht anzweifeln und so für Transparenz und Hygiene sorgen. Alles hängt davon ab, ob sich die Betrugsvorwürfe als wahr herausstellen. Was aber macht die Bafin, wenn das passiert?

Wie immer der Wirtschaftskrimi um Wirecard ausgeht - er kann kaum mehr ein gutes Ende nehmen. Es wird einen großen Verlierer geben. Entweder wird es eine traditionsreiche britische Finanzzeitung sein oder ein schnell gewachsener Zahlungsdienstleister aus Aschheim bei München - und mit ihm eine bisher gut beleumdete deutsche Finanzaufsicht.

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Die Wetten gegen die Wirecard-Aktien sorgen für "massive Unsicherheiten an den Finanzmärkten" behauptet die Finanzaufsicht Bafin. Aus diesem Grund verbietet sie Leerverkäufe, um Spekulationen zu verhindern.

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