Vorbild Billig-Konkurrenz:Lufthansa startet neues Preismodell

Flugsicherheit

Passagiere in einer Lufthansa-Maschine.

(Foto: picture alliance / dpa)
  • Bei der Lufthansa wird es von Oktober an in der Economy-Klasse drei Tarife geben - Light, Classic und Flex.
  • Sie unterscheiden sich etwa danach, ob ein Gepäckstück mitfliegt oder eine Umbuchung möglich ist.
  • Billigfluglinien, die der Lufthansa Konkurrenz machen, haben solche Systeme schon lange.

Von Caspar Busse, Frankfurt

Am Empfang im Erdgeschoss tragen die Mitarbeiterinnen dunkelblaue Lufthansa-Uniformen. Es sieht so aus, als könnte gleich für den nächsten Flug eingecheckt werden. Doch hier ist kein Abflug-Gate, hier ist das Lufthansa Airport Center, die Hauptverwaltung von Europas größter Fluglinie. In dem riesigen Glaskomplex in unmittelbarer Nähe des Frankfurter Flughafens haben mehr als 2000 Lufthansa-Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz.

Kristina Becker sitzt in der zweiten Etage in einem Großraumbüro, hinter einer halbhohen gelben Wand, die sie notdürftig von den Kollegen abschirmt. Sie hat zwei Bildschirme vor sich, auf denen unentwegt Zahlen flackern. Beckers Funktionsbezeichnung lautet "Referentin Erlösmanagement", sie ist zuständig für die Preisgestaltung von Lufthansa-Flügen von Belgien nach Nordamerika. Sie beobachtet die Konkurrenz: Bietet jemand eine Verbindungen deutlich billiger an, steigen die Tarife an? Dann justiert sie die Preise. "Wir müssen täglich auf Veränderungen im Markt reagieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben", sagt Becker, die Betriebswirtschaft und Luftverkehrs-Management studiert hat. "Manchmal ändern wir einzelne Preise sogar mehrmals am Tag."

Künftig gibt es drei verschiedene Optionen

Es gibt jede Menge Flugpreise, alleine rund drei Millionen im Lufthansa-System. Auf der Route von Brüssel nach Boston zum Beispiel, für die Becker unter anderem zuständig ist, gibt es 26 Buchungsklassen. Der billigste Hin- und Rückflug, der auf Beckers Schirm an diesem Nachmittag angezeigt wird, kostet netto 385 Euro, der teuerste 8930 Euro, noch ohne Steuern und weitere Gebühren. So kommt es, dass im selben Flugzeuge Passagiere sitzen, deren Ticketpreise viele Hundert Euro auseinanderliegen, obwohl sie doch zur selben Zeit dieselbe Strecke fliegen. Doch die Tarife unterscheiden sich natürlich deutlich - je nach Länge der Vorausbuchungsfrist, nach Abflugtag, nach dem Minimumaufenthalt, nach Economy-, Business- oder First-Class, nach Umbuchungs- und Stornierungsmöglichkeit.

Künftig wird die Auswahl noch größer. Denn Lufthansa will in der kommenden Woche die größte Tarifumstellung seit Jahrzehnten starten, wie Jens Bischof sagt. Der 49-jährige Speditionskaufmann ist für den Ticket-Vertrieb, die Produktentwicklung und das Marketing der Fluggesellschaft zuständig und Mitglied des Passage-Vorstands. "In unserem neuen Konzept zahlt der Kunde nur für das, was er auch in Anspruch nimmt", sagt Bischof der Süddeutschen Zeitung. "Ein Drittel aller Passagiere in Europa und Deutschland reisen nur mit Handgepäck. Warum sollen diese Kunden weiter den Einheitstarif zahlen?"

Eineinhalb Jahre wurde an dem Konzept gearbeitet. Vorbild sind auch hier die Billigfluglinien wie Ryanair, Easyjet oder Aer Lingus, die Lufthansa in den vergangenen Jahren in Europa viel Geschäft abgenommen haben und die solche Systeme schon lange haben. Künftig müssen die Passagiere auch bei Lufthansa für aufgegebene Gepäckstücke, Vorab-Sitzplatzreservierungen oder die Möglichkeit zum Umbuchen extra zahlen. Von Oktober an wird es bei Lufthansa in der Economy-Klasse drei Tarife geben: Light, Classic und Flex, erläutert Bischof. Light soll von 89 Euro an für den Hin- und Rückflug erhältlich sein, er soll immer zehn Euro günstiger sein als die bisher niedrigsten Lufthansa-Preise.

Dafür ist nur ein Handgepäck erlaubt, Umbuchung oder Erstattung ist nicht möglich. Classic erlaubt ein Gepäckstück bis 23 Kilogramm, das aufgegeben werden kann, eine Sitzplatzreservierung bei der Buchung soll mindestens 129 Euro kosten. Bei Flex wiederum kann man unter anderem kostenlos umbuchen. Dazu gibt es weiter die Business-Klasse. Erhältlich sind die Tarife bereits von der kommenden Woche an, gültig sind sie dann ab Herbst.

Wie will sich Lufthansa von der Billigkonkurrenz unterscheiden?

Es ist eine Kehrtwende für Lufthansa. Die Frankfurter sind Marktführer in Deutschland, mit deutlichem Abstand vor Air Berlin, der Konkurrent hat bereits abgestufte Tarife. Bisher galt bei Lufthansa: Ein Leistung für alle. Und lange hielt das Unternehmen daran eisern fest, Spohrs Vorgänger wehrten sich gegen eine Änderung. Das Argument: Die Marke sollte nicht aufgeweicht werden, der Kunde ein festes Angebot erhalten, auf das er sich verlassen kann.

Nun aber ist Lufthansa immer stärker unter Druck. Konzernchef Carsten Spohr baut um, führt mit Germanwings eine Billig-Airline für Europa ein, später auch für den Fernverkehr, verhandelt mit den Piloten über eine Änderung ihrer Ruhestandsregelungen. Das neue Tarifkonzept soll Teil dieser umfassenden Neuausrichtung sein, heißt es.

Künftig wird also differenziert. Aber wie will sich Lufthansa dann überhaupt noch von der Billigkonkurrenz unterscheiden? Handgepäck, kostenlose Snacks und Getränke, eine Sitzplatzvergabe spätestens am Gate und Gutschrift von Meilen werde es weiterhin bei allen Flügen geben, sagt Bischof. Und auch die Business-Klasse für Geschäftskunden bleibe. Er betont: "Die neuen Tarifoptionen werden immer verfügbar sein, bis zum letzten Platz, den wir verkaufen." Zudem könnten verschiedene Optionen gegen Aufpreis immer dazugebucht werden.

Wird der Kunde das annehmen? Einige Flüge werden sicherlich billiger, andere aber auch teurer. Zunächst wird das neue Konzept auf allen Deutschland- und Europa-Flügen eingeführt, auch bei den Lufthansa-Tochterfirmen Austrian und Swiss. "Es ist vorstellbar, dass wir das Konzept auch auf der Lufthansa-Langstrecke einführen", meint Bischof. Dann könnte es für die Flüge nach Asien und in die USA ebenfalls billige Nur-Handgepäck- oder die teuren Rundum-sorglos-Tickets geben. Beschlossen ist das noch nicht.

Ein Platz ist nur zu verkaufen, bis die Flugzeugtür zu ist

Der Kampf an Bord um den knappen Platz im Stauraum über den Sitzen könnte damit auch in Lufthansa-Maschinen künftig noch rauer werden - nämlich dann, wenn noch mehr Passagiere ihre Taschen an Bord nehmen und nicht aufgeben, weil sie sparen wollen. In den USA gab es nach der Einführung solcher Tickets Probleme. Bischof weist auf die bestehenden Regeln zur Größe des Handgepäcks hin und betont: "Wir werden sehr genau darauf achten, für welche Tarifpakete sich der Kunde entschieden hat. Wir werden unsere Gäste vor Reiseantritt noch einmal fragen, ob sich Reisepläne geändert haben." Das heißt: Es wird wohl genaue Kontrollen geben. Und es wird die Möglichkeit geben, für das Gepäck beim Aufgeben nachzulösen. Das soll 15 Euro je Gepäckstück und je Strecke kosten, 30 Euro werden fällig, wenn man sich erst beim Check-in dazu entscheidet, 45 Euro, wenn man die Tasche unmittelbar vor dem Boarding aufgeben muss. Das entspricht etwa dem, wie Konkurrenten die Passagiere zu Disziplin zwingen wollen - was auch für Frust sorgt.

Ärger hatte Lufthansa zuletzt auch mit den Anbietern von Computer-Reservierungssystemen wie Amadeus oder Travelport. Die erledigen einen großen Teil der Buchungen, vor allem für Reisebüros und große Firmenkunden - noch. Denn von September an will Lufthansa dafür eine Gebühr von 16 Euro erheben. Die Kritik ist seitdem groß. Lufthansa jedenfalls will damit erreichen, dass mehr Buchungen direkt über das eigene System abgewickelt werden. Auch dabei soll das neue Tarifsystem helfen. Nun steht bei Suchmaschinen der billigste Lufthansa-Preis weiter oben, was sich positiv auswirken könnte. "Ich gehe davon aus, dass das neue Tarifsystem auch den Online-Verkauf stimulieren wird", sagt Bischof.

"Wir verkaufen eine verderbliche Ware"

Das Festlegen von Flugpreisen ist in der Branche ohnehin eine Wissenschaft für sich. "Wir produzieren eine verderbliche Ware, also einen Flugzeugsitz, verkaufbar nur, bis die Flugzeugtür geschlossen wird", sagt Jörg Hennemann, der bei Lufthansa unter anderem für den Bereich Pricing zuständig ist. Von seinem Schreibtisch aus kann er durch eine Glastür die vielen Mitarbeiter im Großraumbüro, darunter auch Kristina Becker, sehen, die permanent an den Preisen arbeiten. Teams von jeweils 60 Mitarbeitern betreuen verschiedene Regionen. Es gibt viel zu tun: Die Lufthansa-Gruppe führt täglich alleine 1560 Flüge durch mit durchschnittlich 212 000 Passagieren.

"Ziel ist es, auch mithilfe der unterschiedlichen Flugpreise die Flüge möglichst gleichmäßig auszulasten", sagt Hennemann. Durchschnittlich waren die Maschinen der Lufthansa 2014 zu knapp 80 Prozent ausgelastet. Steigt die Auslastung einer Maschine, meist je näher der Abflugtermin rückt, an, werden die verbliebenen Sitze immer teurer, günstigere Buchungsklassen werden dann geschlossen. Gleichzeitig wird für jeden einzelnen Flug eine Prognose erstellt, wie viele Kunden ein Ticket kaufen wollen; abhängig ist das etwa von Tageszeiten, Großereignissen, Ferien, Feiertagen. Flugpreise folgen also einem ausgeklügelten und von außen kaum zu durchschauenden System. Kristina Becker weiß, wie es geht. Sie hat sich übrigens lange mit der Spieltheorie und der Analyse von voneinander abhängigen Entscheidungen befasst. Und sie bucht sogar manchmal Flüge für sich selbst.

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