USA:Obama hat die Hoffnungen der Amerikaner enttäuscht

USA: Zur Wahrheit gehören nicht nur die Zahlen. Viele US-Bürger profitieren nicht vom wirtschaftlichen Aufschwung.

Zur Wahrheit gehören nicht nur die Zahlen. Viele US-Bürger profitieren nicht vom wirtschaftlichen Aufschwung.

(Foto: AFP)

Der US-Wirtschaft geht es so gut wie lange nicht mehr. Trotzdem fühlen sich viele Amerikaner von ihrem Präsidenten betrogen - in vielen Fällen zurecht.

Kommentar von Claus Hulverscheidt

Wenn man nur die nüchternen Zahlen betrachtet, dürfte es Donald Trump eigentlich gar nicht geben. Allein 2015 ist das mittlere Einkommen der Amerikaner um fast 3000 Dollar gestiegen. Die Unternehmen schufen seit 2010 gut 15 Millionen neue Jobs, die Arbeitslosenquote wurde halbiert. 20 Millionen Bürger sind erstmals krankenversichert, das Haushaltsdefizit ist auf ein Viertel geschrumpft, und die einst zwangsverstaatlichten Riesen der Finanz- und Autoindustrie sind längst mit dickem Gewinn für den Steuerzahler wieder privatisiert.

Die Bilanz, die Barack Obama nach acht Jahren Präsidentschaft vorlegen kann, ist so gut, dass selbst im fernen Deutschland mancher Kommentator verzückt von einem "Wirtschaftswunder" spricht.

Seit Franklin D. Roosevelt im Jahr 1933 hatte kein US-Regierungschef mehr sein Amt mit einer solch schweren Bürde antreten müssen wie Obama. Als er im Januar 2009 anfing, steckte die Wirtschaft in der tiefsten Krise seit der Großen Depression. Bis heute bezeichnen die Amerikaner die Zeit nach dem Platzen der Immobilienblase in Anlehnung an die Terminologie der 1930er-Jahre als Große Rezession.

Und auch wenn der jetzt scheidende Präsident von der Notenbank und den internationalen Partnern viel mehr Unterstützung erfuhr als seinerzeit Roosevelt: Der Wirtschaftsaufschwung, den die USA seit 2010 erleben, ist Obamas Aufschwung.

Und doch ist von einem Wunder oder wenigstens einer wunderbaren Stimmung im Land nichts zu sehen. Schuld daran ist nicht nur der schamlose Aufwiegler Trump, sondern auch der so verdiente Präsident. Viele Menschen finden sich in dem rosigen Bild, das Obama seit Monaten in Interviews zeichnet, schlichtweg nicht wieder. Sie fühlen sich beschwindelt. Belogen. Betrogen.

Oft nicht zu Unrecht. Das mittlere Einkommen der Amerikaner liegt preisbereinigt immer noch unter dem Vorkrisenniveau von 2007. Die Reallöhne stagnieren seit Jahrzehnten, 43 Millionen Menschen leben weiter in Armut, 29 Millionen ohne Gesundheitsschutz. 50 Prozent der Einkommenszuwächse landen beim reichsten Prozent der Bevölkerung. Viele Bürger haben zwar wieder Arbeit, verdienen aber weniger als früher. Millionen Menschen haben die Suche nach einem Job frustriert aufgegeben und sind aus der Statistik gefallen. Auch deshalb ist die Arbeitslosenquote so niedrig.

Viele Reformen des Präsidenten sind auf halber Strecke stehen geblieben

Etliche von Obamas Reformen sind auf halber Strecke stehen geblieben. Vieles muss man dem ihm fast feindlich gesinnten Kongress anlasten, manches aber war auch einfach zu wenig ambitioniert: Die Banken sind größer denn je, Konzerne verschieben ihre Gewinne weiter in in- wie ausländische Steueroasen. Und auch dass seine vermeintlichen Meisterwerke, die Kontinente umspannenden Handelsverträge TPP und TTIP, vielleicht nie ratifiziert werden, hat Obama durch seine Geheimniskrämerei selbst mitverschuldet.

Ein anderes Versäumnis aber wiegt erheblich schwerer, gerade auch mit Blick auf Trump. Überall auf der Welt spüren die Menschen, dass sich die wirtschaftliche und gesellschaftliche Statik verändert. Es ist ja nicht nur die Globalisierung. Es ist auch die technologische Revolution mit ihren disruptiven Veränderungen ganzer Branchen und Arbeitswelten.

Alles zusammen genommen macht den Bürgern Angst, und viele suchen händeringend nach Politikern, die die Veränderungen offen einräumen, ihre Sorgen ernst nehmen und eine Zukunftsperspektive aufzeigen. Doch die Politik verharrt meist im Kleinklein - in den USA ebenso wie in Deutschland, Frankreich und anderswo.

Es fehlt die Hoffnung

In den USA sind es vor allem Teile der weißen Landbevölkerung, die zu Recht beklagen, dass die etablierten Parteien sie seit Jahrzehnten haben links liegen lassen. Die Menschen sorgt, dass viele Innenstädte verfallen, und es besorgt sie noch mehr, dass ihre Kinder das College mit Schulden in beträchtlicher sechsstelliger Höhe verlassen, ohne anschließend einen jener sicheren Jobs zu finden, die früher das Abstottern der Studienkredite ermöglichten. Beides ist noch kein Grund, einem Scharlatan wie Trump nachzulaufen. Der Unmut aber ist erklärlich.

Der Unterschied zwischen Obama und Roosevelt ist: Zu Roosevelts Zeit waren die Menschen arm, aber zuversichtlich. Heute ist es oft anders herum. Den Menschen geht es materiell ganz gut, aber sie fürchten, dass spätestens die Kinder kein auskömmliches Leben mehr haben werden. Es fehlt die Hoffnung.

Es ist bitter, dass ausgerechnet der frühere Hoffnungsträger Obama das nicht ändern konnte. Trotz unbestreitbarer Erfolge kann er daher am Ende seiner Amtszeit nicht zufrieden sein. Denn zu einer guten Bilanz gehören mehr als gute Zahlen.

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