Bezahlung:Den gerechten Lohn kann es nicht geben

Denker zerbrechen sich seit Jahrhunderten den Kopf über der Frage, was ein gerechter Lohn ist. Über die niemals endende Suche nach einem hohen Wert.

Von Nikolaus Piper

Gut drei Viertel der Deutschen finden, dass sie nicht gerecht bezahlt werden. Die Online-Umfrage der ARD wurde gestartet nach einer Talk-Runde von Günther Jauch über den "gerechten Lohn". Sie ist nicht repräsentativ, aber sie trifft die Stimmung im Lande: Die meisten Deutschen glauben, dass die Löhne normaler Leute zu niedrig sind, besonders wenn man sie mit den Bezügen von Martin Winterkorn, Anshu Jain und anderen Spitzenmanagern vergleicht.

Bezahlung: SZ-Grafik: Keller, Quelle: Gehaltsvergleich.com

SZ-Grafik: Keller, Quelle: Gehaltsvergleich.com

Aber welcher Lohn ist gerecht? Mit der Frage haben sich unzählige Denker befasst, ohne überzeugendes Ergebnis. Für Thomas von Aquin (1225-1274), den großen Scholastiker, war der gerechte Lohn ein Spezialfall des gerechten Preises. Gerecht war ein Preis dann, wenn er ohne "Übervorteilung" von Käufer oder Verkäufer zustande kam. Außerdem sollten Löhne nach dem "Stand" des Lohnempfängers bezahlt werden. Für ihn war es geradezu geboten, dass Menschen umso besser bezahlt wurden, je höher sie in der gesellschaftlichen Hierarchie standen. Nicht unbedingt das, was man heute als gerecht bezeichnen würde.

Karl Marx (1818-1883) wollte die Frage nach dem gerechten Lohn gar nicht erst stellen. In seiner Kritik des Gothaer Programms wandte er sich gegen die "Phrase" von der "gerechten Verteilung des Arbeitsertrags", auf die sich die Sozialdemokraten festgelegt hatten. Wörtlich schreibt Marx: "Diese Abzüge vom 'unverkürzten Arbeitsertrag' (in heutiger Sprache: Gewinne und Abschreibungen) sind eine ökonomische Notwendigkeit, und ihre Größe ist zu bestimmen nach vorhandenen Mitteln und Kräften, zum Teil durch Wahrscheinlichkeitsrechnung, aber sie sind in keiner Weise aus der Gerechtigkeit kalkulierbar."

Der katholische Sozialtheoretiker Oswald von Nell-Breuning (1890-1991) löste die Frage der Gerechtigkeit vollkommen von der Entstehung des Lohns: "Welche Verteilung als gerecht angesehen werden kann, ist in einer dynamisch-expansiven Wirtschaft weniger kausal als teleologisch determiniert: Welche Aufgaben sollen - und wollen! - bestimmte Kreise erfüllen; wie müssen sie vermögens- und einkommensmäßig gestellt sein, um diese Aufgaben . . . erfüllen zu können." Mit anderen Worten: Gerechtigkeit ist ein Ziel, das nur begrenzt etwas mit Produktion und Produktivität des Einzelnen zu tun hat.

Tatsächlich gibt es einen "gerechten" Lohn nicht und kann ihn auch nicht geben. Löhne werden in einer arbeitsteiligen Wirtschaft von der Leistung des Einzelnen, aber eben immer auch von den Verhältnissen bestimmt, vor allem von der Produktivität des Betriebes, in dem er arbeitet, von der Qualität des Managements, von den Weltmärkten, der Wirtschaftspolitik der Regierung. Eine Näherin, die in Vietnam Hemden produziert, arbeitet vermutlich ungleich härter als ein Lokomotivführer in Bayern. Ist das ungerecht? Nein, natürlich nicht - die Vietnamesin lebt in einem Land mit ganz anderer Geschichte und einer viel geringeren Kapitalausstattung. Die beiden Löhne sind nicht vergleichbar. Auch die Arbeit eines Müllwerkers ist im Zweifel viel härter als die eines Web-Designers. Trotzdem dürfte Letzterer in der Regel mehr Geld verdienen, weil sein Können im Vergleich gefragter ist.

Bei Lehrern gibt es keine steigende Produktivität wie in der Industrie

Oder die Erzieherinnen in den Kitas. Sind 2200 Euro im Monat gerecht oder ungerecht? Der Lohntrend einer Gesellschaft wird vom produzierenden Gewerbe und dessen Produktivitätsfortschritt bestimmt. Bei Berufen wie Erziehern, Lehrern, Polizisten oder Richtern gibt es keine steigende Produktivität wie in der Industrie. Wenn Erzieherinnen streiken, dann streiken sie für einen höheren Anteil am Geld der Steuerzahler - zu Lasten anderer Verwendungen, der Polizei etwa, der Infrastruktur, der Flüchtlingshilfe. Die Erzieherinnen haben alles Recht der Welt, dies zu tun. Es mag auch richtig sein, im Verhältnis mehr für Kitas und weniger für Radwege auszugeben. Nur mit Gerechtigkeit hat das nichts zu tun, sondern mit Interessenvertretung.

Beim Lohn geht es auch immer um die Leistungsfähigkeit dessen, der die Löhne zahlen soll - des Unternehmers oder des Staates. Bisher haben die Gewerkschaften in Deutschland meist Vernunft gezeigt und es vermieden, Arbeitgeber kaputtzustreiken. Mit der neuen Konkurrenz der kleinen Gewerkschaften, mit Lokführern und Piloten, könnte das anders werden. Da würde sich dann wirklich die Gerechtigkeitsfrage stellen.

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