Arbeitskampf bei der Bahn:Lügen, betrügen, streiken

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Es ist ein Arbeitskampf, in dem nichts mehr normal ist: GDL-Chef Claus Weselsky kündigt einen Streik an - und muss den in der Öffentlichkeit gut begründen. Damit wird er sich sehr schwer tun.

Kommentar von Detlef Esslinger

Normalerweise ist es in Tarifkonflikten so: Jeder Arbeitgeber und jeder Gewerkschafter kennt seine Rolle und seine Aufgabe, jeder hat sie sich ja auch selber ausgesucht und jeder vertritt seine Position mit innerer Überzeugung. Aber es weiß auch jeder, dass man hier eine Rolle, ein Mandat, übernommen hat, dass man zu trennen hat zwischen dem jeweiligen Gegenüber als Rollenträger und als Person.

Nichts aber ist normal in der Auseinandersetzung zwischen den Vertretern der Deutschen Bahn (DB) und der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL): nicht die Themen, um die sie streiten, nicht die Dauer, in der sie streiten, nicht die Intensität, mit der sie einander beharken. Der nun angekündigte Streik wird den Konflikt verschärfen; sollte er doch noch abgesagt werden, wird das kaum Entschärfung bringen. In den vergangenen Tagen haben beide Seiten freigiebig Briefe an die Medien verteilt, in denen lügen, betrügen und zahllose weitere Vokabeln dieser Kategorie vorkommen - in Briefen wohlgemerkt, die ursprünglich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Längst nehmen die Protagonisten von Konzern und Gewerkschaft diese Auseinandersetzung persönlich.

Ein Arbeitskampf, der was erzwingen soll? Einen Brief!

GDL-Chef Claus Weselsky wird sich schwer tun, eine Begründung für diesen Streik zu finden, mit der er in der Öffentlichkeit bestehen kann. Der Konflikt ist in seinen Verästelungen nicht nur so kompliziert, dass kaum jemand gewillt sein dürfte, dem Gewerkschafter ins Unterholz aller Argumente und Gegenargumente, aller Beschuldigungen und Verdächtigungen zu folgen. Es ist zudem so, dass Weselsky von der Bahn im jetzigen Stadium niemals mehr bekommen wird als das, was er längst bekommen hat: die Zusage, in aller Freiheit über das gesamte Zugpersonal mit ihr verhandeln zu dürfen.

Zum Anlass des neuerlichen Streikaufrufs nimmt Weselsky einen Satz, den der Verhandlungsführer der Bahn vor einer Woche in einem internen Papier geschrieben hat: Die Bahn wolle so verhandeln, dass ihr Ziel "erreicht werden kann", am Ende für ein und dieselben Berufsgruppen identische Tarifverträge zu haben. Was soll das Problem daran sein? Das erklärt der Konzern seit Monaten, das hat die GDL kurz vor Weihnachten sogar ausdrücklich akzeptiert. Also liegt es an den Gewerkschaften, an der GDL und ihrer Konkurrentin EVG, so viele ihrer jeweiligen Forderungen wie nur möglich in solche identische Tarifverträge hineinzuverhandeln.

Und was soll diesmal das Streikziel sein? "Lokführer fordern neuen Brief vom Bahnvorstand", im Grunde ist dies die Parole, unter der die Mitglieder der GDL allen Ernstes aufgerufen werden, die Arbeit niederzulegen und Schäden in Millionenhöhe anzurichten. Es wird aber kaum einen Brief und kaum eine Formulierung geben, die die Gewerkschaft davor schützen, sich am Ende in dem einen oder anderen Punkt nicht durchsetzen zu können; erst recht nicht, solange der Konflikt derart emotional ausgetragen wird wie bisher.

© SZ vom 19.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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