Soziale Gerechtigkeit:Die Illusion vom amerikanischen Traum

Protesters And Trump Supporters Gather In D.C. For Donald Trump Inauguration

Neue Studien zeigen, dass der "American Dream" für viele nicht funktioniert.

(Foto: AFP)
  • In zwei Studien wurde untersucht, wie sich der Lebensstandard von Familien in den USA entwickelt hat.
  • Sie zeigen: Das Versprechen vom sozialen Aufstieg gilt längst nicht mehr für jeden, und auch die Umverteilung durch den Staat bleibt weitgehend wirkungslos.

Von Catherine Hoffmann

Der Glaube an den amerikanischen Traum ist angeschlagen. Die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten wird von vielen Wissenschaftlern als die Rache der Abgehängten interpretiert, die verbittert darüber sind, dass die Einkommensungleichheit seit Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 zugenommen hat. Trotz guter Wirtschaftszahlen haben die meisten amerikanischen Arbeiter und große Teile der Mittelschicht das Gefühl, dass ihr Lebensstandard stagniert, während sich die Lage der Besserverdiener schnell erholt hat.

Zwei beachtliche Studien über die Entwicklung von Einkommen und Vermögen in den USA zeigen nun, dass dieses Gefühl nicht von ungefähr kommt. Die Autoren zeichnen ein umfassendes Bild der sozialen Ungleichheit, die sich nicht erst mit der jüngsten Wirtschaftskrise verschärfte, sondern seit Generationen wächst. "The Fading American Dream" haben sechs Wissenschaftler aus Stanford und Harvard über ihr Papier geschrieben, der verblassende amerikanische Traum.

Gemeint ist der Traum von einem Land, in dem das Leben für alle "besser und reicher und voller" sein sollte, wie es der amerikanische Publizist James Truslow Adams in seinem 1931 veröffentlichten Buch "The Epic of America" formulierte. Dieser Glaube, dass es jeder - wenn er nur hart genug dafür arbeitet - nach oben schaffen kann, hat die Vereinigten Staaten von Anfang an zusammengehalten. In den Jahrzehnten nach der Großen Depression wurde dieser Traum Wirklichkeit. Ein ungewöhnlich starkes Wirtschaftswachstum verbesserte den Lebensstandard aller Amerikaner, egal ob sie reich oder arm waren oder der Mittelschicht angehörten. 92 Prozent aller Kinder, die im Jahr 1940 in einem durchschnittlichen Haushalt geboren wurden, verdienten mit 30 Jahren mehr als ihre Eltern mit 30 verdient hatten. Auch den Kindern, denen dies nicht gelang, ging es oftmals gut: Sie waren nicht selten in einem reichen Haushalt aufgewachsen, der Vater Vorstand in einem Unternehmen, und arbeiteten selbst als Ärzte, Anwälte oder Professoren.

40 Jahre später gilt das Versprechen vom Aufstieg nicht mehr für alle: Nur die Hälfte der Kinder, die im Jahr 1980 geboren wurden, verdiente später mehr als ihre Eltern. "Im Grunde entscheidet ein Münzwurf, ob es einem besser geht als den Eltern", sagt Raj Chetty, Wirtschaftsprofessor und einer der Studienautoren. Aus dem Jahrgang 1950 gelang es immerhin noch fast 80 Prozent, den Wohlstand der Eltern zu übertreffen. Die Generationen der 1960 und 1970 Geborenen verwirklichten noch zu rund 60 Prozent die Hoffnungen auf ein besseres Leben. Der amerikanische Traum verblasst tatsächlich. Die Chance auf Teilhabe und Glück ist längst nicht mehr für alle Amerikaner gleich. Angesichts dieser Zahlen muss es niemanden überraschen, dass sich schleichend über viele Jahre und Jahrzehnte Frust aufgebaut hat.

Dank der neuen Daten kann man die Entwicklung von Familien verfolgen

Die Daten sind eine kleine Sensation. Trotz aller Statistiken, die Wissenschaftlern heute zur Verfügung stehen, war es bislang nicht möglich zu messen, wie viele Amerikaner wohlhabender sind als ihre Eltern. Dazu müssten die Forscher nämlich einzelne Familien über viele Jahrzehnte begleiten und all ihre Wirtschaftsdaten akribisch sammeln. Der Durchbruch gelang, als Chetty und andere Ökonomen vor einigen Jahren Zugriff auf Millionen von anonymisierten Steuerdaten bekamen, die etliche Jahrzehnte umfassen. Nun war es endlich möglich, die Generationen miteinander zu vergleichen. Betrachtet wurde das Einkommen, bereinigt um Inflation, Steuern und staatliche Transferleistungen.

Die Daten ermöglichen nicht nur einen neuen Blick auf die wirtschaftliche und soziale Lage der USA, sie zeigen auch, wie sich Adams Traum wiederbeleben ließe. Was also getan werden müsste, damit mehr Menschen der Aufstieg gelingt. Wer jetzt glaubt, ein kräftigeres Wirtschaftswachstum allein löse das Problem, wird enttäuscht sein. Entscheidender noch als ein starker Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts ist die Frage, wie der wachsende Wohlstand verteilt wird.

Um das herauszufinden, haben die Wissenschaftler zwei Szenarien für den Jahrgang 1980 durchgerechnet, die heute 37-Jährigen also. Im ersten Szenario unterstellen sie ein ebenso hohes Wirtschaftswachstum wie in den Vierziger- und Fünfzigerjahren - bei gleicher Verteilung des Erreichten auf die verschiedenen Einkommensklassen wie im Jahr 2010. In diesem Fall steigt die Quote derer, die mehr verdienen als ihre Eltern, von 50 auf 62 Prozent. Im zweiten Szenario wurde angenommen, dass die Wirtschaftsleistung wie im Jahr 1940 auf die verschiedenen Einkommensklassen verteilt wird, also wesentlich gleichmäßiger als heute - während das Wirtschaftswachstum auf dem vergleichsweise niedrigen Niveau von 2010 verharrt. In diesem Fall schnellt die Quote der Aufsteiger von 50 auf 80 Prozent.

Es kommt also weniger auf das Wachstum als vielmehr auf die Verteilung des erreichten Wohlstands an, will man das Versprechen vom Aufstieg der Fleißigen und Tüchtigen auch in der Gegenwart einlösen. Wie stark die Ungleichheit in den USA zugenommen hat, belegt auch eine Studie von Thomas Piketty, Emmanuel Saez und Gabriel Zucman. Die Wissenschaftler haben dafür nicht nur die Einkommen in den Blick genommen, sondern auch die Auswirkungen von Besteuerung, Sozialausgaben sowie die Einkünfte aus Kapitalanlagen. Ergebnis: Der Anteil der schlechter verdienenden Hälfte der amerikanischen Bevölkerung am Nationaleinkommen verharrt seit 1980 bei etwa 16 000 Dollar (vor Steuern). Das Einkommen der unteren Schichten stagniert also seit zwei Jahrzehnten.

In derselben Zeit steigerte der Durchschnitt der Amerikaner seinen Anteil um 60 Prozent auf 64 500 Dollar, während das eine Prozent der Spitzenverdiener sein Kuchenstück von 420 000 auf 1,3 Millionen Dollar vergrößern konnte. Das führt dazu, dass das Nationaleinkommen 2014 ungleicher verteilt ist als 1980: Der Anteil der schlechter verdienenden Bevölkerungshälfte schrumpfte von 20 auf zwölf Prozent, gleichzeitig schnellte der Anteil des einen Prozent der Spitzenverdiener am Nationaleinkommen von zwölf auf 20 Prozent.

Staatliche Umverteilung ist weitgehend wirkungslos geblieben

Auch wenn man Steuern und Sozialleistungen berücksichtigt, ändert sich überraschend wenig an diesem Bild. Staatliche Umverteilung bleibt also weitgehend wirkungslos. Als wichtigsten Grund für die zunehmende Ungleichheit in jüngster Zeit machen die Ökonomen den rasanten Anstieg der Kapitaleinkünfte seit Ende der Neunzigerjahre aus, der vor allem den Spitzenverdienern zugutekam, die große Aktien- und Rentendepots besitzen.

Die neuen Studien erschüttern einmal mehr den Mythos von der sozialen Durchlässigkeit der amerikanischen Gesellschaft. Arbeit ist in den USA längst kein Garant mehr für Wohlstand und Gerechtigkeit, wie Adams noch gedacht hatte.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: