Schattenbanken und der G-20-Gipfel:Jenseits aller Regeln

A man runs in front of the skyline of New York's Lower Manhattan and One World Trade Center in a park along the Hudson River in Hoboken

Schattenbanken machen Geschäfte wie normale Banken, unterliegen aber keiner staatlichen Kontrolle.

(Foto: REUTERS)

Sie waren maßgeblich am Ausbruch der Finanzkrise beteiligt, können aber immer noch ohne staatliche Kontrolle agieren: Das entscheidende Problem vor dem G-20-Treffen in Sankt Petersburg ist die Regulierung der Schattenbanken. Wegen der Syrien-Krise bleibt kaum Zeit für dieses Thema, heißt es schon vorab. Doch Ausreden gibt es immer. Die 20 führenden Industrie- und Schwellenländer der Welt laufen Gefahr, sich lächerlich zu machen.

Ein Kommentar von Ulrich Schäfer

Ausreden gibt es immer. Ausreden hört man nun schon seit fünf Jahren. Seit dem Zusammenbruch der Wall Street wurden die entscheidenden Schritte, die die Finanzwelt sicherer machen würden, immer wieder verschoben. Auch jetzt, vor dem G-20-Treffen in Sankt Petersburg, heißt es, dass für dieses Thema leider nicht so viel Zeit bleiben wird wie ursprünglich geplant - wegen der Syrien-Krise. Die 20 führenden Industrie- und Schwellenländer der Welt laufen, wie Kanzlerin Angela Merkel im Bundestag zu Recht angemerkt hat, damit Gefahr, sich lächerlich zu machen.

Das entscheidende Problem, das die Aufseher in Europa und Nordamerika, in Berlin, Brüssel und Basel, in Washington und New York seit nunmehr fünf Jahren immer wieder verschieben, ist die Regulierung der sogenannten Schattenbanken. Dabei handelt es sich um Finanzinstitute, die beinahe wie Banken agieren, in Wahrheit aber keine sind. Sie sind manchmal in den großen Finanzzentren zu Hause, jedenfalls mit ihren Büros, soweit es sich um Hedgefonds, Geldmarktfonds oder Private-Equity-Gesellschaften handelt - ihren rechtlichen Sitz haben aber auch diese Gesellschaften oft dort, wo die meisten anderen Schattenbanken zu Hause sind: in den Steueroasen dieser Welt, in den kleinen und manchmal auch etwas größeren Paradiesen, in denen es an beidem fehlt - an vernünftiger Steuererhebung und an einer echten Aufsicht.

Über die Schattenbanken in den Steueroasen, über sogenannte Zweckgesellschaften oder wie die Banker sie nennen: "Special Purpose Vehicle", wurden jene hochkomplexen, riskanten Kreditpakete um den Globus verschickt, die später bei deutschen Landesbanken oder der Düsseldorfer IKB-Bank so verheerende Wirkungen entfalteten. Ohne diese Zweckgesellschaften hätte dieses Geschäft niemals so floriert. Ohne sie hätte auch der globale Derivate-Handel nicht einen derartigen Aufschwung erlebt.

"Ein magisches mystisches System"

Geschaffen wurde dieses Schattenreich nicht etwa durch irgendwelche zwielichtigen Gestalten, sondern durch die größten Banken der Welt: Sie haben, wie es Bill Gross von Pimco, dem größten Vermögensverwalter der Welt, schon vor dem Zusammenbruch von Lehman Brothers kritisiert hat, "ein magisches mystisches System" entwickelt, das "unberührt von jeglicher Regulierung" ist. Ein Reich, "das nur die schlauen Köpfe der Wall Street verstehen".

Dieses Reich haben die großen Finanzinstitute der Welt auch dazu genutzt, ihre Bilanzen von lästigen Krediten zu befreien: Sie haben erst Abermilliarden verliehen, um diese Kredite dann zu verpacken und an Schattenbanken zu verkaufen. Dadurch verschafften sie sich den Spielraum, neue Milliardenkredite zu vergeben, die sie dann ebenfalls verkauften - an diskrete Gesellschaften, die keinerlei Aufsicht unterlagen und die, anders als normale Banken, keinerlei Kapitalreserven zurücklegen müssen.

Die globalen Eigenkapitalregeln, bekannt unter dem Begriff "Basel", galten für sie nicht, weshalb eine Studie der Royal Bank of Scotland Ende 2007 zu einem ernüchternden Ergebnis kam: Allein in den USA entstammten etwa die Hälfte aller Kredite, die in den beiden Jahre zuvor ausgereicht wurden, letztlich dem Reich der Schattenbanken.

Es droht der nächste Crash

All dies war spätestens seit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers und AIG sowie dem Kollaps deutscher (Landes-)Banken, die alle vielfältige Geschäfte mit Schattenbanken unterhielten, hinlänglich bekannt. Doch was ist seither bei der Regulierung geschehen? Fast nichts. Schlimmer noch: das Falsche.

Denn die Aufseher und Politiker in Europa und in den USA haben bei ihrem Bemühen, das Finanzsystem sicherer und stabiler zu machen, vor allem in jener Welt angesetzt, die sie kennen: bei den klassischen Banken. Diesen haben sie auferlegt, für ihre riskanten Geschäfte künftig mehr Eigenkapital zurückzulegen; sie haben auch durch andere Vorschriften versucht, die klassische Bank sicherer zu machen und einzuengen. Doch solange sie nur dort ansetzen, nicht aber bei den Schattenbanken, solange hat das Handeln der Regulierer fatale Folgen: Sie ermuntern die Finanzindustrie geradewegs dazu, noch mehr Geschäfte aus der regulierten in die unregulierte Welt zu verlagern.

Fünf Jahre nach dem Zusammenbruch der Wall Street ist es daher an der Zeit, jenes Ziel endlich umzusetzen, das Angela Merkel schon vor bald fünf Jahren ausgegeben hat: Jedes Finanzinstitut und jedes Finanzprodukt auf dieser Welt muss einer einheitlichen Regulierung unterliegen. Andernfalls wird im Reich der Schattenbanken irgendwann der nächste Crash seinen Anfang nehmen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: