Pipers Welt:Bodensperre

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Nikolaus Piper schreibt an dieser Stelle jeden zweiten Freitag. Zeichnung: Bernd Schifferdecker (Foto: N/A)

Immer wieder haben Ökonomen versucht, die Probleme der Städte durch Verstaatlichung von Grund und Boden zu lösen. Keines der Modelle hat funktioniert.

Von Nikolaus Piper

Die Explosion der Mieten in den Städten ist die große soziale Frage der Gegenwart. Wenn eine Durchschnittsfamilie 40 Prozent ihres Nettoeinkommens und mehr für Miete ausgeben muss, ist das nicht mehr nachhaltig. So entsteht soziale Not. Für das alles gibt es auch einen Sündenbock: der Spekulant. So stand die große Demonstration gegen den "Mietwahnsinn" am 15. September in München unter dem Motto: #ausspekuliert. Das war sehr eingängig und brachte mehr als 10 000 Menschen auf die Straße.

Aber sind Spekulanten wirklich das Problem? Sicher, es gibt unangenehme Menschen, die in dem überhitzten Markt die prekäre Lage der Mieter ausnutzen. Aber auf steigende Mieten kann man nur dann spekulieren, wenn die Mieten ohnehin steigen. Und das tun sie ganz einfach deshalb, weil die Nachfrage das Angebot bei Weitem übersteigt. Das hat drei Gründe: Erstens wollen immer mehr Menschen in die Städte, zweitens braucht es Zeit, um neue Wohnungen zu planen, genehmigen zu lassen und zu bauen. Und drittens: Grund und Boden lassen sich nicht vermehren, wie hoch auch immer die Nachfrage ist. Diese fundamentale Knappheit bedeutet, dass das Wachstum der Städte einen Preis hat, und zwar nicht nur in Gestalt höherer Mieten. Neue Wohngebiete bedeuten Flächenfraß, Verdichtung nimmt gewachsenen Quartieren ihren Charakter, wohlhabende Mieter verdrängen ärmere, was man dann "Luxusmodernisierung" nennt.

Viele Kritiker gehen heute weiter. Sie wollen den Markt aus der Versorgung mit Wohnungen verbannen oder ihn zumindest stark einschränken. Wohnen soll ein Grundrecht werden, für das der Staat einzutreten hat. Hier lohnt ein Blick in die Geschichte der Nationalökonomie. Immer wieder traten unorthodoxe Denker auf, die aus sozialen Gründen das Privateigentum an Grund und Boden abschaffen wollten. Aus deren Denken und Scheitern lässt sich viel für die gegenwärtige Lage lernen.

Ein guter Ausgangspunkt ist die Münchner Räterepublik, deren Gründung sich im kommenden Frühjahr zum 100. Mal jährt. Im "Zentralrat der Bayerischen Republik" saß vom 7. bis 14. April 1919 der deutsch-argentinische Kaufmann und Ökonom Silvio Gesell als "Volksbeauftragter für das Finanzwesen" (lesenswert dazu der kleine Band: Werner Onken: Silvio Gesell in der Münchener Räterepublik). Gesell war Erfinder der "Freiwirtschaftslehre". Deren Kern ist es, sowohl den Geldzins, als auch den Gewinn aus der Knappheit des Bodens (die "Grundrente") abzuschaffen. Grund und Boden sollten zu Staatseigentum werden, das die bisherigen Eigentümer aber weiter hätten nutzen dürfen, aber eben ohne eine Grundrente zu beziehen. In München plante Gesell eine bayerische Währungsreform und eine Vermögensabgabe als Lastenausgleich, ehe die Räteregierung am Ende war. Gesells Ideen leben heute noch in einigen Experimenten mit Regionalgeld ("Chiemgauer", "Donautaler") weiter, seine Pläne für eine Bodenreform wurden nie verwirklicht.

Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang der Arzt und Soziologe Franz Oppenheimer (1864-1943). Der liberale Sozialist wurde unter anderem bekannt als akademischer Lehrer des späteren Bundeswirtschaftsministers Ludwig Erhard. Oppenheimer wollte Grund und Boden in Gemeineigentum überführen. Das sollte lösen, was er als Schlüsselproblem des Kapitalismus ansah: die "Bodensperre". Großgrundbesitzer, so die Theorie, teilten das ursprünglich freie Land auf, sie verdrängten die Bauern, die sich nun als Lohnarbeiter verdingen mussten. Das Privateigentum an Boden sorgte so ständig für eine billige industrielle Reservearmee und für Armut in den Städten. Oppenheimers Problem lag darin, dass er die Verhältnisse im Frühkapitalismus treffend beschrieb, dass die Theorie aber schon zu seiner Zeit anachronistisch war. Erst recht nicht passt seine Theorie auf eine Gesellschaft, in der die Menschen in die Städte ziehen, weil das Leben dort so attraktiv ist. Oppenheimer wirkte, als Mitglied der zionistischen Bewegung, an der Gründung einer Genossenschaft südlich von Nazareth mit, seine Vorstellungen zur Bodenreform wurden jedoch vergessen.

Das Gemeinwohl ist ein hehres Ziel, aber ein schlechter Maßstab

Und dann gab es den Journalisten und Ökonomen Henry George (1839-1897). Der führende Vertreter der progressiven Ära in Amerika wollte den Grundbesitzern zwar ihr Land lassen, die Grundrente aber hart besteuern, und zwar so, dass das Aufkommen ausgereicht hätte, sämtliche Ausgaben des Staates zu finanzieren. Mit seinen Ideen von einer "Single Tax" wäre George fast Bürgermeister von New York geworden, verwirklicht wurden sie nie.

Es hat einen Grund, dass noch keine demokratische Gesellschaft Grund und Boden in öffentliches Eigentum überführt hat. Der Markt ist unabdingbar, um mit der fundamentalen Knappheit des Bodens umzugehen. Das Gemeinwohl ist ein hehres Ziel, aber ein schlechter Maßstab. Wenn es konkret wird, sind Interessenkonflikte und Willkür unvermeidlich. Zu besten sowjetischen Zeiten brauchte man einen Berechtigungsschein, um in Moskau zu wohnen. Und die DDR war, was die Wohnungspolitik betrifft, auch nicht gerade ein leuchtendes Vorbild. Auch bei erfolgreichen staatlichen Wohnprojekten muss man genau hinsehen. Der zu Recht gelobte Wiener Gemeindebau konnte nur deshalb entstehen, weil nach dem Ersten Weltkrieg der Immobilienmarkt in Österreich zusammengebrochen war und Grundstücke zu einem Spottpreis zu haben waren. Das Modell ist also nicht kopierbar.

Es bleibt nur der Rückgriff auf die sehr pragmatischen, aber bewährten Mittel der bundesdeutschen Wohnungspolitik: Subventionen für Mieter ("Wohngeld") und neue Mietwohnungen ("Sozialer Wohnungsbau"). Die Spekulation allerdings wird bleiben.

© SZ vom 28.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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