Einkaufen:Wie klimaschädlich ist der Onlinehandel?

Deutsche Post DHL

Online zu bestellen könnte klimafreundlicher sein als im Laden einzukaufen - wenn es nicht so viele Retouren gäbe.

(Foto: dpa)
  • Jedes sechste Paket, das im Internet bestellt wird, schicken Kunden wieder zurück. Die Retouren verursachen jede Menge CO₂.
  • Doch auch beim Einkaufen im Laden entsteht das klimaschädliche Gas: etwa bei der Anreise mit dem Auto, beim Heizen und Beleuchten der Verkaufsflächen.
  • Der Vergleich ist schwierig, weil er von vielen individuellen Faktoren abhängt. Doch klar ist: Wer das Klima schonen will, sollte zu Fuß oder mit dem Fahrrad einkaufen - oder beim Online-Shopping möglichst wenig zurückschicken.

Von Michael Kläsgen

Die Zahlen stammen aus dieser Woche, sie platzen mitten hinein in die Debatte um eine mögliche CO₂-Steuer und vor allem: Sie widersprechen sich auf den ersten Blick: Einerseits brandmarkt die Universität Bamberg den Onlinehandel als Klimakiller: Jedes sechste im Internet bestellte Paket werde wieder zurückgeschickt. Die Retouren belasteten das Klima so wie "täglich 2200 Autofahrten von Hamburg nach Moskau", beklagt Projektleiter Björn Asdecker.

Der Handelsverband HDE twitterte hingegen fast zur gleichen Zeit euphorisch: Der Handel habe seine CO₂-Emissionen im Vergleich zu 1990 um 50 Prozent gesenkt. Die Unternehmen arbeiteten also immer umweltschonender. Die Zahlen stammen aus dem Klimaschutzbericht 2018 des Bundesumweltministeriums. Auf Nachfrage fügt der HDE allerdings hinzu: Der vom Handel verursachte Straßenverkehr ist in den Zahlen nicht inbegriffen.

Wem darf man also glauben? Und wie sollte man einkaufen, wenn man es ökologisch nachhaltig tun will? Ist etwas dran an der Behauptung mancher Onlinehändler: Wer online einkaufe, fahre nicht selber einkaufen und verursache dadurch weniger CO₂-Emissionen? Gibt es dazu überhaupt verlässliche Studien?

Je weniger Wege zurückgelegt werden, desto besser die Klimabilanz

Nein, lautet die Antwort vom Umweltbundesamt, das den CO₂-Ausstoß aller möglichen Emissionsquellen in Deutschland akribisch auflistet und einen wissenschaftlich fundierten Online-Rechner zur Ermittlung des individuellen ökologischen Fußabdrucks anbietet. Nur: Zum Onlinehandel sind derzeit noch keine belastbaren Zahlen verfügbar. Dabei wird der im Alltagsleben vieler Bürger immer selbstverständlicher. Laut dem E-Commerce-Verband BEVH wächst er auch in diesem Jahr wieder zweistellig um voraussichtlich elf Prozent und erreicht dann einen Umsatz von schätzungsweise 72 Milliarden Euro.

Weil die Bedeutung steigt, arbeitet das Umweltbundesamt daran, die logistik- und verkehrsbezogenen Emissionen des Onlinehandels zu berechnen. Bis erste Ergebnisse vorliegen, muss man sich allerdings voraussichtlich bis Ende des Jahres gedulden. Denn die Berechnung ist komplex. Je nachdem, ob jemand auf dem Land oder in der Stadt wohnt, wie viel er online bestellt und zurückschickt, kippt das Ergebnis in die eine oder andere Richtung.

"Was man aber allgemein sagen kann", fasst ein Forscherteam des Umweltbundesamts zusammen: "Onlinehandel wird besser, wenn man die Retourensendungen reduziert. Offlinehandel wird besser, wenn die Geschäfte in Energieeffizienz wie Heizung oder Beleuchtung investieren und die Konsumenten zu Fuß oder mit dem Fahrrad einkaufen."

Insofern sind die Nachrichten aus dieser Woche von der Universität Bamberg und dem HDE doch nicht so widersprüchlich, wie sie auf Anhieb erscheinen. Sie bedeuten: Die Retouren nehmen in einem boomenden Onlinehandel zu und können die ökologischen Vorteile von Einkäufen im Internet ins Gegenteil verkehren. Und die Zahlen des HDE zeigen, wie sehr vor allem der stationäre Handel, für den der Verband im Wesentlichen steht, an Energieeffizienz gewonnen hat und dadurch für den Verbraucher zumindest aus ökologischen Gründen attraktiver wird. Andererseits ist auch klar, dass nur die wenigsten ihre Einkäufe mit dem Fahrrad oder zu Fuß machen wollen und können.

Nur wenn man aber alle Kriterien berücksichtigt, kann man halbwegs seriös feststellen, ob es im Einzelfall umweltschonender ist, offline oder online einzukaufen. Allgemeine Aussagen lassen sich jedenfalls kaum treffen. Das zeigt auch eine beispielhafte Untersuchung des Öko-Instituts, in der die durchschnittlichen Emissionen beim Schuhkauf berechnet werden (siehe Grafik). Welches Verkehrsmittel dabei verwendet wird, ist dabei von entscheidender Bedeutung. Grundsätzlich gilt dem Öko-Institut zufolge: Je weniger Wege zurückgelegt werden, desto besser die Klimabilanz.

Oft muss zwar die von Lieferwagen verstopfte Straße als Beleg für den vom Onlinehandel verursachten ökologischen Albtraum herhalten. Staus sind in Großstädten Realität, haben aber mehrere Gründe, nicht nur den Onlinehandel. Isoliert betrachtet kann nach Aussage der Wissenschaftler das Versenden eines Pakets sogar klimafreundlicher sein als die Fahrt mit dem Auto zum Einkauf. Ein Paketversand verursache nur etwa ein Viertel, ein Versand inklusive einer Retoure nur die Hälfte der Treibhausgasemissionen einer sechs Kilometer langen, durchschnittlichen Einkaufsfahrt mit dem Auto, die den Ausstoß von etwa 2400 Gramm CO₂ erzeugt.

Wer sich beliefern lässt, ist oft trotzdem mit dem Auto unterwegs

Haken Nummer eins an der Rechnung: Allzu oft bleibt es nicht bei nur einem Versand pro Produkt. Der bestellte Schuh drückt, führen die Wissenschaftler des Öko-Instituts an, oder die Farbe des Pullovers sah auf dem Bildschirm anders aus als gewünscht. Folglich wird die Ware zurückgesandt. Die Öko-Bilanz des Online-Einkaufs verschlechtert sich aber noch durch einen anderen Effekt. In der Wissenschaft wird er "konstantes Mobilitätszeitbudget" genannt. Gemeint ist damit: Wer online bestellt, wartet deshalb nicht däumchendrehend daheim auf die Lieferung. Im Gegenteil, er ist, Haken Nummer zwei, anderweitig unterwegs, und das nicht selten mit dem Auto.

Verstopfte Straßen sind damit nicht zwangsläufig eine direkte Folge des steigenden Onlinehandels, aber mutmaßlich die Konsequenz eines auch durch ihn verursachten erhöhten Verkehrsaufkommens nicht nur in den Innenstädten.

Zu berücksichtigen wäre bei dem steigenden Verkehr auch, dass die Retourenquote noch schneller wächst als der Onlinehandel. Nach Berechnungen des Branchenverbands Bitkom stieg die Zahl der Retouren innerhalb von nur zwei Jahren um 20 Prozent. Vor allem bei Bekleidung ist die Praxis verbreitet. Laut Bitkom wird die Möglichkeit der kostenlosen Retoure von allen Käufergruppen, insbesondere aber von Frauen zwischen 14 und 29 Jahren genutzt. Einzelne Händler versuchen inzwischen dem Trend entgegenzuwirken.

Wer im Laden einkauft, tauscht weniger um - und spart dadurch CO₂

So sammelt der mit E-Vans fahrende Online-Lebensmittelhändler Picnic beispielsweise Pakete des Online-Modehändlers Zalando wieder ein und bringt sie zur Poststelle. Andere Händler setzen Live-Chats, 360-Grad-Bilder, Nahaufnahmen und Videos ein, um Fehlkäufe und damit das Risiko von Rücksendungen zu reduzieren. Noch ist der stationäre Handel hier aber laut Öko-Institut gegenüber dem Onlinehandel im Vorteil. Wer im Ladengeschäft einkauft, kann sich an Ort und Stelle beraten lassen, findet leichter das passende Produkt und tauscht nachgewiesenermaßen weniger um - und das ist gut für die Umwelt. Zudem stärkt es die Attraktivität lokaler Einkaufszonen.

Unterm Strich verweist das Umweltbundesamt aber darauf, dass nach gegenwärtigem Kenntnisstand der Unterschied zwischen isoliert betrachtetem Online- und Offlinehandel "in der Tendenz unklar bis schwach ist". Zudem ist die Relevanz von einzelnen Güterkäufen so gering, dass sie im CO₂-Rechner des Amts in der Rubrik "Sonstiger Konsum" versteckt sind. Kategorien wie Auto, Flugreisen oder Heizenergiebedarf sind hingegen so groß, dass das Amt sie direkt abfragt.

Um die ökologischen Konsequenzen eines Einkaufs richtig beurteilen zu können, müsste man nach Ansicht der Wissenschaftler ohnehin einbeziehen, wie viel CO₂ die Herstellung des jeweiligen Produkts verursacht. Die Rohstoffgewinnung und Fabrikation von Bettwäsche erzeugt etwa 100 Kilogramm CO₂, der Verkauf inklusive Einkaufsfahrt im Vergleich dazu "nur 3,5 Kilo" zusätzlich.

Allgemeine Empfehlungen zugunsten oder zulasten des einen oder anderen Vertriebswegs will das Umweltbundesamt nicht abgeben. Moritz Mottschall vom Öko-Institut meint dagegen, am hilfreichsten sei es, sich zu fragen: "Braucht man das, was man kauft, auch wirklich?"

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