Online-Banking:Ach, Schorsch

Online-Banking: Kunden der österreichischen Erste Bank nutzen die App des Geldhauses auch als elektronisches Haushaltsbuch.

Kunden der österreichischen Erste Bank nutzen die App des Geldhauses auch als elektronisches Haushaltsbuch.

(Foto: Imago)

Während die deutschen Sparkassen noch mit der Digitalisierung ringen, haben die Österreicher längst ein vorbildliches Online-Banking entwickelt.

Von Heinz-Roger Dohms, Wien

Was Besseres als George hätte den Sparkassen im Grunde nicht passieren können. Denn George könnte die Antwort auf einige der existenziellen Fragen sein, die sich viele deutsche Sparkassen-Funktionäre momentan stellen: Was sollen wir dem Ansturm junger Finanz-Start-ups ("Fintechs") entgegensetzen? Wie können wir verhindern, dass uns die "Millennials" davonlaufen? Und lässt sich in Zeiten der Digitalisierung mit klassischen Finanzgeschäften überhaupt noch Geld verdienen? Nun gibt es mit George aber ein Problem: Er ist kein Deutscher. Sondern Österreicher. Was man auch daran erkennt, dass sein Schöpfer ihn als "Schorsch" ausspricht. Und jetzt?

George heißt das Online-Banking des österreichischen Sparkassenkonzerns Erste Group. Natürlich ist das ein schräger Name - doch was macht das schon? Schließlich ist die ganze Geschichte von George ziemlich schräg. Angefangen bei besagtem Schöpfer: Boris Marte, 52 Jahre, ein feingliedriger Mann mit langen, welligen grauen Haaren und schmal geschnittener Anzughose. Eigentlich hatte man gedacht, Marte sei ein Banker. Oder ein Techie. Stattdessen erzählt er, dass er Jura studiert habe. Und Kulturphilosophie. Den früheren Mitarbeiter des damaligen österreichischen Vize-Kanzlers Erhard Busek (ÖVP) hatte es zur Sparkassen-Stiftung verschlagen. Im Jahre 2012 wurde Marte dann gefragt, ob er nicht die Leitung einer Projektgruppe übernehmen wolle. Erster Auftrag: ein neues Online-Banking für die Erste Group zu entwickeln.

Im Grunde genommen war die Sache zum Scheitern verurteilt. Was soll eine anfangs nur gut 20 Leute starke, von einem Kulturphilosophen geführte Truppe gegen die Wucht der Digitalisierung ausrichten? Bloß: Die Sache scheiterte nicht. Im Gegenteil. Nur rund zwei Jahre benötigten Marte und sein Team für die Entwicklung von George. Schon bald galt das Tool in Finanzkreisen als derart wegweisend, dass selbst die Fintech-Revolutionäre staunen: "Es gibt in ganz Europa keine besseres Online-Banking", meint zum Beispiel André Bajorat, einer der profiliertesten deutschen Fintech-Unternehmer.

Die Kundenzahlen bestätigen die Experteneinschätzung: Schon jetzt wird George von knapp 900 000 Menschen genutzt - was jedem achten erwachsenen Österreicher entspricht. Wer die George-App auf seinem Handy hat, loggt sich durchschnittlich zehnmal pro Monat ein.

Das Erfolgsgeheimnis ist vermutlich, dass George tatsächlich nicht von Bankern gebaut wurde. Stattdessen setzte Marte vor allem auf sogenannte Experience Designer - das sind Menschen, die darauf spezialisiert sind, Webseiten und Apps so zu gestalten, dass sich der User intuitiv auf ihnen zurechtfindet. Anstatt das Tool mit Funktionen zu überfrachten, beschränkte sich George in der Basisversion zunächst auf einige wenige Anwendungen wie das Überweisen von Geld. "80 Prozent der Leute brauchen nur 20 Prozent der möglichen Anwendungen. Also haben wir uns zunächst auf diese 20 Prozent konzentriert", sagt Boris Marte.

Mit George nur ein Online-Banking zu bezeichnen, wäre gleichwohl zu kurz gesprungen. Die wichtigste Funktion ist ein sogenannter Personal Finance Manager (PFM) - den man sich vorstellen muss wie ein elektronisches Haushaltsbuch: George wertet jede einzelne Kontobewegung aus und übersetzt sie in anschauliche Tabellen, die dem Nutzer mit wenigen Klicks sein Ausgabenverhalten der vergangenen Tage, Wochen, Monate oder sogar Jahre vor Augen führen. Es ist vor allem der PFM, warum sich manche App-Nutzer beinah täglich einloggen. "Inzwischen bieten zwar viele Banken solche Applikationen an. So übersichtlich wie George bekommt das aber kaum einer hin", sagt der Bankenberater Karsten Junge von der Firma Consileon.

Angeblich machen sich mittlerweile immer wieder mal deutsche Sparkassen-Delegationen auf den Weg nach Wien, um sich George vorführen zu lassen. Das heißt allerdings nicht, dass sie planen, das Tool demnächst auch hierzulande anzubieten. George mal eben auf die deutschen Sparkassen zu übertragen, sei wegen der unterschiedlichen "Kernbanksysteme" kaum möglich, heißt es beim Sparkassenverband DSGV. Doch ist das der einzige Grund? Jemand, der sich sehr gut auskennt im Sparkassenlager, meint: "Bevor die Deutschen was von den Österreichern übernehmen, wackelt eher der Schwanz mit dem Hund."

Fest steht: Die Sparkassen in Deutschland tun sich mit dem Thema Fintech sehr viel schwerer als ihre österreichischen Kollegen. Das liegt vermutlich auch daran, dass es sich bei der Erste Group um einen straff organisierten Konzern handelt - während der deutsche Sparkassensektor in Hunderte selbständige Einzelinstitute zerfällt, die sich nur schwerlich auf eine gemeinsame Digitalstrategie verpflichten lassen. Paydirekt zum Beispiel, also der Paypal-Klon der deutschen Banken, war bei den Sparkassen derart umstritten, dass sich die Einführung um viele Monate verzögerte. Inzwischen halten manche Kritiker das ganze Projekt für gescheitert.

Auch bei der geplanten Sparkassen-Konto-App Yomo wird der Grundkonflikt wieder augenfällig. Hinter Yomo nämlich stehen lediglich zehn Großsparkassen - während die übrigen rund 400 Institute und der DSGV die Pläne mehr oder weniger argwöhnisch beobachten. Kann sein, dass Yomo trotzdem ein Erfolg wird. Kann aber auch sein, dass das Projekt wie manches vor ihm an internen Reibereien scheitert. Mit solchen Problemen brauchen sich die Österreicher nicht herumzuschlagen. Stattdessen stecken sie sich bereits neue Ziele: Schon bald soll George mehr als eine Million Nutzer haben.

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