Neues Tarifgesetz:Egoisten stoppen, Grundgesetz achten

Lokführerstreik

Geplantes Gesetz zur Tarifeinheit: Szene vom Lokführerstreik der GDL aus dem Jahr 2011

(Foto: dpa)

Ob Lokführer oder Piloten: Der maßlose Egoismus von Mini-Gewerkschaften schadet der Wirtschaft. Es hätte große Vorteile, ihre Macht per Tarifeinheit zu begrenzen. Das neue Gesetz von Arbeitsministerin Nahles allerdings ist extrem schädlich.

Kommentar von Nikolaus Piper

Deutschlands Lokführer - sie gehörten zu den großen Ärgernissen des vergangenen Jahres. Genauer: Es war ihre Spezialgewerkschaft mit dem Vorsitzenden Claus Weselsky, die der Deutschen Bahn unnötige, unverhältnismäßige und für das Staatsunternehmen extrem schädliche Streiks aufzwängte. Auf der Liste der Ärgernisse dürfen auch die Piloten nicht fehlen, deren Interessenvertretung die Lufthansa in den vergangenen Jahren ähnlich aggressiv mit Streiks überzogen haben. Das Phänomen relativ kleiner, aber geschlossener und angriffslustiger Spartengewerkschaften war in Deutschland früher fast unbekannt, wenn man einmal von den Fluglotsen absieht. Inzwischen sind sie fast schon, als Konkurrenz zu den DGB-Gewerkschaften, die neue Normalität bei Bahn und Lufthansa. Die Unternehmen müssen sich plötzlich mit konkurrierenden Tarifforderungen herumschlagen - mit "Tarifkollision", wie Experten sagen.

Dem will die große Koalition nun ein Ende machen. Der Bundestag berät an diesem Donnerstag ein Gesetz zur "Tarifeinheit". Kern dieses Gesetzes ist eine Vorschrift, wonach bei kollidierenden Tarifverträgen in einem Betrieb nur derjenige für allgemein verbindlich erklärt wird, der von der mitgliederstärksten Gewerkschaft ausgehandelt wurde. Der Vorteil liegt auf der Hand: Die Arbeitgeber hätten es nur noch mit einem Tarif zu tun, das würde Kosten und Verwaltungsaufwand sparen. In die Betriebe kehrte Ruhe ein, und der Anreiz, maßlose Streiks vom Zaun zu brechen, wäre geringer.

Extrem schädliches Gesetz

Soweit die Vorteile - und dennoch ist das neue Gesetz von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles extrem schädlich. Es greift tief in die Koalitionsfreiheit ein, so wie sie im Artikel 9 des Grundgesetzes niedergelegt ist. Dort wird das "Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden", nämlich "für jedermann und für alle Berufe gewährleistet". Eine Gewerkschaft aber, die allein aufgrund ihrer Größe von Gesetzes wegen niemals die Chance hat, einen Tarifvertrag abzuschließen, wäre keine Gewerkschaft mehr.

Im Grunde ist das Ganze ein Schutzgesetz für DGB-Gewerkschaften. Das widerspricht dem Geist des Grundgesetzes und vermutlich auch dessen Buchstaben. Erlangte der Entwurf Gesetzeskraft, müsste die Regierung sehr wahrscheinlich mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht rechnen. Nicht zu vergessen: Das Bundesarbeitsgericht hatte 2010 konkurrierende Tarifverträge in Betrieben ausdrücklich zugelassen und so die jetzige Entwicklung erst möglich gemacht.

Dies festzustellen bedeutet nicht, die Probleme des neuen Wettbewerbs zwischen großen Branchen- und kleinen Spartengewerkschaften zu negieren. Ein Hinweis in eigener Sache: Auch in großen Medienhäusern wie dem Süddeutschen Verlag werden Arbeitnehmer von konkurrierenden Gewerkschaften vertreten, meist der Gewerkschaft Verdi und dem Deutschen Journalistenverband. Beide führen aber Tarifverhandlungen gemeinsam.

Ein Streik für Privilegien wird leicht zur Erpressung

Das Streikrecht ist, historisch gesehen, ein hart erkämpftes Schutzrecht der Arbeitnehmer, das durch deren strukturelle Schwäche gegenüber den Arbeitgebern gut begründet wird. Versuchen jedoch einzelne Berufsgruppen, sich Privilegien zu erstreiken, dann wird aus dem Ausstand Erpressung - nicht im strafrechtlichen, wohl aber im politischen und ökonomischen Sinne.

Die Lokführer und ihr Vorsitzender Weselsky sollten wissen, dass sie sich auf schmalem Grat bewegen. Ob und wie schädlich die Gewerkschaftskonkurrenz ist, lässt sich kaum an der Zahl der Streiktage ablesen. Die ist in Deutschland immer noch deutlich niedriger als zum Beispiel in Frankreich. Wichtiger ist es, wie sich Tarifverträge durch die Konkurrenz ändern und welche Kosten sie verursachen. Alte Branchengewerkschaften wie die IG Metall oder die Eisenbahnergewerkschaft berücksichtigen bei ihren Forderungen auch die Interessen des Unternehmens - nicht immer, aber meist. Bei den Piloten- und Lokführergewerkschaften kann man sich dies angesichts ihres Verhaltens nur schwer vorstellen.

Es gibt Beispiele dafür, wozu ein Wetteifern verschiedener Gewerkschaften führen kann. Italien leidet bis heute an den Spätfolgen solcher Exzesse aus den frühen Siebzigerjahren. Auch in den USA haben konkurrierende Gewerkschaften viel Schaden angerichtet. Es ist daher ein hehres Ziel zu verhindern, dass das Land wegen des Egoismus kleiner Interessengruppen lahmgelegt wird. Aber man sollte nicht versuchen, dieses Ziel durch verfassungsrechtlich fragwürdige Mittel zu erreichen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: