Neuer Chef von Accor:Hotelier von Herzen

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War auch schon mal Manager eines Fußballvereins: der Franzose Sébastien Bazin

(Foto: AFP)

Jahrelang war Sébastien Bazin eine klassische Heuschrecke, auch im Verwaltungsrat von Accor. Nun ist er plötzlich Chef des Hotelkonzerns und testet undercover das Angebot der Konkurrenz. Es ist nicht die erste ungewöhnliche Episode in seinem Lebenslauf.

Von Michael Kuntz

Dies ist die sonderbare Geschichte eines Mannes, der keine Heuschrecke mehr sein will. Als solche nämlich nervte Sébastien Bazin neun Jahre lang im Verwaltungsrat von Accor und bei den Aktionärstreffen. Er brillierte und brüskierte wie so viele Hedgefonds-Manager, die gerade einmal 20 oder 30 Prozent der Anteile eines Unternehmens verwalten, dabei aber geräuschvoll so tun, als gehöre der Laden allein ihnen. Bazin arbeitete als Europa-Chef für die amerikanische Colony Capital, zusammen mit den Jungs von Eurazeo hatten sie nicht einmal ein Drittel der Stimmrechte bei Accor. Alles vorbei.

Seit September ist er nicht mehr Verwaltungsrat, sondern Generaldirektor des größten Hotelkonzerns der Welt, der sich noch selbst um die Gäste kümmert und dies nicht nur Franchisenehmern überlässt. Nun kann der Franzose zeigen, was er als Aufsichtsrat alles besser wusste.

Bazin war 30 Jahre in der Finanzindustrie tätig, nach dem Studium ging er mit 23 in die Vereinigten Staaten. Seine Zeit als kurzfristig orientierter Finanzhai sei vorüber, verkündet der Manager jetzt und verblüfft beim ersten Interview für einen nicht französischen Journalisten mit der Ankündigung, sein weiteres Berufsleben ganz Beherbergungsbetrieben wie Ibis, Mercure, Novotel und Sofitel zu widmen.

Bazin ist gerade 52 Jahre alt geworden. Das könnten also noch ein paar Jahre mehr werden an der Spitze von Accor als bei seinen Vorgängern. So hielt sich der frühere Europa-Manager von McDonald's, Dennis Hennequin, gerade einmal zwei Jahre als Accor-Chef, bis er von Bazin im April 2013 erst abserviert und kurz darauf durch ihn persönlich ersetzt wurde.

Accor ist fast überall erfolgreich, nur in Nordamerika nicht

Bazin ließ im Chefbüro in der gläsernen Accor-Zentrale auf der Avenue de France im Osten von Paris ein großes Wandfoto aufhängen, das New York im Jahr 1940 zeigt. Ein etwas überraschendes Accessoire in einer französischen Firma, die in der Übernachtungsindustrie fast überall erfolgreich agiert. Nur in Nordamerika eben nicht. Dort konnte Accor erst durch den Verkauf der Billig-Kette Motel 6 eine kräftige Verlustquelle versiegen lassen. Sie hatte den Konzern insgesamt in die roten Zahlen gebracht.

Accor besteht 45 Jahre und spielt in 92 Ländern mit 3600 Hotels und 460.000 Zimmern eine führende Rolle. Zu Accor gehören so verschiedene Hotelmarken wie Sofitel, Pullman, MGallery, Grand Mercure, Novotel, Suite Novotel, Mercure, Adagio, Ibis, Ibis Style, Ibis Budget und Formule 1 - in dieser Reihenfolge stehen sie vom Luxus bis zur schlichten Schlafgelegenheit. Mehr als zwei Dutzend Herbergen betreibt Accor allein im Umkreis seiner futuristischen Zentrale, in der gläserne Aufzüge durch eine Art Hotelhalle sausen, nach oben zum Chef im gläsernen Käfigbüro.

Bazin selbst steuerte zur Einrichtung einen knallroten Kaffeebecher bei. Der steht so auf dem Schreibtisch, dass Besuchern zwei Wörter ins Auge springen: "Fucking Chief" - Scheißchef. Es ist ein Geschenk der Sekretärin, die Bazin seit Jahren durchs Geschäftsleben begleitet. Man kennt einander offensichtlich.

Chef von 160.000 Mitarbeitern

Die meisten Angestellten in seiner neuen Firma musste Bazin erst kennenlernen - und sie ihn. Bis zu seinem Aufstieg in die siebte Etage der Accor-Zentrale war Bazin im überschaubaren Alltag der Finanzinvestoren ein Chef von 80 Mitarbeitern. Bei Accor arbeiten für ihn ein paar mehr, genau gesagt sind es 160 000 Leute. Bazin begreift dies als Herausforderung, räumt er freimütig ein, und absolviert in den ersten Monaten im neuen Job einen Mahlzeiten-Marathon. Bazin lässt auf allen Kontinenten 40 Begegnungen mit Accor-Mitarbeitern organisieren - ohne die kleinen Chefs, nur mit dem Fußvolk.

Er trifft sich für jeweils zwei bis drei Stunden mit ihnen zum Essen, vor allem zum Reden. Es gilt nur eine Regel: "Verlassen Sie nicht den Raum, ohne mir zu sagen, was Sie auf dem Herzen haben." Diese Arbeitsessen mit inzwischen 1000 Leuten verhelfen Bazin zu neuen Einsichten über Accor: "Die wenigen Monate seit September haben mir gezeigt, dass dieses Unternehmen viel mehr wirtschaftliche Möglichkeiten besitzt, als ich erwartet hatte. Damit meine ich das Fachwissen, die Tatkraft, soziale Kompetenzen, Begabungen."

Es ist alles wichtig, um im globalen Wettbewerb zu bestehen. Bazin hat die Aufteilung von Accor in zwei Sparten verkündet, eine für den Betrieb der Hotels und eine für das Management der Immobilien. Der nette Umgang mit Gästen und das Geldverdienen mit Gebäuden habe nicht viel gemeinsam. Es sei aber von Vorteil, beides in einer Firma zu besitzen. So ein Umbau dauert: "Die Restrukturierung von Accor bedeutet vier Jahre harter Arbeit", sagt Bazin.

Weltweit betreibt kein anderer Hotelkonzern so viele Häuser selbst wie Accor, behaupten sie in Paris. Bei den Immobilien sind andere größer - noch. Da hat Bazin gut zu tun, um die Wettbewerber zu überholen, etwa Holiday Inn als Nummer eins mit 676 000 Zimmern, gefolgt von Hilton, Marriott, Wyndham und Choice.

In Deutschland als Hoteltester

Die US-Konkurrenz vervielfacht ihre Hotelnamen, für Bazin ein Indiz dafür, dass 14 Accor-Marken nicht zu viele sind. Die Transparenz des Internets erfordere ein differenziertes Angebot. "Die Gäste wollen sich selbst in ihrer jeweiligen Marke wiederfinden." Das gilt auch für die neuen Reisenden aus China und Brasilien, Indonesien und Indien, aus Korea. Accor investiert dort, aber nicht nur dort: "Wir wachsen überall. Mein Ziel ist solides, profitables Wachstum in jedem Markt." Es sei kein Nachteil, dass Accor zwei Drittel seines Umsatzes in Europa macht: "Die neuen internationalen Reisenden gehen gern nach Europa, nicht zuletzt nach Frankreich."

Deutschland ist für Accor nach Frankreich der zweitwichtigste Markt. Accor steht hier unter Druck stylischer Konzepte wie Motel One oder 25 Hours. Marriott und Ikea kündigen Moxy-Hotels an. Bazin präsentiert am Montag in Berlin ein Konzept für die Ibis-Hotels. Es ist die Antwort von Accor auf Motel One. Der Franzose ist schon im Motel One gewesen, nicht zum Übernachten, aber zum Frühstücken. Der Chef als Hoteltester - so sieht es aus, das neue Leben des früheren Finanzmanagers.

Die alten Freunde aus der Finanzindustrie waren Bazin zunächst böse. Sie hatten gedacht, er würde Anlagevermögen von Accor versilbern und den Erlös am besten an die Aktionäre verteilen. Als er sich Ende November als leidenschaftlicher Hotelier outete, rutschte der Börsenkurs erst einmal ab. Offenbar verabschiedeten sich Anleger, weil sie vielleicht eher an lukrativen Immobiliendeals interessiert waren als am mühevollen Beherbergen von Hotelgästen.

Ungewöhnliche Episoden im Berufsleben

Als Bazin jetzt wegen guter Geschäfte im vierten Quartal für 2013 einen Gewinn ankündigen konnte, der besser war als erwartet, da fiel die Börsenreaktion schon freundlicher aus, es gab ein kleines Plus. Für 2013 wird nun ein Ergebnis vor Zinsen und Steuern von 530 Millionen Euro erwartet, bei Erlösen von 5,5 Milliarden Euro.

Hotelmanager statt Heuschrecke: Sébastien Bazin würde möglicherweise auch bei Accor bleiben, wenn Colony Capital plus Eurazeo ihre Anteile verkaufen? "Das ist nicht nur möglich, es ist sogar wahrscheinlich. Ich habe Colony verlassen - für mich ist meine Tätigkeit dort ein Stück Vergangenheit. Als Accor-Chef kümmere ich mich um das Geld aller Investoren."

Bazin hat sich als Hotelier im kleineren Rahmen bereits bewährt. Im Wintersportort Méribel gehört ihm ein Hotel, das von seinem Sohn geführt wird. Als er es kaufte, hatte es zwei Sterne, Bazin machte daraus ein Vier-Sterne-Haus. Es ist nicht die einzige ungewöhnliche Episode im Berufsleben von Bazin. Für Colony hat er mal den Fußballverein Paris Saint-Germain gemanagt. Das ist auch vorbei. Es werde keinen Accor Saint-Germain Football Club geben.

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