Netzleitzentrale der Bahn:Wo die Gleise zusammenlaufen

29.000 Züge von 370 Bahnunternehmen rollen täglich über das 34.000 Kilometer lange Streckennetz der Bahn. Koordiniert wird das komplizierte System von der Netzleitzentrale in Frankfurt. Zwischen blinkenden Bildschirmen lenken etwa 70 Mitarbeiter den Bahnverkehr in Deutschland.

Daniela Kuhr, Frankfurt

Das Bild auf dem Monitor zeigt die Umrisse von Deutschland. Unzählige kleine Kästchen verteilen sich über das ganze Bundesgebiet, jedes mit einem Fähnchen daran: "Grün steht für pünktlich, blau für Verspätung", sagt Tino Spring und zählt nach. "Im Moment haben 14 Fernzüge eine Verspätung von sechs Minuten oder mehr." Er überlegt kurz. "Für einen Freitag, 12.20 Uhr, ist das ein ganz guter Schnitt."

14 Züge - das klingt nicht gerade wenig. Doch es sind 14 von insgesamt 800. So viele IC- und ICE-Züge sind im Lauf eines Tages im deutschen Streckennetz unterwegs. "Viel bessere Werte erreichen wir am verkehrsreichsten Tag der Woche selten", räumt Spring unumwunden ein. Und wenn einer weiß, wovon er da spricht, dann er.

Der 39-Jährige ist Chef der Netzleitzentrale der Deutschen Bahn in Frankfurt am Main - und damit letztlich der Koordinator des knapp 34.000 Kilometer langen Streckennetzes des Staatskonzerns. 370 Bahnunternehmen teilen sich dieses Netz. 29.000 Züge rollen tagtäglich darüber. Sie alle sind darauf angewiesen, dass Weichen und Signale im richtigen Moment richtig gestellt sind und dass im Fall einer Störung rasch eine Lösung gefunden wird: Welcher Zug wird umgeleitet? Welcher hat Vorfahrt? Welcher muss warten?

Die Netzleitzentrale koordiniert alle Fernverkehrs- und besondere Güterverbindungen sowie die grenzüberschreitenden Verkehre. Alle anderen Verbindungen und die Feinarbeit erledigen sieben Betriebsleitzentralen, die über das Bundesgebiet verteilt sind. Eine davon befindet sich ebenfalls in dem sechsstöckigen Neubau unweit des Frankfurter Hauptbahnhofs - nur eine Etage unter der Netzleitzentrale.

In den Betriebsleitzentralen arbeiten 70 bis 80 Mitarbeiter im Schichtdienst, jeder davon überwacht einen bestimmten Streckenabschnitt", erklärt Spring auf dem Weg zu den Kollegen ein Stockwerk tiefer. "Kommt es zu einem Konflikt, müssen sie so schnell wie möglich entscheiden, was zu tun ist." Ein "Konflikt" kann dabei alles Mögliche sein: Das reicht vom Böschungsbrand bis hin zu den so häufig zu vernehmenden Störungen im Betriebsablauf.

"Ein solcher Konfliktfall wirkt sich sofort auf vier bis fünf Umsteigemöglichkeiten aus", sagt Spring. Das heißt: Der Mitarbeiter in der Betriebsleitzentrale muss nicht nur eine Lösung für den betroffenen Zug selbst finden, sondern auch entscheiden, welche Anschlusszüge auf ihn warten und welche nicht. "Dazu stimmt er sich eng mit den Kollegen des Fernverkehrs ab, die per Funk im Zug nachfragen können, wie viele Passagiere denn überhaupt die Umsteigemöglichkeit nutzen wollen."

Spring öffnet die Tür zu einem Großraumbüro. Es ist abgedunkelt. Jeweils mehrere Arbeitsplätze sind zu Kreisen angeordnet. In der Mitte sitzen die Mitarbeiter, außen befinden sich die Bildschirme, acht pro Arbeitsplatz. Auf einigen Monitoren sind grüne, rote und gelbe Linien zu erkennen. Sie zeigen den Abschnitt des Streckennetzes, den der Mitarbeiter im Blick haben muss. Auf anderen ist ein Weg-Zeit-Diagramm zu sehen. Darin verlaufen Linien schräg von links oben nach rechts unten oder von rechts oben nach links unten - "je nachdem, in welche Richtung der Zug fährt", erklärt Spring.

Kreuzen sich zwei gegenläufige Linien, macht das nichts. "Das heißt nur, dass sich die Züge nachher begegnen werden, aber da es sich ja um eine zweigleisige Strecke handelt, ist das kein Problem." Ein Problem könnte es aber geben, wenn sich zwei gleichlaufende Linien kreuzen würden. "Dann müssen wir eingreifen", sagt Spring. "Denn das heißt, dass sich zwei Züge zur gleichen Zeit auf dem gleichen Streckenabschnitt befinden - und der langsamere den schnelleren ausbremsen würde."

Um das zu verhindern, kann der Mitarbeiter der Betriebsleitzentrale einen Zug auf ein Überholgleis umleiten, sofern eines in der Nähe ist. Er kann die Züge aber auch so leiten, dass sie sich im Bahnhof überholen. Oder aber er weist einen Zug an, zu warten, bis der andere den Streckenabschnitt freigemacht hat. Die Gefahr, dass durch einen falschen Knopfdruck ein Unglück ausgelöst wird, besteht nicht. "Dafür haben wir Sicherheitssysteme", sagt Spring. Die Mitarbeiter fällen ihre Entscheidungen nach festen Regeln. So haben in der Regel schnellere Züge Vorrang vor langsameren.

Es ist ein Kraftakt, den Spring und seine Mannschaft Tag für Tag leisten müssen. Was die Sache erschwert: "Zwei Drittel des gesamten Verkehrs findet auf einem Drittel des Netzes statt." Manche Strecken und Knotenpunkte seien stark belastet. "Wenn sich da ein Störfall ereignet, kann das Folgen haben, die sich bundesweit auf die Pünktlichkeit auswirken."

Ob er manchmal froh ist, dass er hier in seinem Büro in Frankfurt sitzt und nicht vor Ort den Ärger der Fahrgäste aushalten muss? Spring überlegt kurz. "Eigentlich nicht. Wir stehen genauso unter Druck wie die Kollegen." Froh sei er aber über etwas anderes: "Dass der Winter so war, wie er war."

Alles zum Zugmonitor hier...

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: