Nahaufnahme:Weil das Leben weitergeht

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Martina Münch-Nicolaidis: "Oft ist das eine riesige finanzielle Belastung, die von einem auf den anderen Tag ansteht." (Foto: Claus Schunk)

Martina Münch-Nicolaidis leitet seit einem persönlichen Schicksalsschlag eine Stiftung für Trauernde. Und träumt von einem neuen Platz dafür.

Von Theresa Parstorfer

Sechs Wochen war ihre Tochter alt, als Martina Münch-Nicolaidis einen Anruf vom Cousin ihres Mannes aus Athen erhielt. Es habe einen Autounfall gegeben. Deutsches Kennzeichen, sagte der Cousin. Münch-Nicolaidis' Mann, gebürtiger Grieche, war gerade in Athen unterwegs. Er kam nicht mehr zurück nach Deutschland, das Auto mit dem deutschen Kennzeichen war seins. Am Tag nach dem Anruf stieg Münch-Nicolaidis für die Beerdigung in einen Flieger, mit dem Baby im Arm und einem Schmerz im Gepäck, von dem sie nicht wusste, "wie ich ihn überleben sollte, ohne verrückt zu werden", sagt sie heute im Rückblick. 29 war sie damals, kurze Zeit zuvor waren ihre Eltern gestorben.

Heute ist Münch-Nicolaidis 50 Jahre alt, sitzt in einem Besprechungsraum ihrer "Nicolaidis Young Wings Stiftung" im Münchner Westend und erzählt, wie sie anfangs dachte, sie sei ein Einzelfall. Und wie sie dann feststellte, dass dem nicht so ist. 500 000 junge Witwen und Witwer gibt es derzeit in Deutschland, 800 000 Halb- und Vollwaisen. "Das ist definitiv ein Thema", sagt Münch-Nicolaidis. Mittlerweile gebe es etwas mehr Bewusstsein dafür, damals aber sei der Glaube "jung stirbt man nicht" noch weit verbreitet gewesen. Ein Angebot abseits klassischer Hospiz-Arbeit gab es nicht. Das wollte sie ändern, startete eine Selbsthilfegruppe.

"Der Schmerz ist der gleiche", sagt Münch-Nicolaidis, egal, ob man den Partner im Alter von 20 oder 70 Jahren verliere, allerdings sei die Lebenssituation eine andere. Deshalb beschränkt sich das Angebot der Nicolaidis Young Wings Stiftung auf Erwachsene bis 50, die ihren Partner, und auf Kinder, die einen oder beide Elternteile verloren haben. Ein Team aus 19 Haupt- und 63 Ehrenamtlichen* bietet Gruppentherapien, individuelle Gespräche, Ausflüge, Telefonberatung und finanzielle Unterstützung an. Denn nach dem Tod eines Partners geht es auch um Geld. "Oft ist das eine riesige finanzielle Belastung, die von einem auf den anderen Tag ansteht", sagt Münch-Nicolaidis, von der Bürokratie ganz zu schweigen. Formulare auszufüllen, um Rentenansprüche zu klären, das sei das Letzte, das man in dieser Zeit gebrauchen kann.

Dass sie selbst einmal mit diesem sozialen Unternehmen ihren Lebensunterhalt verdienen würde, war nicht absehbar. Jahrelang habe sie mit der Stiftung nichts verdient. "Aber das ist Berufung", sagt sie und lächelt. Überhaupt: Sie lächelt oft, manchmal schiebt sie den silbernen Ring am rechten Ringfinger auf und ab. Sie betont, wie viel Glück sie hatte, Menschen gekannt zu haben, die ihr halfen, wie viel Glück sie jetzt hat mit ihrem Team.

2011 wurde FC-Bayern-Star Thomas Müller Botschafter für die Stiftung, vor zwei Jahren bekam Münch-Nicolaidis den Bayerischen Verdienstorden, und seit 2017 sitzt sie im Senat der Wirtschaft, einem Gremium für Politikberatung. Denn der Umgang mit dem Tod sei nicht nur ein soziales, sondern auch ein gesellschaftliches Thema. Da sollte die Politik noch mehr tun. "Damit für jemanden, der auf einmal alleinerziehend ist, beispielsweise ein Kita-Platz da ist", sagt Münch-Nicolaidis.

Von einem besonderen Platz für Trauernde träumt sie seit vielen Jahren. Mit dem "Sternenhaus" soll dieser Traum 2022 wahr werden. Die Mittel für den Erwerb des Grundstücks am Nockherberg in München werden durch Spenden gedeckt, unter anderem durch die Schörghuber-Unternehmensgruppe und mithilfe des Engagements der Stiftungsratsvorsitzenden Alexandra Schörghuber. Wenn Münch-Nicolaidis von dem neuen Zuhause für die Nicolaidis Young Wings Stiftung spricht und von der Geborgenheit, die trauernde Menschen dort erfahren sollen, da hat sie auf einmal Tränen in den Augen, ihr Lächeln, das ist aber immer noch da.

*Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version hieß es, es gebe 13 Ehrenamtliche. Das ist falsch, es sind 63.

© SZ vom 23.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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