Missbrauch von Werkverträgen:DGB-Chef wettert gegen neue Niedriglohn-Modelle

"Sie werden immens unter Druck gesetzt": Die Gewerkschaften warnen vor einer neuen Form der Ausbeutung von Arbeitnehmern durch Werkverträge. DGB-Chef Sommer fordert im Gespräch mit der "Süddeutschen Zeitung" die Regierung zum Handeln auf - und bringt mehrere mögliche Maßnahmen ins Spiel.

Thomas Öchsner, Berlin

Sie reinigen Fabriken, räumen Regale ein, bauen Bürohäuser oder zerlegen Schweine - und haben eines gemeinsam: Diese Menschen verdienen wenig Geld und sind nicht bei dem Unternehmen angestellt, in dem sie arbeiten. Stattdessen erhalten sie ihren Lohn von einer anderen Firma, die für dieses Unternehmen eine bestimmte Leistung ("Werk") erbringen soll. Diese Werkverträge scheinen sich mehr und mehr auszubreiten. Die Gewerkschaften sehen in ihnen bereits eine neue Form der Ausbeutung. Die Bundesregierung müsse deshalb schleunigst eingreifen, fordert DGB-Chef Michael Sommer im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung.

"Leider besitzen zu viele Arbeitgeber eine erstaunliche Kreativität, wenn es darum geht, neue Billiglohnmodelle zu erfinden", sagt der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Nach dem Missbrauch der Leiharbeit suchten sich die Arbeitgeber "das nächste gesetzliche Schlupfloch - und das sind Werkverträge und Scheinselbständigkeit, um Löhne zu drücken und die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern". Dies gehe auch zulasten der Stammbeschäftigten.

"Sie werden immens unter Druck gesetzt, auch zu niedrigeren Löhnen zu arbeiten oder mehr zu leisten, damit ihre Arbeitsplätze nicht an Werkvertragsnehmer vergeben werden", kritisiert Sommer. Er fordert die Bundesregierung auf, sich nicht länger "wegzuducken, sondern gegen den Missbrauch von Werkverträgen entschieden vorzugehen".

Auf dem Bau greift man schon lange zu Werkverträgen. Große Firmen stocken ihre Stammbelegschaft je nach Bedarf kräftig um fremde Beschäftigte auf, teilweise um das Zehnfache. Auch in der deutschen Schlachtindustrie ist es üblich, dass 80 bis 90 Prozent der Mitarbeiter aus Subunternehmen kommen, häufig aus Rumänien. Im Einzelhandel unterstützen mittlerweile mehr als 100 Fremdfirmen mit 350.000 Beschäftigten die Händler vor allem beim Einräumen der Regale; die Löhne liegen zum Teil unter sieben Euro. Diese Werkvertrags-Arbeitnehmer sind damit deutlich günstiger als Zeit- oder Leiharbeiter. Verglichen mit dem Einzelhandelstarif für solche körperliche Arbeiten verdienen sie sogar fast die Hälfte weniger.

Zahl der Werk- und Dienstverträge hat sich seit 2002 verdoppelt

Wie viele Arbeitnehmer bundesweit bei einem Unternehmen beschäftigt sind, das Werkverträge ausführt, ist nicht bekannt. Darüber führt die Bundesagentur für Arbeit (BA) keine Statistik. Die Denkfabrik der BA, das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), schätzt, dass 2011 mehr als 600.000 Menschen als freie Mitarbeiter über Werk- und Dienstverträge beschäftigt waren. Ihre Anzahl habe sich damit seit 2002 "nahezu verdoppelt". Der Anteil der Betriebe, die freie Mitarbeiter einsetzen, ist demnach in diesem Zeitraum von vier auf mehr als sieben Prozent oder 150.000 gestiegen.

Die Arbeitsmarktforscher halten diese Zahlen aber nicht für vollständig, da die befragten Betriebe nicht wissen könnten, wie viele Beschäftigte ein beauftragtes Werkunternehmen einsetzt. "Das gilt gerade bei einfachen Tätigkeiten, die nicht in die Kernbereiche des Betriebs integriert sind (zum Beispiel Gebäudereinigung oder Einräumen von Regalen)", heißt es in der Analyse des IAB.

Gesetzliche Regelungen reichen nicht aus

Andere Umfragen deuten ebenfalls darauf hin, dass Werkverträge zunehmen. Die IG Metall erkundigte sich bei knapp 5000 Betriebsräten. Jeder dritte gab an, dass in seinem Unternehmen Werkverträge üblich sind. Davon erklärten wiederum 36 Prozent, das Einschalten solcher Subfirmen gehe zulasten der Stammbelegschaft. Sommer sagt dazu: "Inzwischen sind auch Unternehmen in der Industrie, wie zum Beispiel Stahlbetriebe oder Automobilwerke, betroffen."

Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten fand bei einer Umfrage heraus, dass Werkverträge verstärkt Leiharbeit ersetzen, nachdem die Bundesregierung die Rechte von Leiharbeitern verbessert hat und für sie seit 1. Januar Mindestlöhne gelten. Arbeitgebernahe Arbeitsrechtler propagieren auf Seminaren Werkverträge "als Alternative zur regulierten Zeitarbeit".

Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) lässt deshalb die Situation analysieren. DGB-Chef Sommer reicht das jedoch nicht aus: "Frau von der Leyen darf das Problem nicht auf die lange Bank schieben", sagt er. Die wenigen gesetzlichen Regelungen reichten nicht aus "und werden in der Praxis nie oder nur selten tatsächlich überprüft".

Die Gewerkschaften lehnen Werkverträge nicht generell ab, wenn sie für Arbeiten vergeben werden, die einmalig oder nur ab und zu anfallen, sodass sich eigenes Personal nicht lohnt. Wenn aber Werkvertragsbeschäftigte "gemeinsam mit der Stammbelegschaft arbeiten, dieselben Arbeitsmittel benutzen oder Anweisungen vom selben Vorarbeiter entgegennehmen, dann ist der Verdacht begründet, dass es sich um verschleierte Leiharbeit handelt", sagt Sommer. Nötig seien daher mehr wirksame Kontrollen und mehr Rechte für die Betriebsräte, "um diesen Missbrauch auch unterbinden zu können". Ein gesetzlicher Mindestlohn könne "die schlimmsten Dumpingauswüchse eindämmen, das Problem allein aber nicht lösen".

Der DGB-Chef denkt dabei an andere EU-Länder wie Österreich, die bereits wirksamer gegen Werkverträge vorgegangen seien. "Nichtstun ist keine Option", sagt Sommer.

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