Milchgipfel:Warum Ökolandwirtschaft für die Bauern eine Chance sein könnte

Milchmarkt-Krise

Mit dem Slogan "Die faire Milch" protestieren die Bauern in Deutschland gegen die fallenden Milchpreise.

(Foto: dpa)

Landwirte müssen zusehen, wie die Preise verfallen, und produzieren immer mehr, um auf ihr Geld zu kommen. Es ist Zeit, dass sie sich selbst eine Stimme verschaffen.

Kommentar von Jan Heidtmann

Beim Schach ist der Bauer die schwächste Figur auf dem Feld. Er bildet ein Bollwerk für Dame und König, er kann vorwärtslaufen, aber nicht zurück. Er wird geopfert, sobald Gefahr droht. Das Spiel ist das Abbild einer fernen Realität, in denen Bauern Leibeigene waren und oft in Armut lebten. Glaubt man den Bauern heute, scheint diese Zeit wieder angebrochen: Es gebe nichts mehr zu verdienen, die Höfe seien überschuldet, reihenweise machten sie dicht. Wieder einmal steht der Bauer als Opfer da, diesmal nicht von gierigen Lehnsherren, sondern von wankelmütigen Weltmärkten. Die Milch, über die heute in Berlin in großer Runde verhandelt wird, gilt da nur als besonders drastisches Beispiel. Muss der Bauernstand also auf die Liste der bedrohten Arten?

Wie bei Taxifahrern gehört auch beim Bauern das Klagen mit zum Geschäft. Es heißt, ihm werde schon als Säugling ein schwerer Stein auf die Brust gelegt, damit er das Jammern lernt. Doch Bauernpräsident Joachim Rukwied hat Recht, wenn er die gegenwärtige Lage in drastischen Worten beschreibt: "Das ist kein Strukturwandel. Das ist ein Strukturbruch." Das Höfesterben hat mit einer Geschwindigkeit zugenommen, dass selbst die Agrarlobby nicht mehr weiter weiß. So wird der Milchgipfel vor allem auch einen Gipfel an Ratlosigkeit markieren.

Vor Jahrzehnten haben Bauern, Verbände und Landwirtschaftspolitik einen Pakt geschlossen. Er bestand darin, auf derselben Fläche immer mehr zu produzieren. Erst für eine darbende Bevölkerung, dann für die Weltmärkte. Lebensmittel möglichst billig zu produzieren, ist das Ideal dieser Politik. Was zu dem absurden Zustand führt, dass ein Liter Rohmilch heute billiger ist als in den 1970er-Jahren und ein Ferkel kaum mehr Wert hat als eine Schachtel Zigaretten.

"Die Bauern stecken in einem Teufelskreis"

Die Bauern sind von jeher Überlebenskünstler. Selbst in den größten Preiskrisen haben sie sich als erstaunlich wendig erwiesen. So ist der Landwirt von heute weit mehr als nur ein Bauer. Er kennt sich in Logistik aus, beherrscht komplexe Computersysteme, ist firm im Warentermingeschäft, arbeitet als Hotelier und Biogasproduzent. "Wachse oder weiche", dieses Junktim der Agrarlobby ist weithin akzeptiert. Viele Bauern haben dabei trotz aller Wehklagen gut verdient. Jetzt wurde dieser Pakt von der Realität aufgekündigt. Er funktioniert nicht mehr.

Ein Bauer hat heute zwar keinen Lehnsherrn, dafür ist er vielfältig verstrickt. In Märkte in Russland oder China, mit Düngemittelproduzenten und Pestizidherstellern; mit zunehmend kritischen Bürgern, von denen nur wenige bereit sind, etwas mehr für ihr Essen zu bezahlen. Es ist, wie Schleswig-Holsteins Landwirtschaftsminister Robert Habeck sagt: "Die Bauern stecken in einem Teufelskreis." Sie müssen zuschauen, wie die Preise verfallen und produzieren immer mehr, um auf ihr Geld zu kommen. Und die Preise sinken weiter. Dabei trifft es oft gerade die engagierten Landwirte, die viel in Ställe und Technik investiert haben, um mitzuhalten. Sie können ihre Schulden nicht mehr bezahlen.

Ökolandwirtschaft nicht als Idyll, sondern als Strategie

Der Vorschlag des Bundeslandwirtschaftsministers, nun neue Märkte wie den Iran zu erschließen, um dort deutsches Fleisch und Milch abzusetzen, ist eine Bankrotterklärung. Statt genau so weiterzumachen, wie bisher, sollten der Minister und der Bauernverband ihr Verhältnis zur Ökolandwirtschaft überdenken. In der Welt der Agrarlobby gilt die Bioproduktion als rückständige Technik.

Aber gerade diese Rückständigkeit könnte eine Chance sein. Nicht als Idyll, in dem die Lebensmittel für 80 Millionen und mehr Menschen auf wilden Wiesen produziert werden. Aber es gibt viele Wege, wie sich mit den Datenmengen der so genannten Landwirtschaft 4.0 Mengen an Dünger, Diesel und Pestiziden sparen lassen. Auch verlässliche und langfristige Programme, die Bauern als Landschaftspfleger einzusetzen, sind so ein Weg.

Das wäre im Sinne vieler Bauern. Spricht man mit ihnen, sagt kaum einer, er wolle seine Äcker mit Chemiecocktails besprühen und das Vieh mit Antibiotika vollstopfen. Wenn aber Politik und Verbände keinen Weg daraus weisen, müssen es die Bauern selbst in die Hand nehmen. Anders als zu Zeiten der Leibeigenschaft sind dafür keine Kriege mehr notwendig. Die Milchbauern zeigen, wie es gehen kann: Fast jeder vierte von ihnen ist im Bundesverband Deutscher Milchviehhalter organisiert. Der BDM ist inzwischen eine starke kritische Stimme gegen die expansive Landwirtschaftspolitik.

Im Schach wird der Bauer um so wertvoller, je weiter er voranschreitet. Hat er die Grundlinie des Gegners erreicht, kann er in jede Spielfigur verwandelt werden. Es muss ja nicht gleich die Dame sein.

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