Loro Piana:Niemals Polyester

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Fünf Millionen Meter Tuch stellt das italienische Luxuslabel jedes Jahr her. Jetzt kämpft es - gegen billigen Kaschmir aus China.

Von Ulrike Sauer

Hausbesuch beim Hersteller der kostbarsten Wollstoffe der Welt. Die Straße windet sich aus dem Sesia-Tal an bemoosten Steinmauern und Efeuteppichen entlang den Hang hinauf. Eine dunkle Pforte verdeckt dann den Blick auf das Anwesen von Pier Luigi Loro Piana. Der Milliardär, den die Leidenschaft für watteweiche Wolle bis ans Ende der Welt treibt, wohnt daheim im Piemont erwartungsgemäß stilvoll. Idylle pur.

Merkwürdig muten nur die ordinären Pecorino-Schafe an, die gegenüber des Tors im Regen grasen. Ausgerechnet vor der Villa des Freundes der Luxuslämmer. Der Hausherr empfängt seine Besucher am Ende der Auffahrt. Seitlich, unter Bäumen, ist eine Stromtankstelle zu sehen, die Loro Piana zum Aufladen seines Tesla aufstellen ließ. "Der Benziner meiner Frau war das allerletzte traditionelle Auto, das ich gekauft habe", sagt er und zeigt auf einen dunklen Mercedes. Er wartet nun auf seinen neuen Elektro-SUV aus Kalifornien mit Allradantrieb und Flügeltüren.

Vor drei Jahren verkaufte die Familie den Betrieb an LVMH-Eigner Arnault

"Pigi" Loro Piana, 64, ist ein Grüner der ersten Stunde. Nicht nur beim Autofahren. Der Italiener hat erlesene Öko-Produkte und Umweltschutz früh auch als Geschäft erkannt. Man habe sich zum Glück schon in den siebziger Jahren von der Beimischung von Kunstfasern verabschiedet, erzählt er. "Polyester fühlt sich unangenehm an und belastet die Umwelt", sagt Loro Piana. Der Weltmarktführer für edle Merino- und Kaschmirwolle, der im Jahr fünf Millionen Meter Tuch herstellt, bemüht sich seit Jahrzehnten, die Umweltbelastung seiner fünf Textilfabriken zu begrenzen. Das passt zum Anspruch, Spitzenqualität zu liefern. Alles dreht sich um das Mikron, den Tausendstel-Millimeter, die Maßeinheit für den Durchmesser von Textilfasern. Je dünner die Faser, desto flaumiger und teurer die Wolle und desto dicker die Gewinne. In der Mikronen-Schlacht sind die Loro Pianas die Größten.

Von sich reden machte der qualitätsbesessene Pigi Loro Piana vor knapp drei Jahren. Auch außerhalb des elitären Zirkels der Kunden seiner kostbaren Stoffe und Modekollektionen. Nach sechs Generationen gaben er und sein inzwischen verstorbener Bruder Sergio Loro Piano das Familienunternehmen aus der Hand. Sie hatten acht Erben, aber der Verkauf an den französischen Luxuskonzern LVMH schien ihnen die bessere Perspektive für das Unternehmen zu sein. Für zwei Milliarden Euro überließen sie Bernard Arnault 80 Prozent ihrer Textilfirma.

Die Familie behielt 20 Prozent der Anteile, und Pigi Loro Piana zog sich auf den Posten des Vizepräsidenten zurück. Herr im Haus ist nun Antoine Arnault, 38, Sohn des LVMH-Gründers. Als Unternehmenschef wurde Matthieu Brisset, 44, polyglotter Konzernmanager aus Paris geschickt.

In der Modeszene war die Übernahme ein echter Knaller. Nicht nur wegen des stolzen Preises. Niemand hatte im Juli 2013 von dem bevorstehenden Verkauf Wind bekommen. Innerhalb von zwei Wochen hatten sich die Loro Pianas und Arnault geeinigt. Frappierend war auch, dass die Brüder aus Italien die Initiative ergriffen. Gewöhnlich ist es Monsieur Arnault, der auf Beutejagd geht. In Italien, seinem Lieblingsrevier, schnappte er sich nacheinander Bulgari, Fendi, Acqua di Parma, Pucci und Berluti.

Nach der Übernahme wollten alle wissen: Was stellt der Patron von 60 Luxusmarken jetzt bei Loro Piana an? Es geschah wenig. Ganz entgegen seinen Gewohnheiten.

So sind es kleine Veränderungen, die den Anbruch einer neuen Ära markieren. An diesem Wochenende öffnet Loro Piana erstmals seine Spinnerei in Roccapietra, unweit der alten oberitalienischen Tuchstadt Biella, für Besucher. Bei LVMH nennen sie die Besichtigungstage "Journées Particulières". Antoine Arnault hat sie vor fünf Jahren erfunden. Sie sollen einen Blick hinter die Kulissen der Luxusherstellung gewähren. Dahinter verbirgt sich die Botschaft: Schluss mit der Fixierung auf Logos, weg vom Marken-Fetisch, zurück zu den Wurzeln. Genau in diesen Trend fügte sich auch die Übernahme von Loro Piana ein. Das Augenmerk verschob sich von der Markeninszenierung auf eine perfekt integrierte Fertigungskette - von der Wollkämmerei bis zum Schneideratelier. Weniger Schein, mehr Sein. Die Italiener verlangten beim Verkauf ihres Unternehmens, dass nie ein Stardesigner als Kreativ-Chef ins Haus kommt. Sie hatten bei anderen Luxuslabeln gesehen, was passiert, wenn Designer zur Marke werden. Die frenetischen Wechsel auf den Glamourposten offenbaren jetzt, wie stark das System kriselt.

Der Verlust der Eigenständigkeit aber hat auch Schattenseiten. Der französische Konzern stellt in Paris seine Bilanz vor, die Ergebnisse der einzelnen Marken hält er unter Verschluss. Loro Piana muss sich daran halten. Man habe wieder ein neues Rekordjahr hinter sich, sagt der Bonvivant vor einem Teller Risotto al limone. Die Umsätze steigen, die Gewinne auch. Die Zahl der Beschäftigten kletterte von knapp 2600 im Jahr 2013 auf 2840. Jedes Jahr eröffnete Loro Piana zehn neue Läden. 160 Shops hat er inzwischen. Im Stoffgeschäft setzt das Unternehmen auf die wachsende Nachfrage aus dem Konzern. "Wir sind die Küche, in der sich die LVMH-Label etwas Neues kochen lassen können", so Loro Piana.

In seinem Unternehmen, zieht er zufrieden Bilanz, herrsche "totale Kontinuität". Der internationale Luxusmarkt dagegen steckt im Umbruch. Die lange scheinbar krisenfeste Branche ist mächtig unter Druck geraten. Das Ende des chinesischen Booms, das Abflauen der Touristenströme, die Konsumschwäche in vielen Ländern und die Turbulenzen auf den Finanzmärkten vermiesen den Edelmarken das Geschäft. "Wir stehen an der Startlinie zu einem neuen Rennen", sagt der begeisterte Segler.

Draußen flitzen zwei Mähroboter unentwegt über den Rasen seines Gartens. Um weiterhin Erfolg zu haben, seien interessante Produkte und Innovationen nötig.

Loro Piana macht vor allem der Niedergang des Rohstoffs Kaschmir zu schaffen. Seit die Chinesen mit allen Mitteln die Produktion steigern, hat ein rasanter Qualitäts- und Preisverfall eingesetzt. Minderwertige Ware überschwemmt den Markt. Loro Piana sagt: "Es besteht die Gefahr, dass wir nicht mehr den Kaschmir finden, den wir brauchen". Er reagierte schon 2009. In der Inneren Mongolei begann er, zusammen mit Hirten sowie chinesischen und italienischen Forschern, Ziegen zu züchten. Ziel des Projekts ist es, das Vlies der Tiere durch den Selektionsprozess zu verfeinern. Nach dem ersten dreijährigen Produktionszyklus prämierte der Italiener im vergangenen Herbst die besten Züchter. Der Durchmesser der Rekordfaser betrug 13,9 Mikron. Ziel ist es, bald zwölf Mikron zu erreichen. "Die Hirten haben kapiert, dass sie feinere Fasern erhalten und gleichzeitig ihre Schurmenge erhöhen können." Das sei auch im Hinblick auf die Umwelt eine interessante Entdeckung. Da ist er wieder ganz Öko-Pionier.

© SZ vom 21.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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