Kurswechsel im Wirtschaftsministerium:Bundesregierung erkennt Exportüberschuss als Problem an

Kritik an den hohen deutschen Exportüberschüssen hat das Bundeswirtschaftsministerium bislang vehement zurückgewiesen. Doch in einem internen Papier kündigt sich jetzt eine Kurskorrektur an. Das dürfte auch in der Koalition für Ärger sorgen.

Von Claus Hulverscheidt, Berlin

Im Streit um die hohen deutschen Exportüberschüsse rückt die Bundesregierung ganz offenkundig von ihrem bisherigen Konfrontationskurs mit der EU-Kommission ab. Das ergibt sich aus einem internen Papier des Wirtschaftsministeriums, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

In dem Dokument wird erstmals ohne jede Einschränkung anerkannt, dass "exzessive und dauerhafte Ungleichwichte" in den Handelsbilanzen einzelner europäischer Staaten "schädlich für die Stabilität der Euro-Zone" seien. Es sei deshalb richtig, dass die EU-Kommission solche Ungleichgewichte genau untersuche. Die Brüsseler Behörde will an diesem Mittwoch bekannt geben, ob Deutschland aus ihrer Sicht gegen europäisches Recht verstößt.

Die deutsche Wirtschaft hatte 2013 mit einem Plus von knapp 200 Milliarden Euro den höchsten Exportüberschuss der Welt erzielt. Kritik daran wies die Bundesregierung bisher mit dem Argument zurück, die Zahlen seien schlicht Ausweis der hohen internationalen Wettbewerbsfähigkeit deutscher Firmen. Andere Länder, allen voran die USA, üben seit Jahren teils Kritik am deutschen Wirtschaftsmodell, weil hohe Überschüsse eines Landes andernorts Verschuldung produzieren. Sie fordern, dass die Bundesrepublik mehr investiert und mehr Waren aus dem Ausland importiert.

Die Ursachen der Überschüsse: "vielfältig und komplex"

Seit einiger Zeit prüft nun die EU-Kommission, ob in Europa sogenannte makroökonomische Ungleichgewichte bestehen. Das kann der Fall sein, wenn ein Land über längere Zeit ein Handelsdefizit oder einen -überschuss von mehr als sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aufweist. Ursprünglich sollte diese Grenze bei vier Prozent liegen, die Bundesregierung verhinderte die strengere Regelung jedoch. Das half ihr aber nicht, denn mit einem Überschuss von 7,3 Prozent lag Deutschland 2013 auch deutlich über dem Limit.

In der Stellungnahme des Bundeswirtschaftsministeriums findet die Wettbewerbskraft der deutschen Firmen jetzt nur noch am Rande Erwähnung. Stattdessen ist davon die Rede, dass die Ursachen der Überschüsse "vielfältig und komplex" seien. "Dazu gehört insbesondere das vergleichsweise niedrige Investitionsniveau", heißt es in dem zweiseitigen Positionspapier aus dem Haus von Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD). So machten die Investitionen in Deutschland nur 17 Prozent der gesamtwirtschaftlichen Leistung aus, während die Quote im Durchschnitt aller Industrieländer bei 20 Prozent liege.

Die Kurskorrektur dürfte für Kritik sorgen

Daneben erwähnt das Ministerium eine Vielzahl von Faktoren, die Deutschland aus Regierungssicht entlasten. So wird erwartet, dass sich der Überschuss in diesem Jahr auf 6,9 und 2015 auf 6,5 Prozent verringern wird. Ein Grund sei, dass das Wachstum hierzulande mittlerweile vor allem von der Binnennachfrage gestützt werde. Auch sei bei den Exporten eine Verschiebung "weg von der Euro-Zone und hin zu den schnell wachsenden Schwellenländern" zu beobachten. Vom Erfolg deutscher Firmen auf den Weltmärkten profitierten auch die EU-Handelspartner, da der Importanteil deutscher Exporte mit 43 Prozent relativ hoch sei.

Hinzu kommen laut Ministerium die im Koalitionsvertrag vorgesehene Erhöhung der Verkehrsinvestitionen um fünf Milliarden und die geplante Entlastung der Länder im Volumen von sechs Milliarden Euro, die Investitionen in Schulen, Hochschulen und die Kinderbetreuung befördern soll. Verwiesen wird zudem auf die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns, der die Binnennachfrage stärken werde.

Die Kurskorrektur des Wirtschaftsministeriums dürfte koalitionsintern wie auch außerhalb des Bundestags für teils heftige Kritik sorgen. Vor allem der Wirtschaftsflügel der Union, die FDP und die Euro-kritische AfD hatten sich in der Vergangenheit wiederholt jede ausländische Kritik an den deutschen Exportüberschüssen verbeten.

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