Kriegsregion Kongo:Wie Hilfsorganisationen soziale Konflikte provozieren

An Indian soldier, serving in MONUSCO, patrols past Congolese women walking to the market centre in Masisi

Ein indischer Soldat der Monusco, der UN-Friedensmission im Kongo, geht an Frauen vorbei, die Waren zum Markt von Masisi tragen. Die Region im Osten des Landes ist seit 1994 nicht zur Ruhe gekommen.

(Foto: REUTERS)
  • In der von jahrelangen Konflikten gebeutelten Demokratischen Republik Kongo herrscht große Armut. Deshalb bemühen sich die Einheimischen um gut bezahlte Jobs bei Hilfsorganisationen.
  • Das macht lokalen Betrieben zu schaffen: Ihnen geht das qualifizierte Personal aus.

Von Judith Raupp, Goma

Passy Mubalama wurde zum Gespött der Kollegen, als sie ihren Job verlor. Die Menschenrechtsaktivistin arbeitete bei einer britischen Hilfsorganisation in Goma und war mit der Chefin in Streit geraten. "Wie kann man nur so dumm sein", lästerten die Bürogenossen. Wer in der ostkongolesischen Provinzhauptstadt eine Stelle bei einer internationalen Hilfsorganisation hat oder bei der Monusco, der Friedensmission der Vereinten Nationen (UN), gilt als Glückskind. Niemand will so einen Job riskieren. Deshalb sahen die Kollegen den Rauswurf als "absoluten Abstieg", sagt Mubalama. Sie war nun wieder eine von vielen, die verzweifelt einen Job suchen.

In der Demokratischen Republik Kongo herrscht Massenarbeitslosigkeit. Zwei Drittel der 80 Millionen Einwohner leben in Armut. Im Osten des Landes begleitet sie zudem die ständige Angst vor Milizen. Sie plündern, vergewaltigen und töten. Der Kongo steckt in einer politischen und ökonomischen Krise. Staatspräsident Joseph Kabila verschleppt nun schon seit 2016 die Wahlen. Politischen Protest lässt er niederschlagen. Korrupte Machthaber und dubiose Firmen dirigieren das Geschäft mit den wertvollen Bodenschätzen. Die meisten seriösen Investoren meiden den Kongo. Stattdessen strömen Hilfsorganisationen ins Land, darunter auch zahlreiche deutsche. Das UN-Koordinationsbüro registriert allein für die ostkongolesische Provinz Nord Kivu 610 Organisationen, die in irgendeiner Weise Entwicklungszusammenarbeit betreiben. Die Monusco ist mit 20 000 Soldaten und zivilen Beschäftigten der weltweit größte UN-Einsatz. 2522 der 3313 zivilen Angestellten sind Einheimische.

Natürlich gibt es andere Arbeitgeber im Kongo. Banken zum Beispiel, Mobilfunkfirmen, Bau- und Gastgewerbe oder den Staat. "Aber bei kongolesischen Vorgesetzten weißt du nie, ob du deinen Lohn bekommst. Und wenn der Chef mies gelaunt ist, setzt er dich vor die Tür", kritisiert der Ökonom Jean Claude Katsuva Kisangani.

Die Arbeitsbedingungen sind bei internationalen Organisationen viel besser. Sie schließen Krankenversicherungen ab, bezahlen regelmäßig Gehälter, großzügige Reisespesen und andere Vergünstigungen. Die Deutsche Welthungerhilfe in Nord Kivu zum Beispiel erhöht den Lohn der 130 einheimischen Angestellten jedes Jahr um fünf Prozent. "Wir müssen wettbewerbsfähig bleiben", erklärt Programmchefin Mirjam Steglich. Die Welthungerhilfe bezahle gut, aber nicht übermäßig.

An erster Stelle in Sachen Gehalt rangieren die UN. Ein Kongolese auf der untersten Hierarchiestufe bekommt einen Lohn und Zulagen von insgesamt 1362 Dollar (1100 Euro) im Monat. Die oberste Stufe für hoch qualifizierte Einheimische beträgt 13 522 Dollar im Monat. Zum Vergleich: Ein Lehrer verdient bestenfalls 300 Dollar.

Das Geschäft mit Entführungen floriert

"Das ist ein Problem", findet der Unternehmer Joël Tembo Vwira. Er spürt die negativen Folgen der Lohnkonkurrenz. "Wir können nur einen Bruchteil bezahlen", klagt der Berater für Start-up-Firmen. So wandert das gut qualifizierte Personal zu den internationalen Organisationen ab. Just jene Mitarbeiter, die am besten zum Aufbau der maroden Wirtschaft beitragen könnten, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Sie gehen selbst dann, wenn der lukrative Job zeitlich begrenzt ist, weil die Geldgeber der Hilfsorganisationen das Projekt nur für ein paar Monate finanzieren.

Vwira stört zudem, dass die meisten Organisationen nur Personal mit mehreren Jahren Berufserfahrung einstellen. Praktika zum Beispiel bieten sie nicht an. "De facto bilden die Privatfirmen für die internationalen Organisationen aus", kritisiert er.

Die bloße Präsenz der Hilfsorganisationen heizt manchmal sogar Gewalt an, obwohl die Helfer Frieden stiften wollen. Wenn etwa Organisationen irgendwo im Kongo einen Teil der 4,5 Millionen Flüchtlinge versorgen wollen, müssen sie laut Gesetz Mitarbeiter vor Ort einstellen. Die Enttäuschten, die leer ausgehen, blockieren bisweilen Straßen oder demolieren vor lauter Wut auch mal eine Krankenstation. Seit einiger Zeit floriert auch das Geschäft mit Entführungen lokaler Mitarbeiter von Hilfswerken. Die Banditen verdienen damit mehrere Tausend Dollar auf einen Schlag. Strafe müssen sie nicht fürchten, weil Polizei und Justiz nicht funktionieren.

Staatsversagen, Willkür und Korruption

Manche Hilfsorganisationen reagieren auf den Druck der Straße. So schreibt die Welthungerhilfe einen Wettbewerb in der Landwirtschaft aus. Bis zu 75 Jugendliche, die eine solide Geschäftsidee präsentieren, bekommen Starthilfe für ihr Unternehmen. "Wir wollen einen Beitrag leisten, um Jobs zu schaffen", sagt Programmchefin Steglich.

Ist das aber die Aufgabe einer Hilfsorganisation? "Eigentlich nicht", meint Ökonom Kisangani. Aber der Staat versage, private Unternehmer erstickten unter Willkür und Korruption. "Da bleiben nur die Internationalen, auch mit Blick auf die Infrastruktur", glaubt er. So bauen Helfer im Ostkongo Straßen und Wasserkraftwerke. Sie reparieren in der Regenzeit Brücken und beliefern die Bevölkerung mit Trinkwasser. Das ist eigentlich Aufgabe des Staates. Aber offiziell hat der Kongo nur ein Budget von fünf Milliarden Dollar, obwohl das Land riesige Mengen an Bodenschätzen birgt. Trotz dieses Potenzials hat der Kongo 2016 Hilfe aus dem Westen von 2,1 Milliarden Dollar bekommen.

Der unabhängige Analyst Fidèle Bafilemba möchte dieses Geld direkt in den Händen der Bevölkerung wissen. "Die Hilfsorganisationen sind Umverteilungsmaschinen, die unnötig Kosten verursachen", sagt er. Ihn stören die teilweise exorbitanten Gehälter, Zulagen und die teuren Geländewagen der westlichen Experten in Goma. Das Geld solle man lieber jungen Unternehmern geben. "Das wäre der Idealfall", sagt die Aktivistin Mubalama. "Aber zuerst müssen wir die Korruption ausrotten und Wissen aufbauen", meint sie.

Mubalama ist inzwischen ihre eigene Chefin. Sie betreibt mit Spenden aus dem Westen eine Menschenrechtsorganisation und hat zehn Stellen geschaffen. Ob das ihrem Land hilft? "Es ist besser, als nichts tun", sagt sie.

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