Kohleausstieg:"Historischer Kraftakt"

Sitzung der Kohlekommission - Demonstration

Die Klimaschutzbewegung hatte den Druck auf die Regierung erhöht, den Ausstieg aus der Kohleverstromung zu organisieren.

(Foto: dpa)
  • Die Kohlekommission empfiehlt, dass Deutschland bis 2038 aus der Kohle aussteigt.
  • Umweltschützer äußern sich zumindest teilweise zufrieden über den Kompromiss.
  • Die Energiebranche sieht große Herausforderungen auf sich zukommen.

Deutschland will nach den Atomkraftwerken auch seine Kohlemeiler früher abschalten. Die Kohlekommission der Regierung verständigte sich nach mehr als 20-stündigem Ringen am Samstagmorgen auf ein Aus für das letzte Kraftwerk bis spätestens 2038, wie aus dem Abschlussbericht hervorgeht.

"Es ist geschafft", sagte Ronald Pofalla, einer der Vorsitzenden der Kohlekommission, in Berlin. 27 von 28 Mitgliedern des Gremiums hätten am Ende dem Kompromiss zugestimmt. "Das ist keine Selbstverständlichkeit", im Gegenteil, sagte Pofalla. Es sei nicht von vorneherein klar gewesen, dass ein gesamtgesellschaftlicher Konsens erfüllt werden könne. Pofalla nannte das Ergebnis einen "historischen Kraftakt".

Der Kompromiss besteht dem ehemaligen CDU-Kanzleramtschef zufolge aus einem "Dreiklang", der die Schaffung neuer Arbeitsplätze, eine sichere und bezahlbare Energieversorgung sowie nachhaltigen Klimaschutz vorsieht. Pofalla äußerte die Erwartungshaltung, dass sich Bundesregierung und Landesregierungen nun zügig verständigten, um das umzusetzen, was das Gremium vorgeschlagen habe.

Barbara Praetorius, Co-Vorsitzende der Kommission, lobte den Kompromiss ebenfalls, auch wenn sie sich selbst ein "ambitionierteres Ausstiegsszenario" habe vorstellen können. "Der Ausstieg wird wirtschaftlich gelingen, davon bin ich überzeugt." Die Menschen in den vom Kohleabbau betroffenen Regionen hätten nun eine klare Perspektive, neue Arbeitsplätze sollten geschaffen werden, bevor alte "verlustig" gehen, sagte Sachsens Ex-Ministerpräsident Stanislaw Tillich, der ebenfalls der Kommission vorsteht. "Und der Klimaschutz hat eine Perspektive", fügte er an.

Auch Umweltschützer äußerten sich zumindest tweilweise zufrieden über das erzielte Ergebnis. "Was klar ist: Der Hambacher Wald ist gerettet", sagte Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser. Der Wald in Nordrhein-Westfalen ist zu einem Symbol für ihren Widerstand gegen die Braunkohle-Verstromung geworden. Aktivisten leben dort in Baumhäusern, um gegen die geplante Rodung des Forstes durch den Energiekonzern RWE zu demonstrieren. Dennoch äußerte Kaiser sich auch kritisch zum Ergebnis. "Erst im Jahr 2038 aus der Kohle auszusteigen, ist für Greenpeace inakzeptabel" sagte er, dies habe der Verband in einem Sondervotum klar gemacht. Immerhin: "Nach Jahren im klimapolitischen Wachkoma bewegt sich Deutschland zumindest wieder." BUND-Chef Hubert Weiger sprach von einem "starken Signal".

Wesentlich kritischer äußerten sich die Aktivisten des Bündnisses "Ende Gelände". In einem Statement der Gruppe heißt es: "Was die Kohlekommission vorlegt, ist kein Konsens. Damit wird das 1,5°-Ziel unmöglich. Die Konzerne bekommen hier Geld für nichts, was mit dem Hambi [Hambacher Forst, Anm. d. Red.] und den Dörfern passiert, ist unklar. Noch 20 Jahre Kohlekraft sind 20 Jahre Kohlekraft zu viel. Dem stellen wir uns entgegen."

Im Abschlussbericht der Kommission heißt es: "Die Kommission hält es für wünschenswert, dass der Hambacher Forst erhalten bleibt. Darüber hinaus bittet die Kommission die Landesregierungen, mit den Betroffenen vor Ort in einen Dialog um die Umsiedlungen zu treten, um soziale und wirtschaftliche Härten zu vermeiden." In der Lausitz und im Rheinischen Revier sind mehrere Orte davon bedroht, dem Tagebau weichen zu müssen.

Der Energieverband BDEW sieht in dem Konzept der Kohlekommission einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz. Der Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung, Stefan Kapferer, sagte, die Kommission habe ihren Auftrag zum Klimaschutz erfüllt. Nach dem Konzept soll in den nächsten 20 Jahren rund 45 Gigawatt an derzeit installierter Leistung aus klimaschädlichen Kohlekraftwerken ersetzt werden. Dies sei eine "wahnsinnige Herausforderung", sagte Kapferer, der Mitglied der Kommission ist.

Die Hauptgeschäftsführerin des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU), Katherina Reiche, erklärte, der Bericht sei eine gute Grundlage, die Beendigung der Kohleverstromung unter den Prämissen der Versorgungssicherheit, Erhalt von Wertschöpfungsketten, des Klimaschutzes sowie der Innovationsfähigkeit der Regionen zu gestalten. Auch Reiche ist Mitglied der Kommission. "Wir richten die Erwartung an die Bundesregierung, die Empfehlungen der Kommission umzusetzen."

Die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie spricht von einem akzeptablen Pfad. Der sei insgesamt zufriedenstellend, teilte Gewerkschaftschef Michael Vassiliadis mit. "Es ist uns gelungen, für die vom Strukturwandel betroffenen Beschäftigten in der Kohleverstromung Sicherheit vor sozialen Härten zu schaffen." Dazu trügen unter anderem der Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen und ein früherer Rentenzugang mittels staatlichem Anpassungsgeld bei. Zudem erhielten die betroffenen Regionen Strukturentwicklungsmittel, um neue gute Arbeitsplätze zu schaffen.

"Die Richtung stimmt"

"Die Richtung stimmt. Die Interessen von Arbeitnehmern, Umwelt und Wirtschaft zusammengebracht. ein vernünftiger Kompromiss", kommentierte der Hamburger SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs das Ergebnis. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil twitterte: "Es ist gut, dass trotz der unterschiedlichsten Positionen ein Kompromiss möglich ist. Das unterscheidet uns von vielen Ländern in denen die Gräben unüberwindbar scheinen oder sogar tiefer werden. Danke an alle Beteiligten, die sich aufeinanderzubewegt haben."

Cem Özdemir von den Grünen schrieb bei Twitter: "Der empfohlene Kohleausstieg ist ein richtiger & wichtiger Schritt. Hambacher Wald soll bleiben, Menschen in Regionen wird geholfen. Danke an alle, die stets Druck gemacht haben. Druck muss bleiben! Dann geht's vielleicht auch schneller und Deutschland kann Vorbild für andere Länder sein."

Die Kommission mit Vertretern von Industrie, Gewerkschaften, Wissenschaft und Umweltverbänden sollte für den Klimaschutz einen Weg aus der Kohle weisen, mit der mit mehr als 100 Meilern immer noch fast 40 Prozent des Stroms in Deutschland produziert wird. Ziel des Beschlusses ist ein gesellschaftlicher Konsens, den die Bundesregierung dann umsetzen muss.

Die Empfehlungen der Kommission sehen vor, die Kohleverstromung in Deutschland bis spätestens 2038 zu beenden, möglicherweise bereits bis 2035. Im Gegenzug sollen die betroffenen Kohleregionen in den kommenden 20 Jahren Strukturhilfen von insgesamt 40 Milliarden Euro erhalten. Bis 2022 sollen Braunkohlekraftwerke mit einer Leistung von etwa fünf Gigawatt und Steinkohlekraftwerke mit einer Leistung von 7,7 Gigawatt vom Netz gehen. In der Folgezeit soll es dann einen weitgehend kontinuierlichen Abbau der Restkapazitäten geben.

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