Klage gegen Heckler & Koch:Sturmgewehre, Sündenböcke und Doppelmoral

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Ein Streit, bei dem es um größere Fragen geht: Heckler & Koch hat Sturmgewehre in Unruhegebiete geliefert. Die Staatsanwälte ermitteln, die Firma hat zwei Angestellte rausgeworfen. Die aber klagen dagegen - und bekommen recht.

Von Max Hägler

Kündigungen und Klagen dagegen sind üblicherweise eine recht persönliche Sache. Um Mobbing geht es, vielleicht auch um die zu geringe Auslastung in einem Unternehmen. Bei den Kündigungsschutzverfahren 12 Ca 154/13 und 155/13, die das Arbeitsgericht Freiburg an diesem Mittwoch zugunsten der Kläger entschieden hat, verhält es sich ein wenig anders.

Es geht zwar auch um die individuelle Zukunft von Axel H. und Marianne B., den zwei gekündigten Angestellten - doch es geht genauso um ihren Arbeitgeber, den Waffenhersteller Heckler & Koch, und, ganz allgemein, um Doppelmoral: um die Doppelmoral, wie sie wohl gang und gäbe ist in der Rüstungsindustrie und der deutschen Politik.

Der Streit dreht sich um einen der berühmtesten und gefährlichsten deutschen Exportartikel: Das Sturmgewehr G 36. "Optimal in der Handhabung und der Feuerdichte im Nahkampf, sowie für ein schnelles, präzises und durchschlagskräftiges Einzelfeuer im Fernkampf", bewirbt Heckler & Koch das 3,6 Kilogramm leichte Gewehr, das von vielen Nato-Soldaten eingesetzt wird. Eine Kriegswaffe, die klaren Ausfuhrbeschränkungen unterliegt: In Krisenregionen darf nicht geliefert werden.

Offizielle Gewehr-Lieferungen nach Mexiko

Die mexikanischen Provinzen Chiapas, Chihuahua, Jalisco und Guerrero sind Krisengebiete. Blutige Bandenkriege laufen in dieser Region, Tausende Menschen starben in den vergangenen Jahren gewaltsam, und "auch von Armee und Polizei" werde gefoltert, so die Einschätzung der staatlichen mexikanischen Menschenrechtsorganisation.

Doch genau dort tauchen in den Händen von Soldaten und Polizisten immer wieder hochmoderne G-36-Gewehre auf, einfach nachzurecherchieren in Berichten der El Paso Times. Tatsächlich hat Heckler & Koch zwischen 2005 und 2010 ganz offiziell nach Mexiko geliefert. Und die Hälfte der 9652 Gewehre zum Stückpreis von etwa 2500 Euro sei in den Krisenprovinzen im Einsatz, gibt die mexikanische Regierung an.

Wie konnte es dazu kommen? Das versucht die Staatsanwaltschaft Stuttgart seit Monaten zu ergründen. 300 Ermittler durchsuchten vor zwei Jahren bereits die Firmenzentrale im schwäbischen Oberndorf, aber auch Anwesen von amtierenden und ehemaligen Geschäftsführern.

Auch das Arbeitsgericht Freiburg versuchte das herauszufinden. Denn Heckler & Koch sagte nach einer "internen Sonderuntersuchung": Allein verantwortlich seien der Vertriebsmanager Axel H. und die Sachbearbeiterin Marianne B., beide seit mehr als 30 Jahren bei der Waffenschmiede. Und hat die zwei am 30. April 2013 entlassen - begleitet von einem Aushang in der Zentrale, dass gegen sie der dringende Tatverdacht bestehe, "Waffenlieferungen in nicht genehmigungsfähige mexikanische Bundesstaaten veranlasst zu haben". Sie hätten dabei "ohne Wissen und Wollen anderer" gehandelt.

Axel H. und Marianne B. sehen das anders, verweisen auf das Mitwissen der Geschäftsleitung und klagten gegen ihre Kündigung. In der öffentlichen Verhandlung im Dezember wurde durch das Insistieren von Richter Matthias Mohn deutlich, wie schwammig und womöglich auch schlampig das Unternehmen, aber auch das zuständige Wirtschaftsministerium in Berlin Ausfuhrgenehmigungen handhabten. Als Heckler & Koch die dafür notwendige "Endverbleibserklärung" aus Mexiko das erste Mal an die Bundesregierung geschickt hatte, war dort noch eine der Tabu-Regionen erwähnt.

Die Unterlagen, die der Richter verlas, deuten darauf hin, dass dann das Wirtschaftsministerium weiterhalf - wenig verwunderlich, denn das Unternehmen ist in der Politik gut angesehen, vor allem der örtliche Bundestagsabgeordnete, CDU-Fraktionschef Volker Kauder, unterstützt Heckler & Koch stets. So hätten Regierungsbeamte telefonisch Hinweise gegeben, welche Regionen genehmigungsfähig sind.

Eine freundliche Unterstützung für ein Unternehmen, das zuletzt angeschlagen war? 2011 und 2012 machte Heckler & Koch Verluste, 2013 hatte die Ratingagentur Moody's das Unternehmen auf Ramschniveau gestuft. Um zu Überleben, muss die Firma, die unter anderem dem deutschen Investor Andreas Heeschen gehört, so viele Waffen wie möglich verkaufen.

Richter bezweifelt Unwissenheit von Heckler & Koch

Jedenfalls besorgte Heckler & Koch aus Mexiko eine angepasste Erklärung, in der die Unruheprovinz ausgenommen war - und die Genehmigung wurde erteilt. Es wirkt absurd, wenn man bedenkt, dass auch in Deutschland Polizisten etwa aus Bayern bei großen Einsätzen in Hamburg mithelfen, natürlich mit der Ausrüstung vom Heimatstandort. In Mexiko ist das auch gesetzlich geregelt: Die Regierung dort ist nur so lange an Beschränkungen für Importwaffen gebunden, wie sie die Waffen nicht andernorts benötigt.

Richter Mohn bezweifelte bereits in der Verhandlung, dass das oberste Management von Heckler & Koch von solch einer Praxis nichts wusste. Und entschied jetzt eben - nachdem sich Firma und gekündigte Mitarbeiter nicht auf einen Vergleich einlassen wollten - zugunsten der Kläger: Sowohl die Aufklärung des Sachverhalts als auch die Anhörung der Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber sei "nach der festen Überzeugung des Gerichts nicht hinreichend" gewesen. Überhaupt wäre "angesichts der geübten Praxis und deren Kenntnis seitens der vorgesetzten Mitarbeiter und der Geschäftsführung" vor Ausspruch einer Kündigung eine Abmahnung erforderlich gewesen. Übersetzt könnte das heißen: Die nachrangigen Mitarbeiter sollen nicht zu Sündenböcken gemacht werden.

Man nehme das Urteil zur Kenntnis, erklärte der schwäbische Waffenproduzent, der wohl Berufung einlegen wird. Weitere Informationen würden nicht gegeben, auch nicht zu den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Dort laufen zwei Verfahren: wegen möglicher Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz, wobei es hier mehr als zwei Beschuldigte gibt. Und wegen des Verdachts der Bestechung von Amtsträgern im In- und Ausland. Ob Anklage erhoben werde sei noch nicht absehbar, hieß es von der Staatsanwaltschaft am Mittwoch. Klar sei freilich: Die Erkenntnisse und das Urteil im Arbeitsrechtsstreit werde man sehr aufmerksam lesen. Und da kommt Heckler & Koch nicht gut weg.

© SZ vom 16.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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