Kanada:Vorbei mit Freibier

Kanada: Beim Freibier geht es um mehr als um eine Form der Entlohnung. Hier geht es um Anerkennung, und ein bisschen auch um Werbung.

Beim Freibier geht es um mehr als um eine Form der Entlohnung. Hier geht es um Anerkennung, und ein bisschen auch um Werbung.

(Foto: Toby Talbot/AP)

Die Pensionäre der Brauerei Labatt verlieren ein jahrzehntealtes Privileg: Sie sollen künftig auf lebenslange Gratisgetränke verzichten. Das will der Konzern Anheuser-Busch Inbev so, zu dem der kleine Betrieb seit einiger Zeit gehört.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Manch Außenstehendem mag es ohnehin wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten erscheinen, eines überdies, dass jeder verantwortliche Arzt längst hätte verbieten müssen. Für die Pensionäre der kanadischen Brauerei Labatt aber geht dieser Tage mehr verloren als nur ein Kasten Freibier, den sie sich bisher alle paar Wochen nach Hause liefern lassen konnten - ein Leben lang. Ihnen kommt ein Stück Tradition abhanden, eine Form der Anerkennung und auch ein Instrument, mit dem sich Gutes tun ließ: Im Zweiten Weltkriegs etwa traten Labatt-Beschäftigte ihre Gutscheine an die Armee ab und sorgten so dafür, dass die Soldaten an der Front im fernen Europa kostenlos mit Bier aus der Heimat versorgt wurden. Aus und vorbei.

Der kostenlose Schluck für die Mitarbeiter war zugleich Dankeswort und Durstlöscher

Seit 1847 wird in London, einer mittelgroßen Stadt in der südöstlichen Provinz Ontario, gebraut. Labatt überlebte Wirtschaftskrisen, die Prohibition und mehrere Übernahmen und stieg zum bedeutendsten Bierproduzenten Kanadas auf. Der lebenslange Freibier-Gutschein gehörte für alle Mitarbeiter seit jeher zum Paket, auch wenn er nicht in jeder Provinz gleich viel wert war: Aktive Beschäftigte in London etwa erhalten derzeit alle zwei Wochen, ehemalige alle sechs bis sieben Wochen einen Kasten mit 24 Flaschen geschenkt. Zwar muss die milde Gabe seit 2006 als geldwerter Vorteil versteuert werden, das schmälerte den Genuss jedoch nur unwesentlich.

Seit einiger Zeit gehört Labatt zum weltgrößten Braukonzern Anheuser-Busch Inbev - und das ist womöglich Teil des Problems, denn die Firmenbosse im belgischen Löwen wollen die Eigenheiten ihrer Traditionsbetriebe offenkundig nicht länger hinnehmen. Angesichts steigender Kosten habe man sich in der gesamten Konsumgüterindustrie umgesehen, wie mit ExBeschäftigten umgegangen werde, so Labatt-Sprecher Charlie Angelakos in einer E-Mail an kanadische Medien. Und siehe da: "Keines der Unternehmen, das wir uns angeschaut haben, stellt seinen Pensionären kostenlose Produkte zur Verfügung."

Viele der Labatt-Ruheständler geben das Flüssiggeschenk bisher an ihre Kinder und Freunde weiter, andere spenden es für Straßenfeste und sonstige Feierlichkeiten. Über die Jahrzehnte wurde die Flasche Labatt mit ihrem charakteristischen blauen Etikett so zu einem festen Bestandteil der kanadischen Feiertradition. Gerade die Pensionäre hätten sich immer als Botschafter ihrer Marke verstanden und seien vom Unternehmen auch so behandelt worden, sagte Jeff Robinson von der Dienstleistungsgewerkschaft SEIU der Lokalzeitung London Free Press (LFP). "Ich bin wirklich tief enttäuscht, dass nun versucht wird, ausgerechnet auf dem Rücken der Ruheständler Geld zu sparen."

Dass Firmen einen Teil des Lohns und der Ruhestandsboni in Naturalien auszahlen, war früher vielerorts üblich. Bergleute erhielten säckeweise Kohle, Forstarbeiter durften Brennholz mit nach Hause nehmen. Und in den Brauereien, wo vor allem das Verladen der Bierfässer ein echter Knochenjob war, war der kostenlose Schluck für die Mitarbeiter zugleich Dankeswort und Durstlöscher. Doch in vielen Ländern, auch in Deutschland, kommt der sogenannte Deputatlohn immer mehr aus der Mode: Mitarbeiter von Molkereien erhalten keinen Gratis-Käse mehr, Energiekonzerne haben ihren Beschäftigten den Stromrabatt gestrichen. Insofern passt die Labatt-Entscheidung ins Bild.

Und doch verschwindet mit dem Freibier für Pensionäre mehr als nur eine überholte Form der Entlohnung. "Es war gut für die Pensionäre, für ihre Nachbarn und ihre Familien. Ich denke, es war gut für jeden", sagte Kevin Lomack, der 27 Jahre für Labatt Brewing gearbeitet hat, der LFP. "Es war etwas, das man an seine Mitmenschen zurückgeben konnte." Von 2017 an werden sich Lomack und seine Ex-Kollegen daran gewöhnen müssen, dass der Bier-Strom immer dünner wird. 2019 soll er ganz versiegen.

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