Italien:Mit Nostalgie in die Zukunft

Italy's Prime Minister Matteo Renzi Meets 'Yes' Vote Referendum Supporters

Der italienische Regierungschef Matteo Renzi posiert mit jungen Parteianhängern, um für seine Kampagne zum Referendum zu werben.

(Foto: Alessia Pierdomenico/Bloomberg)

Das Comeback des Kultautos Giulia steht für Italiens Regierungschef Matteo Renzi symbolisch für das Wiedererstarken der italienischen Wirtschaft. Fast verzweifelt wirbt er für ein Ja zu seinem Referendum.

Von Ulrike Sauer, Rom

Giulia bringt Schwung in die alte Halle. Das Comeback des Kultautos aus den Sechzigerjahren holt in Cassino südlich von Rom gerade viele beschäftigungslose Fiat-Arbeiter zurück ans Band. Fiat Chrysler will mit der neuen Giulia von Alfa Romeo auf den Weltmärkten in der Mittelklasse angreifen. Für Matteo Renzi steckt in der Geschichte Giulias Symbolkraft.

Der Regierungschef flog im Hubschrauber zu einer Stippvisite ein, um vor dem Referendum aus der wiederbelebten Fabrik um das Ja der Italiener zur Verfassungsreform zu kämpfen. "Die Geschichte von der Renaissance von Fiat Chrysler verrät uns viel über das heutige Italien", sagt er. Hätte man in Cassino Nein zum Wandel gesagt, stünde das Werk, das 4300 Mitarbeiter beschäftigt, heute leer.

Renzi stellt die schnittige Giulia dem "glorreichen" Fiat 126 gegenüber, dem ersten Modell, das die Fabrik 1972 verließ. "Uns alle erfüllen die Modelle der Vergangenheit mit Nostalgie, aber die Zukunft unserer Kinder nährt sich nicht aus Nostalgie", sagt Renzi. Mit kleinen Massenautos wie dem Fiat 126 war der Turiner Hersteller fast in die Pleite gefahren. Den Gegnern seiner Reform, die das schwerfällige politische System Italiens effizienter machen soll, unterstellt Renzi genau das: Nostalgie.

Die Neinsager aber liegen in den Umfragen klar vorn. Und so wächst die Nervosität an den Finanzmärkten vor der Volksabstimmung am 4. Dezember. Der Risikoaufschlag auf Zinsen für italienische Staatsanleihen sprang am Freitag auf 1,9 Prozentpunkte, den höchsten Stand seit Mai 2014. Das weckt Erinnerungen an den Sommer 2011, als das hoch verschuldete Land der Staatspleite ins Auge sah. Unterliegt Renzi, kehrt in Rom die politische Instabilität zurück. Gebannt blicken die Finanzmärkte nach Rom, denn das Referendum gilt nach dem Brexit und der Trump-Wahl als Test, ob Regierungen der Euro-Zone dem Populismus etwas entgegensetzen können.

Italiens wunder Punkt ist seine Bankenbranche. Mehrere Institute sind so sehr mit faulen Krediten überladen, dass sie Unterstützung brauchen, um die Bilanz bereinigen zu können. Es geht um nichts weniger als die Stabilität des Finanzsystems. Und das hat Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft: Nur wenn es gelingt, die Banken zu sanieren, kann Wachstum in Gang kommen. Allerdings ist das eine hochkomplexe Aufgabe. Die toskanische Traditionsbank Monte dei Paschi di Siena hat beim europäischen Stresstest im Juli als schlechtestes Institut des Kontinents abgeschnitten. Im Moment unternimmt sie unter der Aufsicht der EZB einen verzweifelten Sanierungsversuch. Um sich auf einen Schlag von 27 Milliarden Euro ausgefallener Kredite zu befreien, muss sie bis Dezember fünf Milliarden Euro frisches Kapital auftreiben. Die Aktionäre stimmten dem Plan des neuen Chefs Marco Morelli am vergangenen Donnerstag zu. Sie hatten keine Wahl. Scheitert der Versuch, stehe eine Abwicklung der Bank bevor, sagte Morelli. Sein Plan umfasst drei Schritte. Keiner davon darf danebengehen. In dieser Woche sind die Besitzer nachgeordneter Anleihen der Monte dei Paschi an der Reihe. Sie müssen ihre Papiere bis Freitag in Aktien umwandeln. Danach muss Morelli einen Ankeraktionär präsentieren, der mit einer Milliarde Euro einsteigt. Schließlich soll vor Jahresende bei Anlegern das restliche Geld eingesammelt werden. Die Unruhe an der Mailänder Börse erschwert jeden dieser Schritte.

Hinzu kommt: Monte dei Paschi ist nicht allein. In Mailand wartet man bei Unicredit seit dem Sommer auf den Ausgang des Referendums - erst danach, am 13. Dezember, wird Konzernchef Jean Pierre Mustier seine Karten aufdecken. Indiskretionen zufolge ist eine Aufstockung des Kapitals um bis zu 13 Milliarden Euro im Gespräch. Auch die beiden Volksbanken Popolare di Vicenza und Banco Veneto könnten neue Kapitalspritzen benötigen. Und selbst die Aufstockung des privaten Bankenhilfsfonds Atlas, der den Geldhäusern die notleidenden Kredite abnehmen soll, hängt vom Ausgang des Referendums ab.

"Wir riskieren viel", sagt Riccardo Illy. Der Kaffeefabrikant aus Triest sorgt sich um die Wirtschaftskraft des Landes. Italiens einzige Chance sei es, seine Wettbewerbsfähigkeit mit einem Reformsprint zu steigern. Das aber könne nur mit einem einfacheren politischen System gelingen. "Jetzt oder nie", hieß es vor dem Referendum. "Wir wissen das, Europa weiß es und die Finanzmärkte wissen es", sagt der Familienunternehmer.

Renzi versucht, die "stille Mehrheit" der Unentschlossenen zu überzeugen, um den Vorsprung des Nein wettzumachen. In Cassino zeigte sich, wie schwer das ist. Im Fiat-Werk rechnet man damit, dass am Sonntag in der Belegschaft die Neinstimmen überwiegen. Man habe Angst vor dem Wandel, begründet ein 40-jähriger Arbeiter die Reformskepsis. "Ich traue den Politikern nicht. Wenn man ihnen mehr Macht gibt, nutzen sie das aus", sagt er.

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