Irritationen wegen Merkel und Autolobby:Politik mit Pferdestärken

Angela Merkel IAA Opel Auto

Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der Automesse IAA in Frankfurt

(Foto: dpa)

Fünf Jahre Verhandlungen - für nix: Zum Ärger von Umweltschützern blockiert Angela Merkel höchstpersönlich doch noch schärfere CO2-Regeln für Autos. Das ist ganz im Interesse der deutschen Oberklasse-Hersteller. Auffällig ist die Nähe ihrer Lobby zur CDU.

Von Jannis Brühl

Deutschland hat einfach mehr PS. Nicht nur wenn es um Autos geht, sondern auch politisch. Die Kanzlerin ließ den irischen Ministerpräsidenten Enda Kenny ihre Stärke spüren - und die der Autoindustrie. Jetzt tobt die Opposition, Greenpeace schreibt von einem "SKANDAL!", eine andere Umweltorganisation veröffentlicht eine ironische Pressemitteilung: "Die Deutsche Umwelthilfe gratuliert Daimler und BMW für die Übernahme der Regie im Kanzleramt."

Andere EU-Staaten wollten den deutschen Sinneswandel nicht mittragen, die neue CO2-Norm für Autos doch noch zu kippen, obwohl sich alle Regierungen bereits auf sie geeinigt hatten. Also griff Merkel, offensichtlich eher Auto- als Klimakanzlerin, zum Hörer und rief Kenny direkt an. Der irische Premier regiert ein Land, das seit seiner Bankenkrise nicht nur von deutschen Kreditgarantien abhängig ist, sondern derzeit auch die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Merkel bat um Aufschub, Kenny entfernte die wichtige umweltpolitische Entscheidung von der Tagesordnung des EU-Treffens am Donnerstag. Wann eine Entscheidung fallen wird, ist nun völlig unklar. Frühestens dürfte es nach der Europawahl im Mai 2014 einen neuen Versuch geben. Einige Diplomaten glauben gar, dass die Norm nie mehr zustande kommen könnte.

Es wäre ohnehin ein Kompromiss gewesen, aber einer im Interesse des Klimaschutzes: Am Montag hatten sich Unterhändler von Mitgliedstaaten und Parlament auf die neuen Normen geeinigt. Kennys eigener Umweltminister hatte die Einigung als "Win-Win für Klima, die Verbraucher, Innovation und Arbeitsplätze" gelobt. Nun gibt die Bundesregierung als Grund an, sie brauche noch Zeit, um die Verordnung zu prüfen - nach fünf Jahren Verhandlungen.

Die Einigung sah vor, dass die CO2-Höchstgrenze für den Durchschnitt der Flotte jedes Autobauers in der Zeit von 2015 bis 2020 von 120 auf 95 Gramm sinkt. Bis 2025 sollen die Grenzen noch strenger werden. Das trifft größere Autos mit hohem Spritverbrauch mehr als kleinere. Auf ihre Hersteller kommen für mehr Umweltschutz höhere Kosten zu. Das ging den deutschen Herstellern schwerer Limousinen und Geländewagen zu weit. Hintergrund ist ein Kampf zwischen den deutschen Premium-Autobauern und den Herstellern kleiner Wagen - und die kommen vor allem aus Frankreich und Italien. Diese Staaten empören sich nun am meisten über die deutsche Machtgeste.

Auffällig ist die Nähe der Bundesregierung zur Autolobby. Im Kanzleramt sitzt als Staatsminister der CDU-Politiker Eckhart von Klaeden. Er ist für die Bund-Länder-Koordination zuständig, besonders im Bundesrat. Als bekannt wurde, dass er nach der Bundestagswahl als Cheflobbyist zu Daimler wechselt, forderte die Opposition seinen sofortigen Rücktritt. Von Klaeden will aber erst kurz vor der Wahl aufhören.

Schon im Herbst meldete EU-Industriekommissar Günther Oettinger, ebenfalls in der CDU, VW-Konzernchef Martin Winterkorn in einem Brief etwas unterwürfig, dass die Kommission die Vorgaben in ihrem Entwurf für die Verordnung verwässert habe - Winterkorn brauche also keine Angst zu haben. Zuletzt intervenierte Matthias Wissmann direkt bei der Kanzlerin. Der CDU-Mann war einst Forschungs- und dann Verkehrsminister unter Helmut Kohl - im Kabinett saß er mit Umweltministerin Angela Merkel. Nun ist er als Präsident des Verbandes der Automobilindustrie der oberste Lobbyist der Konzerne. In einem Brief warnte er vergangene Woche die "liebe Angela", Deutschlands "leistungsfähiges und starkes Premiumsegment" werde "buchstäblich kaputt reguliert".

Merkel verteidigt sich gegen die Empörung: "Es geht hier um die Gemeinsamkeit von umweltpolitischen Zielen und industriepolitischen Zielen, und da geht es auch um Beschäftigung", sagte sie nach dem EU-Gipfel in Brüssel. Um die Vorgaben noch prüfen zu können, habe die Abstimmung der EU-Botschafter am Donnerstag auf Bitte Deutschlands nicht stattgefunden: "Wir haben die Ergebnisse der Verhandlungen sehr kurzfristig bekommen." Ein Sprecher hatte zuvor erklärt, es sei wichtig, dass "den Besonderheiten der deutschen Automobilindustrie Rechnung getragen" werde.

Die Autoindustrie und manch ein Autokäufer, der nun einen Luxuswagen weiter ohne den Umweltaufschlag kaufen kann, dürften zufrieden sein. In Europa sind viele irritiert. Die Financial Times berichtet, Diplomaten seien genervt, weil die Bundesregierung so ein wichtiges europapolitisches Thema blockiere, nur um zu Hause für die Bundestagswahl zu punkten.

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