Großbritannien:Vier Zeichen, dass der Brexit die britische Wirtschaft schwächen wird

Großbritannien: Britische Hauptstadt London.

Britische Hauptstadt London.

(Foto: Matt Dunham/AP)

Weniger neue Arbeitsplätze, fallende Immobilienpreise: Schon jetzt zeigen sich die Folgen des Brexit-Votums - und wecken Erinnerungen an Krisenzeiten.

Von Jan Schmidbauer

Es ist noch keine zwei Monate her, dass die Briten sich dazu entschlossen, die Europäische Union zu verlassen. Viele einflussreiche Institutionen und Politiker warnten das Land vor einem solch schwerwiegenden Schritt. Und schon jetzt zeigt sich, dass diese Warnungen berechtigt waren: Der Brexit - danach sieht inzwischen vieles aus - wird die britische Wirtschaft schwächen. Mehrere Frühindikatoren, die in den vergangenen Tagen veröffentlicht wurden, zeigen Werte, die zuletzt in Zeiten der Finanzkrise zu sehen waren. In die Realität übersetzt könnten sie bedeuten: Großbritannien verliert Geld, Großbritannien verliert Einfluss und Großbritannien verliert Jobs.

Britischer Arbeitsmarkt bricht ein

Unternehmen stellten schon im Juli deutlich weniger Personal ein. Die Zahl der neu ausgeschriebenen unbefristeten Stellen ist nach Angaben der Personalvermittlung REC so stark zurückgegangen wie seit 2009 nicht mehr. Damals kämpfte Großbritannien genau wie andere Staaten mit den Folgen der Finanzkrise, die zu einer weltweiten Wirtschaftskrise wurde. "Der Arbeitsmarkt hat im Juli einen dramatischen freien Fall erlebt", sagt REC-Chef Kevin Green. "Die wirtschaftlichen Turbulenzen nach dem Votum für ein Ausscheiden Großbritanniens aus der Europäischen Union sind zweifelsohne der Grund."

Ein Problem ist für die Unternehmen vor allem die Unsicherheit. Noch weiß niemand, ob und wann es wirklich zu einem EU-Austritt des Landes kommt. Die Ungewissheit lähmt die Wirtschaft. Viele Unternehmen verzögern Investitionen und stellen neue Mitarbeiter lieber nur befristet ein, solange sie nicht wissen, was in den kommenden Monaten und Jahren passieren wird.

Unternehmen bekommen weniger Aufträge

Bei vielen Unternehmen gehen schon jetzt weniger Aufträge ein. Das zeigt ein wichtiger Einkaufsmanagerindex der Industrie, der in Großbritannien regelmäßig erhoben wird. Er brach im Juli so stark ein wie seit drei Jahren nicht mehr. Der Index fiel um 4,2 Punkte auf einen Wert von 48,2. Ein Wert über 50 signalisiert Wachstum, ein Wert unter 50 dagegen einen wirtschaftlichen Abschwung. Eine Schätzung hatte zuvor lediglich einen Rückgang auf 49,1 Punkte vorausgesagt.

Der vom Institut Markit erhobene Wert gilt als wichtiger Frühindikator für die wirtschaftliche Lage der produzierenden Unternehmen. Sie äußern sich beispielsweise zu der Zahl ihrer Auftragseingänge und geben damit eine Prognose für die Entwicklung der Konjunktur ab. Ein solch niedriger Wert signalisiert, dass sich die Industrie auf eine schlechtere Auftragslage einstellen muss.

Positiv wirkt sich lediglich das billige Pfund aus. Die Währung hat seit dem Brexit-Votum massiv an Wert verloren. Das verbilligt die Exporte. Ein Grund, warum der FTSE100 - das britische Äquivalent zum Dax - seit dem 24. Juni sogar zugelegt hat. Denn in dem Index sind viele exportlastige Unternehmen notiert.

Droht in Großbritannien eine Immobilienblase?

In Londons Nobelvierteln fallen die Immobilienpreise

Eine Wohnung in London galt lange als krisensichere Geldanlage. Wer es sich leisten konnte, in der boomenden Metropole eine Wohnung zu kaufen, konnte sich damit eine gute Rendite sichern. Die Immobilienpreise kannten meist nur eine Richtung: aufwärts. Doch nun ist auch das vorbei. Noch immer liegt der Wert der meisten Häuser und Wohnungen deutlich über denen aus der Zeit der Immobilienkrise. Doch die Immobilienpreise in Londons teuersten Gegenden brachen zuletzt so stark ein wie zuletzt vor sieben Jahren. Im Viertel Knightsbridge fielen sie innerhalb eines Monats um satte 7,3 Prozent.

Auch im Bausektor erinnert die Situation an düstere Zeiten. Ein wichtiger Frühindikator der Immobilienbranche fiel auf den tiefsten Stand seit sieben Jahren. Ein Problem haben vor allem Firmen, die kommerziell genutzte Gebäude bauen. Denn manche Unternehmen bezweifeln nach dem Brexit-Votum, ob sie sich wirklich noch in der Londoner City ansiedeln sollen, wenn das Land am Ende den EU-Binnenmarkt verlassen muss. Bei vielen Banken kursieren bereits Pläne, ihre Niederlassungen in andere europäische Großstädte zu verlegen. Die Investmentbank Goldman Sachs erwägt, ihr Großbritannien-Geschäft wegen des Brexit-Votums zu "restrukturieren". Gemeint ist: Viele Arbeitsplätze könnten wegfallen.

Die Notenbank korrigiert ihre Wachstumsprognose

Was bleibt Großbritannien nun übrig, wenn die Konjunktur einbrechen sollte? Viele hoffen, dass die Bank of England durch ihre Geldpolitik Schlimmeres verhindert. Und die Notenbank handelte am Donnerstag: Sie senkte nicht nur den Leitzins, sondern weitete überraschend auch den Kauf von Anleihen aus. Die Notenbank - das lässt sich aus den Maßnahmen ableiten - hält die Situation für sehr ernst.

Sie korrigierte auch ihre Prognosen zum Wirtschaftswachstum deutlich nach unten. Eigentlich war sie davon ausgegangen, dass die britische Wirtschaft im kommenden Jahr um 2,3 Prozent zulegt. Doch diesen Wert kassierte die Zentralbank am Donnerstag. Gerade einmal 0,8 Prozent Wachstum sagt sie nun voraus. Und auch für das Folgejahr musste sie ihre Prognose nach unten korrigieren. Für die Bank of England ist die Sache also klar: Für die heimische Wirtschaft hat das Brexit-Votum schmerzhafte Folgen. Und die Notenbank ist zu vielem bereit, um die Konsequenzen zumindest zu mildern. Der Leitzins, den sie gestern auf den tiefsten Wert ihrer Geschichte absenkte, könnte in diesem Jahr noch einmal fallen, teilte sie mit.

Eine neue Finanzkrise bahnt sich laut Notenbank-Chef Mark Carney aber nicht an. In einem Radiointerview versuchte er am Freitagmorgen zu beruhigen: Die aktuellen wirtschaftlichen Probleme stünden in keinem Vergleich zur Finanzkrise oder zur Eurokrise, sagte Carney. "Das ist ein moderner Finanzsektor, der funktioniert."

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