Gesetz zur Tarifeinheit:Kämpfen und kämpfen lassen

Bürger und Wirtschaft sollen vor Arbeitskämpfen kleiner Gewerkschaften geschützt werden: Heute will das Bundeskabinett das Gesetz zur Tarifeinheit beschließen. Doch was wird darin geregelt? Wer profitiert - und wem schadet die Neuregelung?

Von Detlef Esslinger und Thomas Öchsner, Berlin

Wer häufig mit dem Zug fährt oder fliegt, kam in den vergangenen Monaten manchmal nicht weiter. Entweder streikten die Lokführer der DB oder die Piloten der Lufthansa. Es ist einerseits Zufall, dass die beiden Arbeitskämpfe einhergehen mit dem Plan der Bundesregierung, Bürger und Wirtschaft vor Arbeitskämpfen von kleinen Berufsgewerkschaften wie GDL und Cockpit zu schützen. Andererseits fühlt sie sich durch die Arbeitskämpfe in der Annahme bestärkt, wie dringend es ein Gesetz zur Tarifeinheit brauche. Jahrelang haben die alte und die neue Regierung daran gebastelt. An diesem Donnerstag soll das Kabinett einen Entwurf aus dem Bundesarbeitsministerium billigen.

Was wird das Gesetz regeln?

Es soll das Prinzip der Tarifeinheit wieder stärken. In großen Unternehmen, in denen mehrere Gewerkschaften tätig sind, soll das Gesetz ein möglichst einheitliches System von Lohn- und Arbeitsbedingungen herstellen, zumindest für ein und dieselbe Berufsgruppe. Kleinen, aber schlagkräftigen Berufsgewerkschaften soll eben diese Schlagkraft genommen werden. Ministerin Andrea Nahles sagt: "Dass einige Spartengewerkschaften für ihre Partikularinteressen vitale Funktionen unseres Landes lahmlegen, ist nicht in Ordnung."

Wie sollen die Bestimmungen des Gesetzes sein?

In den Betrieben wird das Mehrheitsprinzip verankert. Können sich eine große und eine kleine Gewerkschaft nicht zur Zusammenarbeit entschließen, soll nur noch der Tarifvertrag derjenigen Gewerkschaft gelten, die dort die meisten Mitglieder hat. Nahles sieht darin einen Anreiz für Gewerkschaften, sich gütlich zu einigen: entweder für alle Beschäftigten gemeinsam zu verhandeln oder untereinander aufzuteilen, wer für welche Berufsgruppe spricht.

Wird es damit keine Streiks von Lokführern und Piloten mehr geben?

Den Piloten kann das Gesetz wohl egal sein. Fast alle von ihnen sind bei der Vereinigung Cockpit (VC) organisiert und fast keiner bei Verdi. Deshalb hat Verdi stets erklärt, deren Tarifverhandlungen der VC zu überlassen. Anders sieht es bei den Lokführern aus. Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) hat im Bahnkonzern weitaus mehr Mitglieder als die GDL. Beide Organisationen können sich weder auf eine Verhandlungsgemeinschaft noch auf Federführungen für Lokführer und Zugbegleiter einigen. Bleibt das so und tritt das Gesetz in Kraft, würde das Gesetz die GDL zwingen, sich einem Tarifvertrag der EVG anzuschließen.

Wer profitiert von dem Gesetz?

Es würde zunächst manche Arbeitgeber entlasten. Sie müssten sich künftig mit weniger Gewerkschaften auseinandersetzen als bisher. Aber auch viele große Gewerkschaften würden profitieren: Die IG Metall, die IG BCE, aber auch die EVG wären wohl jede ernsthafte Konkurrenz los.

Wem schadet es?

Mehrere Berufsgewerkschaften könnten künftig wohl keine Tarifverhandlungen mehr führen - die prominenteste von ihnen ist sicherlich die GDL. Zumindest sind sie davon abhängig, ob eine Branchengewerkschaft ihnen eine Verhandlungsgemeinschaft oder sogar eine Federführung zugesteht. Aber auch eine eigentlich große Gewerkschaft wie Verdi befürchtet negative Folgen: In manchen Krankenhäusern im Osten vertritt die Ärztegewerkschaft Marburger Bund mehr Beschäftigte als sie.

Welche praktischen Probleme gibt es beim Umsetzen des Gesetzes?

Die neuen Paragrafen setzen beim Betrieb an. Dort soll das Mehrheitsprinzip gelten. Was aber ein Betrieb ist, ist nicht genau definiert. Die DB hat schon jetzt mehr als 300 Betriebe. Der Frankfurter Arbeitsrechtler Thomas Ubber - der schon sie und die Lufthansa vertreten hat -, warnt vor einem "Flickenteppich", auf dem mal der Tarif der EVG und mal der der GDL gelten würde. Außerdem könnten große Unternehmen ihre Organisation umstellen - und "Betriebe" schaffen, in denen Gewerkschaften das Sagen haben, die ihnen angenehmer sind. Das befürchtet sogar der DGB, dem IG Metall und EVG angehören und der grundsätzlich für das Gesetz ist.

Wie ermittelt man eigentlich, welche Gewerkschaft in einem Betrieb mehr Mitglieder hat?

Dazu müssten die Gewerkschaften wahrscheinlich einem Notar ihre Mitgliederlisten offenlegen. Der Chef des Beamtenbundes, Klaus Dauderstädt, kündigt an: "Wir würden uns erst einmal verweigern. Kein Bürger muss erklären, ob er in einer Gewerkschaft ist." Hinzu kommt: Arbeitsgerichte werden künftig womöglich häufiger entscheiden müssen, wann Streiks noch verhältnismäßig, also erlaubt sind. Denn warum sollte eine kleine Gewerkschaft noch zum Streik aufrufen dürfen, wenn sie eh kein Recht auf einen eigenen Tarifvertrag mehr hat? Deswegen lehnen die kleinen Gewerkschaften das Gesetz ab: Sie bewerten es als Angriff aufs Streikrecht.

Kann eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht das Gesetz aufhalten?

Verfassungsklagen von Berufsgewerkschaften und dem Beamtenbund sind bereits angekündigt. Bis aber ein Urteil kommt, dürfte es Jahre dauern. So lange würden viele Arbeitgeber sich wohl weigern, mit Berufsgewerkschaften, die in der Minderheit und im Zwist mit der Mehrheitsgewerkschaft sind, noch Tarifverhandlungen zu führen. Das Gesetz wäre ja in Kraft. Die Verabschiedung ist für Mai nächsten Jahres geplant.

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