Freihandel:Nationale Parlamente haben einen Pyrrhussieg errungen

Sie dürfen über das Ceta-Abkommen mitbestimmen. Aber die Machtfrage zwischen Kommission und EU-Mitgliedern ist damit nur scheinbar geklärt.

Kommentar von Alexander Mühlauer

Jetzt also doch: Alle nationalen Parlamente der Europäischen Union sollen über das Handelsabkommen mit Kanada (Ceta) abstimmen. So hat es Jean-Claude Juncker entschieden. Das ist äußerst bemerkenswert, denn vor einer Woche noch hatte der EU-Kommissionspräsident genau das Gegenteil gefordert. Er wähnte sich auf der rechtlich sicheren Seite, denn in der EU ist seine Behörde für die gemeinsame Handelspolitik zuständig. Doch Juncker hatte eines massiv unterschätzt: den politischen Widerstand der Mitgliedstaaten, von deren Gunst er weitaus abhängiger ist, als ihm lieb sein mag.

Was ist also in dieser Woche seit dem Gipfeltreffen in Brüssel passiert? Juncker hatte aus Sicht der Staats- und Regierungschefs einen großen Fehler gemacht. Er wollte eine handelspolitische Grundsatzfrage am Tag des Brexit-Gipfels beantwortet wissen. Doch im Lichte des Anti-EU-Votums der Briten wollte niemand die Bürger mit einer scheinbar undemokratischen Entscheidung noch stärker "gegen Brüssel" aufbringen. Die EU-Staaten wollten das Signal senden: Wir haben verstanden, ihr bekommt mehr Demokratie. Deshalb sollen die nationalen Parlamente bei einem so emotional aufgeladenem Thema wie Ceta auch mitentscheiden.

EU-Staaten gegen Kommission: Die Machtfrage ist geklärt

Dieses politische Gespür fehlte Juncker an diesem Gipfelabend, für ihn kam der Widerstand aus den Hauptstädten überraschend. Er hatte wohl einfach nicht damit gerechnet. Kein Wunder, dass er seit einer Woche zunehmend gereizt auf Widerspruch reagierte. Der sonst humorbegabte Kommissionspräsident wirkte plötzlich dünnhäutig und angespannt. Die Kritik an seinem Verhalten in der Brexit-Debatte, seine laxe Auslegung der Regeln beim Stabilitätspakt, die ständigen Debatten über seinen Gesundheitszustand haben ihn sichtlich mitgenommen. Er reagierte ungehalten.

Am Ende ging es beim Handelsabkommen mit Kanada nicht mehr um Handel, sondern um eine Machtfrage: Wer bestimmt die Handelspolitik der EU? Das wäre mit Junckers Entscheidung nun geklärt, auch für weitere Verträge, wie etwa das transatlantische Abkommen TTIP. Die Staats- und Regierungschefs haben der EU-Kommission klar gemacht, dass sie bei diesen Themen wieder stärker mitreden wollen. Sie haben gemerkt, dass sie einer zunehmend kritischen Öffentlichkeit mehr Mitspracherecht geben müssen.

Es ist nun die Pflicht aller EU-Staaten, ihre Haltung zu klären: Wie stehen wir zum Freihandel? Denn sie waren es ja, die vor Jahrzehnten die Kompetenz in der Handelspolitik nach Brüssel abgegeben hatten. Danach ist die Debatte auf nationaler Ebene eingeschlafen - bis TTIP und Ceta kamen. Die Regierungen müssen nun ihren Bürgern erklären, dass nach der Entscheidung von Juncker die unzweifelhaft europäischen Themen bei Ceta vorab in Kraft gesetzt werden können - also vor den Abstimmungen in den nationalen Parlamenten. Das gilt für mehr als 90 Prozent des Vertragsinhalts von Ceta. Das kann man erklären. Man muss es auch.

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