Freihandel:Gabriel zweifelt an TTIP - und lobt Ceta

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Das Freihandelsabkommen mit den USA ist umstrittener als der Vertrag mit Kanada. Trotzdem kritisieren Demonstranten, die etwa hier in Berlin gegen TTIP protestieren, oft auch Ceta. (Foto: Gregor Fischer/dpa)

Der Wirtschaftsminister hält anders als die Kanzlerin das Freihandelsabkommen TTIP in seiner jetzigen Form für gescheitert. Doch er kennt einen Ausweg.

Von Alexander Mühlauer, Brüssel

In der SPD vernahm man die Nachricht mit Erleichterung, in der Bundesregierung dagegen waren viele irritiert: Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel zweifelt am Freihandelsabkommen TTIP zwischen Europa und den USA; er hält es in seiner jetzigen Form für gescheitert. Ein internes Papier aus seinem Ministerium, das diese Woche publik wurde, kommt zur Erkenntnis, dass es, anders als von der Kanzlerin angestrebt, unmöglich sei, die Verhandlungen in den nächsten Monaten abzuschließen. Gabriel, so könnte man meinen, habe keine Lust mehr auf Freihandel.

Tatsächlich kann sich der Bundeswirtschaftsminister durchaus vorstellen, ein Handelsabkommen mit den USA abzuschließen; es müsste nur ganz anders aussehen: ausgewogener, sozialer, gerechter. Und eine Blaupause dafür gibt es bereits. Das zeigt eine interne Analyse der Sozialdemokraten, die auch auf Gabriels Schreibtisch liegt und dem Wirtschaftsminister und Parteivorsitzenden als Argumentationsgrundlage dient. Das Vorbild für einen ausgewogenen Vertrag heißt: Ceta. Es ist das in der Öffentlichkeit ebenfalls umstrittene Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada - aus Sicht von Gabriel ist dies ein "gutes Abkommen", TTIP dagegen in seiner jetzigen Form ein "schlechtes".

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Erstellt hat das Papier, das sich mit Gabriels Linie deckt, der sozialdemokratische Europa-Abgeordnete Bernd Lange, der den Handelsausschuss im Europäischen Parlament leitet. Er stellt in einer 28-seitigen Synopse die Kriterien, die die SPD auf ihrem Konvent im September 2014 und ihrem Parteitag im Dezember 2015 für Handelsabkommen aufgestellt hat, den Inhalten von Ceta gegenüber. Und siehe da: Der Vertrag entspricht in fast allen Punkten den Kriterien der SPD. Oder wie es Lange formuliert: "Insgesamt ist es bei Ceta gelungen, in vielen Bereichen fortschrittlichere Regeln und Standards zu vereinbaren, als dies in bisherigen europäischen und nationalen Handelsabkommen der Fall war. Schließlich ist Kanada auch ein Partner, der der EU politisch, wirtschaftlich und sozial näher steht als viele andere Handelspartner in der Welt." Die wichtigsten Punkte des Papiers:

Arbeit, Umwelt und Verbraucherschutz

Aus Sicht des Europa-Abgeordneten Lange findet sich in Ceta "ein klares Bekenntnis zum Schutz von Arbeitnehmerrechten und hohen Verbraucherschutz-, Sozial- und Umweltstandards". Handelspolitische Ziele dürften nicht dazu dienen, europäische Schutzstandards für Arbeit und Umwelt aufzuweichen. Außerdem gilt das Vorsorgeprinzip, das dem europäischen Verbraucherschutz zugrunde liegt und Gentechnik und Hormonfleisch in Nahrungsmitteln in Europa verhindert. Dieser Grundsatz könne, so Lange, nicht durch Ceta abgeschafft oder eingeschränkt werden. Es gebe zwar in Kanada unterschiedliche Ansätze, aber unter dem Strich verspricht der Europa-Politiker: "Das Vorsorgeprinzip bleibt unangetastet." Besonders bedeutend ist aus SPD-Sicht der Schutz der Arbeitnehmerrechte. Kanada und die EU verpflichten sich, die grundlegenden Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) umzusetzen. Bei Vertragsfertigstellung hatte Kanada zwar zwei der acht ILO-Kernarbeitsnormen noch nicht ratifiziert, dies soll aber bald geschehen.

Außerdem finden sich in Ceta die OECD-Leitsätze zur sozialen Verantwortung multinationaler Unternehmen. Lange weist in seiner Synopse darauf hin, dass Artikel 23.4 des Ceta-Vertrags verbiete, "das Schutzniveau im Arbeitsrecht wegen des Handels oder aufgrund von Investitionsabsichten abzusenken oder aufzuweichen". Auch das entspricht einer Kernforderung der SPD.

Investorenschutz

In diesem umstrittenen Punkt wurde mit den Kanadiern noch einmal nachverhandelt. Der eigentlich fertige Vertragstext wurde angesichts der heftigen Kritik am bislang geltenden Prinzip privater Schiedsgerichte geändert. Nun findet sich im Vertrag das vom Bundeswirtschaftsministerium und der EU-Kommission forcierte Modell eines Investitionsgerichts (Investment Court System).

Der Europa-Abgeordnete Lange sieht das sehr positiv: "Dies ist die Abkehr von den bislang existierenden privaten Schiedsgerichten, ein neuer Schritt in derartigen Handelsabkommen und ein sozialdemokratischer Erfolg." Dieser sei deshalb möglich geworden, weil sich die neue kanadische Regierung, anders als ihre Vorgänger, weniger an den USA orientierten, sondern stärker auf eine eigenständige Partnerschaft mit der EU setze.

Mit Blick auf TTIP bedeute das: "Die USA gehen dagegen immer noch den alten Weg der privaten Schiedsgerichte." Was den Investorenschutz bei Ceta angeht, müsse die Unabhängigkeit der Richter des Investitionsgerichtshofs "hieb- und stichfest" sein - dies gelte es im Ratifizierungsprozess noch genau zu prüfen.

Daseinsvorsorge

Das Ziel der SPD ist klar formuliert: "Die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge in der EU muss gewahrt werden." Für Deutschland bedeute dies, dass keine Verpflichtungen übernommen werden sollen. Lange sieht dieses Ziel mit Ceta erreicht. Weitreichende Schutzvorbehalte erkennt er vor allem bei der Wasserversorgung, in der Bildung sowie im Gesundheits- und Sozialbereich. Aus Ceta würden sich "keinerlei Privatisierungspflichten" öffentlicher Dienstleistungen ergeben.

Öffentliche Beschaffung

Dieses Thema ist laut Lange vor allem ein Gewinnbringer für europäische Firmen: "Unternehmen aus Kanada könne sich schon seit Jahren an öffentlichen Ausschreibungen in der EU beteiligen. Durch Ceta wird diese Möglichkeit jetzt auch für Unternehmen aus der EU in Kanada geschaffen." Dabei ist dem Sozialdemokraten besonders wichtig, eines klarzustellen: "Ceta ändert nichts an den geltenden Vorschriften über Vergabeverfahren in Europa." Darauf habe das Abkommen mit Kanada keinen Einfluss. Auch Arbeits-, Umwelt- und Sozialstandards dürfen somit weiter Kriterien bei der Auftragsvergabe sein. Die Angst mancher Kommunen, dass sie gewisse Aufträge ohne Ausschreibung an sogenannte Eigenbetriebe vergeben dürfen, ist laut Lange unbegründet.

Parlamentarische Zustimmung

Es wurde heftig darum gerungen, doch am Ende setzten sich die EU-Staaten gegen die Europäische Kommission durch: Ceta muss von allen nationalen EU-Parlamenten ratifiziert werden. Zunächst soll aber, so Lange, das Europäische Parlament den Vertrag sorgfältig prüfen. Die Ratifizierung dürfte seiner Meinung nach im Frühjahr 2017 abgeschlossen sein. "Bei einem Ja kann sich die anschließende nationale Ratifizierung über mehrere Jahre erstrecken", schreibt Lange. Zur bislang üblichen Praxis, Handelsverträge vorläufig anzuwenden, findet sich in der sozialdemokratischen Synopse allerdings kein Wort.

Nur der Hinweis: Erst nach der Ratifizierung der nationalen Parlamente "wird das Ceta-Abkommen vollständig in Kraft treten können". Was wiederum nicht heißt, dass der größte Teil davon schon vorläufig in Kraft treten könnte. Das dürfte noch für reichlich Konfliktstoff sorgen - besonders bei den Sozialdemokraten.

© SZ vom 12.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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