Fluggesellschaften:Billig über den Atlantik

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Er hat gut lachen: Norwegian-Chef Björn Kjos hat einen Billiganbieter gegründet und damit erstaunlich viel Erfolg. (Foto: Simon Dawson/Bloomberg)

Airlines wie Wow oder Norwegian locken die Kunden mit niedrigen Preisen auch für Langstrecken-Flüge. Die etablierten Anbieter suchen fieberhaft nach einer Strategie.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Jean-Marc Janaillac ist noch ein Neuling in der Luftverkehrsindustrie. Vor ein paar Wochen erst rückte er an die Spitze von Air France/KLM als Nachfolger von Alexandre de Juniac, der lieber gut bezahlter Chef des Branchenverbandes International Air Transport Association (IATA) werden wollte, statt weiter zu versuchen, die angeschlagene Fluggesellschaft zu sanieren. Janaillac hat über seine Pläne noch nicht viel durchblicken lassen, aber er scheint zumindest eine gute Beobachtungsgabe zu haben. Der neue Chef kündigte an, Air France prüfe Billigflüge auch auf Langstrecken.

Wenn selbst die - für ihre weitgehende Reformunfähigkeit berüchtigte - Air France über einen solchen Schritt nachdenkt, dann muss die Idee tatsächlich gut und der Druck schon sehr groß sein. Auf Kurzstrecken innerhalb Europas haben die Billigflieger die angestammten Fluggesellschaften wie Air France/KLM, Lufthansa oder British Airways längst in die Defensive gedrängt. Sie wachsen mit günstigen Preisen und überlegenen Geschäftsmodellen, während die Konkurrenz stagniert und schrumpft. Nun wollen die Billigfluggesellschaften offenbar beweisen, dass das Konzept allen Skeptikern zum Trotz auch auf Langstrecken funktioniert.

Für 155 Euro von Frankfurt nach New York, für 189 Euro von Berlin nach Los Angeles

Für 155 Euro von Frankfurt nach New York, für 189 Euro von Berlin nach Los Angeles oder für 165 Euro nach Washington - klar, nur kleine Sitzplatzkontingente werden zu günstigen Tarifen verkauft. Aber was die isländische WOW Air derzeit im Internet anbietet, ist ein Vorgeschmack auf das, was in den kommenden Jahren passieren könnte: Immer mehr neue Anbieter drängen auf den lukrativen Nordatlantik und unterminieren das Geschäft der Altvorderen. Nachdem frühere Versuche schon in den 80er Jahren gescheitert waren, scheint das Konzept jetzt buchstäblich abzuheben. Pionier Norwegian Air Shuttle ist derzeit auf den Transatlantikstrecken mit einer schnell wachsenden Flotte von neuen Boeing 787 der größte Anbieter. Norwegian fliegt von mehreren Zielen in Skandinavien sowie von London und Paris in die USA, bald sollen Barcelona und Rom als Standorte folgen. In Kanada haben sich Air Canada Rouge und Westjet auf die Langstrecken gewagt, in Deutschland lässt Lufthansa ihren Billigableger Eurowings mit derzeit vier Airbus A 330 Fernstrecken bedienen. Seit wenigen Tagen gibt es mit French Blue auch eine französische Billig-Airline, die zunächst Punta Cana und La Réunion anfliegt. Die isländische WOW Air macht sich die geografische Lage des Heimatflughafens Reyjkjavik zwischen Europa und Nordamerika zunutze und verbindet Ziele auf beiden Kontinenten. Und in den USA erwägt die erfolgreiche Billigairline JetBlue Airways, bald Flüge nach Europa anzubieten.

Dass das Konzept funktionieren kann, zeigen gleich mehrere Anbieter in Asien: Jetstar, ein Ableger der australischen Fluggesellschaft Qantas, fliegt profitabel Strecken, auf denen die Muttergesellschaft Geld verloren hat. Scoot gehört zu Singapore Airlines und wird nach ähnlichem Muster eingesetzt. Auch die malaysische Air Asia X scheint nach schwierigen Jahren die Wende zu schaffen und erwägt, bald nach Europa zurückzukehren.

Kritiker sagen, dass Billigflüge auf Langstrecken nicht so gut funktionieren können wie auf Kurzstrecken, weil die Airlines keinen so großen Kostenvorteil erreichen können: Die Flugzeuge fliegen bei allen unabhängig vom Geschäftsmodell fast rund um die Uhr, die Passagiere müssen mit Essen und Trinken versorgt werden, ein Bordunterhaltungsprogramm ist gefragt. Das Konzept scheint trotzdem aufzugehen, was für Lufthansa oder Air France zum Problem wird.

Der Kostenvorteil sei immer noch "substanziell", sagte Jetstar-Chefin Jane Hrdlicka jüngst auf dem Londoner World Low Cost Airline Congress. "Kommerziell sind wir sehr erfolgreich," so Eurowings-Strategiechef Max Kownatzki. "Es haut mich um, wie gut das funktioniert." Und Norwegian-Chef Björn Kjos sagt voraus, dass seine Airline trotz starken Wachstums und Blockadeversuche durch SAS, Lufthansa, Air France, United, Delta und American im Langstreckengeschäft bereits jetzt profitabel fliegt. Die Etablierten wollen verhindern, dass Norwegian mit einer EU-Fluglizenz in die USA operieren kann. Norwegian will alle Langstreckenaktivitäten in einem EU-Flugbetrieb bündeln, der deutlich mehr Verkehrsrechte in Richtung Asien hätte als die Vereinbarungen des Nicht-EU-Landes Norwegens zulassen. Norwegian plant, die Langstreckenflotte massiv auszubauen. Derzeit fliegt die Airline mit elf Boeing 787, 2017 sollen noch einmal neun dazu kommen und 2018 weitere elf. Wie es dann für die Fluggesellschaft in Sachen Wachstum auf der Langstrecke weitergeht, hängt auch davon ab, wie lange noch die amerikanischen Behörden mit ihrer Genehmigung warten

Die neuen Konkurrenten kaufen neue Flugzeuge, große und kleinere

Kjos ist in jedem Fall davon überzeugt, dass das Konzept trotz der Widerstände nicht aufzuhalten ist. "Wir werden den gleichen Schaden anrichten wie auf der Kurzstrecke," prognostiziert er. Norwegian will neben Großraumjets auch kleine Boeing 737 oder den neuen Airbus A 321 LR (für Long Range) über den Nordatlantik fliegen lassen und damit auch kleinere Ziele ansteuern - dies würde die Drehkreuze der traditionellen Airlines weiter unterhöhlen. "Es entsteht ein Markt, der viel mehr auf Direktflüge ausgelegt ist", so Kjos. Auch WOW Air-Chef Skuli Mogensen, gerade zu Islands Unternehmer des Jahres gewählt, sieht ungeahnte Möglichkeiten: "Wenn wir weiter so wachsen, dann müssen wir neue Basen zusätzlich zu Reyjkjavik eröffnen," so Mogensen. Mit seiner A 330-Flotte könnte er sogar Ziele in Asien in sein Streckennetz aufnehmen.

Air France-Chef Janaillac will sich noch nicht festlegen, wie seine Fluggesellschaft auf die neue Bedrohung reagiert. "Das Problem ist, dass wir neue Konkurrenten haben, aber wie gehen wir mit denen um?", fragt er. Derzeit würden mehrere Szenarien durchgespielt. Aber selbst wenn sich Air France auf ein schlüssiges Konzept festlegt, ist nicht gesagt, dass dieses auch verfolgt werden kann. Die mächtigen Pilotengewerkschaften haben bislang ein stärkeres Wachstum von Transavia, des Billigablegers für Kurzstrecken, erfolgreich verhindert. Am 3. November will Janaillac weitere Einblicke in sein Konzept gewähren.

© SZ vom 22.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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