Fleischindustrie:Ausgebeutet auf dem Schlachthof

Sides of pork in cold store of a slaughterhouse model released Symbolfoto property released PUBLICAT

Die Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen sollen besser werden.

(Foto: imago/Westend61)
  • Die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie sind oft miserabel, sagen Experten. Am Donnerstag kündigten Abgeordnete überraschend an, die Missstände in deutschen Schlachthöfen einzudämmen.
  • Bereits in der Nacht zum Freitag wollten Union und SPD den Missbrauch von Werkverträgen per Gesetz stoppen und dabei auch die großen Schlachtkonzerne in die Pflicht nehmen.
  • Aus Sorge, dubiose wie einflussreiche Größen der Fleischindustrie könnten das Gesetz noch verhindern, war nur eine Handvoll Abgeordnete eingeweiht.

Von Markus Balser, Berlin

Tausende von ihnen arbeiten im Oldenburger Land und im Emsland. Sie kommen aus Polen, der Ukraine, aus Rumänien und Bulgarien. Sie arbeiten in Schlachthöfen, zerlegen im Akkord Schweine oder Rinder. Dank dieser Armee von Lohnarbeitern ist das reiche Deutschland zum Billigland für Schlachter geworden. Die Arbeitsbedingungen sind nach Ansicht von Experten dabei oft miserabel. Doppelschichten von bis zu 15 Stunden, überzogene Mieten für Massenunterkünfte, groteske Gebühren für Zeiterfassungschips, Schutzkleidung oder die Nutzung des Pausenraums. Als "Sklavenhaltermethoden" kritisiert das auch die Grünen-Bundestagsabgeordnete Beate Müller-Gemmeke.

Am Donnerstag kündigten Abgeordnete völlig überraschend an, die seit längerem bekannten Missstände in deutschen Schlachthöfen einzudämmen. Bereits in der Nacht zum Freitag wollten Union und SPD den Missbrauch von Werkverträgen per Gesetz stoppen und dabei auch die großen Schlachtkonzerne in die Pflicht nehmen. Die Beschäftigten stünden oft an letzter Stelle einer Kette von Subunternehmen, sagte der CDU-Arbeitsmarktexperte Karl Schiewerling in Berlin. Es herrschten undurchschaubare Verhältnisse bis hin zu kriminellen Machenschaften.

Das Gesetz sieht deshalb eine sogenannte Generalunternehmerhaftung vor: Zahlt ein Subunternehmer seinen Schlachtern weniger Lohn als ihnen zusteht, soll dafür künftig der Schlachthofbetreiber verantwortlich gemacht werden. Damit soll in der Verantwortung bleiben, wer Arbeit auslagert. Arbeitsmaterialien wie Schlachtermesser dürfen dann zudem nicht länger vom Lohn abgezogen werden. Darüber hinaus soll das Gesetz auch zu einer exakten Erfassung der Arbeitszeit führen und die Umgehung des Mindestlohns erschweren.

So bemerkenswert wie der Inhalt ist an diesem Gesetz aber auch sein Entstehen. Denn es ist das Ergebnis eines vertraulichen Zirkels von Abgeordneten um den Unions-Politiker Schiewerling. Aus Sorge, dubiose wie einflussreiche Größen der Fleischindustrie könnten mit ihrem Einfluss das Gesetz noch verhindern, handelte eine Handvoll Abgeordnete das Gesetz aus - selbst das Landwirtschaftsministerium blieb nach ersten Gesprächen außen vor. Um die Sache diskret zu beschleunigen, wurden die Paragrafen an ein ganz anderes Gesetz im sogenannten Omnibusverfahren angehängt. Von der Furcht vor einflussreichen Gegnern ist die Rede, die man lieber nicht zu früh auf den Plan rufen wolle. "Wir wissen, dass die Unternehmen großen Einfluss haben. Wir wissen auch, dass hier dubiose Kräfte am Werk sind", sagt ein Beteiligter. "Wir wollten sicher gehen, dass der Schutz der Beschäftigten nicht mehr aufgeweicht wird."

Schon seit Herbst 2016 sollte mit Machenschaften eigentlich Schluss sein. Denn die Fleischindustrie hatte in einer freiwilligen Selbstverpflichtung angekündigt, Sozialdumping - etwa die Praxis, osteuropäische Arbeiter nach deren Heimatrecht und mit dortigen Sozialabgaben zu beschäftigen - bis dahin auszumerzen.

Zwar haben Unternehmen tatsächlich Tausende Mitarbeiter aus dem Ausland mit deutschen Arbeitsverträgen ausgestattet. Einige Unternehmen wie der niederländische Vion-Konzern bemühen sich um Besserung. Doch die Unterzeichner stehen nicht einmal für die Hälfte der Jobs in der Fleischindustrie.

Gewerkschaften beklagen, dass noch immer ein Großteil der Branche mit dubiosen Mitteln arbeitet. Überstunden würden teilweise nicht berücksichtigt, warnt der Deutsche Gewerkschaftsbund. Vom Lohn von 8,75 pro Stunde würden teilweise unerklärliche Posten für angebliche Vergehen am Arbeitsplatz abgezogen. "Am Ende bleibt oft nur ein Stundensatz weit unter dem Mindestlohn", sagt auch Matthias Brümmer, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung Genuss, Gaststätten in der Region Oldenburg/Ostfriesland.

Hilfsorganisationen sagen: Wer länger krank ist, verliert seinen Job

"In diesem Industriezweig wird ein gnadenloser Konkurrenzkampf ausgetragen - und zwar ausschließlich auf dem Rücken der Beschäftigten", sagt die Grünen-Abgeordnete Müller-Gemmeke. Wer länger krank sei, müsse damit rechnen, seinen Job zu verlieren, heißt es bei einer Hilfsorganisation für osteuropäische Arbeiter. In manchem Subunternehmen der Branche herrschten "mafiöse Strukturen". Die Arbeitsbedingungen in der deutschen "Fleischindustrie sind nach wie vor nicht zu akzeptieren", sagt auch Annelie Buntenbach, Mitglied des Geschäftsführenden Bundesvorstandes des Deutschen Gewerkschaftsbundes.

Beim DGB-Projekt "Faire Mobilität", das Beschäftigte in der Fleischindustrie berät, liefen immer neue Klagen auf, sagt Dominique John vom Berliner Büro des Gewerkschaftsbundes. So habe sich ein bulgarischer Arbeiter im Juni 2016 mit einer Kettensäge verletzt. Ärztliche Hilfe sei ihm nicht vermittelt worden. Erst nach Protesten der Organisation sei der Unfall offiziell gemeldet worden.

Politiker Schiewerling weiß, dass es ein schwerer Kampf ist. "Durch den besonderen Hygieneaufwand in der Fleischindustrie sind Arbeitsschutzvorschriften oft schwer zu kontrollieren", sagt Schiewerling. "Mitarbeiter sind mit Werkverträgen über Subunternehmer beschäftigt, die über verschachtelte Vertragskonstellationen mit Briefkastenfirmen im Ausland laufen." Werkvertragsunternehmer könnten sich so der Verantwortung etwa für die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen entziehen. Diesen Missbrauch wolle man nun verhindern.

Die Beteiligten allerdings wissen, dass dies wohl nicht vollends gelingt. "Diese Gesetzesänderung", sagt einer, "kann nur ein Anfang sein."

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