Finanzberatung:Diese Technologie soll die Bankfiliale retten

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Ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht ist vielen Bankkunden wichtig. Dank einer neuen Technologie können Service-Mitarbeiter das nun auch aus der Ferne führen. (Foto: oh)
  • Eine Bank im Allgäu hat einen Video-Service erfunden, der den klassischen Bankschalter ersetzen soll.
  • Sobald ein Kunde vor den hochkantigen Bildschirm tritt, taucht darauf eine Bankberaterin auf und beantwortet Finanzfragen - live und in Lebensgröße.
  • Immer mehr Filialen wollen die Technologie nutzen. Vielen kleineren Bankfilialen droht die Schließung, weil sie nicht rentabel sind und zu selten genutzt werden.

Von Harald Freiberger, Marktoberdorf

Im Sommer 2015 machten die Eltern von Florian Hutter Urlaub in Dubai. Als er sie vom Münchner Flughafen abholte, sah er etwas, das sein Interesse weckte: einen großen Bildschirm im Hochformat, darauf eine junge Frau, live und in Lebensgröße. Sie unterhielt sich gerade mit einem Fluggast, der davorstand.

"Ich dachte mir gleich, vielleicht ist das die Lösung für ein Problem, das mir schon länger im Kopf umging", sagt Hutter. Er leitet das Prozessmanagement bei der VR-Bank Kaufbeuren-Ostallgäu. Es ist ein Problem, das alle Sparkassen, Volks- und Raiffeisenbanken beschäftigt: Ihre Kunden erledigen Bankgeschäfte zunehmend per Smartphone oder Computer und kommen kaum mehr in die Filiale. Es lohnt sich immer weniger, kleine Zweigstellen zu unterhalten. Tausende Niederlassungen wurden deswegen in den vergangenen Jahren in Deutschland geschlossen.

Wenn sich die Regionalbanken aber aus der Fläche zurückziehen, berauben sie sich ihrer eigentlichen Stärke, der Präsenz in der Fläche. Es ist ein klassisches Dilemma, für das Prozessmanager Hutter eine Lösung suchte: Wie kann seine Bank nahe an den Kunden bleiben, ohne dass es für sie zu teuer wird? Gibt es eine Alternative dazu, Filialen zu schließen?

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Hutter sitzt mit seinem Chef, Vorstand Christoph Huber, und seiner Kollegin Martina Saulich, der Leiterin des Kundenservicecenters, in der Filiale Marktoberdorf an einem Tisch, um zu erläutern, wie es nach dem Erlebnis am Flughafen weiterging. Der Bildschirm, den er vor drei Jahren sah, ist eine Entwicklung von InfoGate Systems, der Technik-Tochter des Münchner Flughafens. "Der Flughafen hatte ein ähnliches Bedürfnis wie wir", sagt Hutter. Er muss Kunden auf seinem weitläufigen Gelände persönlichen Service anbieten, der nicht zu personalintensiv ist. Also entwickelte InfoGate die großen, hochkantigen Bildschirme, auf denen eine Mitarbeiterin live und in Lebensgröße zu sehen ist. 2011 führte der Flughafen die Geräte ein, inzwischen gibt es 50 davon. Der Vorteil: Er braucht nicht 50 Service-Kräfte, es reichen einige wenige in einem zentralen Raum, die gefilmt werden und sich auf den jeweiligen Bildschirm schalten, wenn ein Kunde davorsteht.

Hutter hatte die Idee, dieses System auf seine Bank zu übertragen. Er machte sich zusammen mit InfoGate an die Arbeit. Zwei Jahre später war er fertig. Seit gut einem Jahr gibt es nun den Video-Service der VR-Bank Kaufbeuren-Ostallgäu, und wie es aussieht, hat sie damit ins Schwarze getroffen. Sie erhielt mehrere Innovationspreise dafür, erste Institute haben das System schon übernommen.

"Ein 100-prozentiges Pendant zum Schalter"

Unten, im Selbstbedienungsbereich der Filiale Marktoberdorf, ist die Neuerung zu besichtigen. Neben den Geldautomaten gibt es eine offene Tür, die in den Videoraum führt. Kundenservice-Leiterin Martina Saulich spielt den Kunden und führt vor, wie das System funktioniert. In dem Raum steht der große, hochkantige Bildschirm. Sobald Saulich sich ihm nähert, taucht darauf, durch einen Bewegungssensor aktiviert, eine junge Frau auf, live und in Lebensgröße. Es ist Kerstin Mayr, sie sitzt 30 Kilometer entfernt im Kundenservicecenter der Bank in Pfronten und sagt: "Guten Tag, wenn Sie wollen, kann ich die Tür hinter Ihnen schließen." Sie macht es und fragt: "Was kann ich für Sie tun?"

"Ich möchte zum Nikolaus fünf Euro an meine Tochter überweisen", sagt Saulich. Mayr fragt nach Kontonummer und PIN, füllt die Überweisung auf ihrer Tastatur aus und schickt sie weg. "Kann ich noch was für Sie tun"?, fragt sie. Saulich will noch einen Termin mit dem Anlageberater vereinbaren. "Passt Ihnen nächsten Montag um 14 Uhr?", fragt Mayr. Der Termin passt, danke und auf Wiedersehen.

"Unser Anspruch war es, ein 100-prozentiges Pendant zum Schalter zu schaffen, es soll dasselbe Gefühl sein", sagt Vorstand Christoph Huber. Video-Systeme anderer Banken, zum Beispiel über Skype, überzeugten ihn nicht, sie sind zu kompliziert, zu distanziert. "Bei uns hat der Kunde mit der Technik nichts zu tun, alles wird vom Servicecenter aus gesteuert."

Die Basis der Technik sind zwei Kameras. Eine filmt den Kunden frontal, damit die Bank-Mitarbeiterin in Pfronten ihn auf ihrem Bildschirm sieht. Die andere ist über ihm eingebaut und filmt den Tisch. So kann der Kunde ein Dokument darauf legen, die Mitarbeiterin die Kamera heranzoomen und das Dokument lesen. Es gibt auch ein Glasfeld, auf dem der Kunde digital unterschreiben kann.

In Pfronten sitzt Kerstin Mayr mit 15 Kolleginnen im Kundenservicecenter. Bisher war es dazu da, Kundenfragen am Telefon oder online zu beantworten. Neuerdings gibt es auch zwei Video-Arbeitsplätze. Fünf der Mitarbeiterinnen wurden speziell dafür geschult. "Wir haben dabei viele Videos gedreht, mit persönlichem Feedback, es geht darum, dass man sich vor der Kamera mag", erzählt Mayr. Auch Schminktipps habe es gegeben, "es soll nicht knallbunt sein, aber ohne Lippenstift käme man ein bisschen blass rüber". Das Wichtigste sei, dass man immer Blickkontakt zum Kunden halte und freundlich schaue, "nicht matt oder grantig". Mayr trägt Einheitskleidung, weiße Bluse, dunkelblauen Blazer und sitzt vor drei Bildschirmen. Oben sieht sie den Kunden, wie er vor dem Video-Service steht, unten ist sie auf zwei Schirmen mit Banksystem und Kundenmanagement verbunden. Sie hat Zugriff auf alle Daten.

Am häufigsten beantwortet Mayr Fragen von Kunden rund um das Girokonto, sie schreibt Überweisungen, ändert Dauer- oder Freistellungsaufträge. Es ist der klassische Service, der am Schalter angeboten wird - nur dass es dafür keinen Schalter mehr braucht. Für schwierigere Themen, etwa Baufinanzierung oder Geldanlage, lässt sich ein Termin mit dem Berater in der Filiale vereinbaren.

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In vier Orten bietet die Bank den Video-Service inzwischen an. Demnächst kommen vier weitere hinzu. Die Erfahrungen sind positiv. Ein Vorteil ist, dass Kunden den Service wochentags von 8 bis 18 Uhr nutzen können. In kleineren Filialen werden die Öffnungszeiten dagegen immer kürzer. Manche sind nur noch vormittags oder an zwei Tagen die Woche erreichbar.

Offensichtlich ist die Allgäuer VR-Bank mit ihrer Erfindung dabei, eine Marktlücke zu schließen. Fast jede Woche führt Hutter das System vor, es kommen Delegationen von Banken aus dem gesamten Bundesgebiet, selbst aus der Schweiz. Ein Institut, das die Neuerung im großen Stil einführt, ist die VR-Bank Würzburg. Sie fing vor einem halben Jahr mit den Terminals in vier Zweigstellen an. 2019 stockt sie um weitere sieben Geräte auf. Dann ist fast jede dritte ihrer 38 Filialen mit dem Video-Service ausgestattet. "Viele Kunden finden es gut, vor allem auch junge", sagt Marketingleiter Helmut Heitzer. Er hofft dadurch auch auf neue Kunden.

Auf Dauer spare man sogar Geld, so Vorstand Hueber

Die Kaufbeurer VR-Bank berät andere Institute gegen ein Honorar, sie beschafft die Geräte, die InfoGate produzieren lässt. Ein Terminal kostet 40 000 Euro, die Investition im Kundencenter 10 000 Euro pro Arbeitsplatz. "Das scheint hoch zu sein, aber auf die Dauer spart man Geld, weil die laufenden Kosten gering sind, ein Mitarbeiter kostet dagegen 50 000 Euro im Jahr", sagt Vorstand Huber. Genau das ist aber ein sensibler Punkt. "Wir haben uns bewusst gemacht, dass bei Mitarbeitern Ängste hochkommen können, dass ihr Arbeitsplatz wegfällt." Deshalb sei nicht jeder hundertprozentig dafür gewesen.

Für den Vorstand ist es ein Schritt in die Zukunft: "Das Banking wird immer digitaler, wir wollen dabei vorangehen", sagt er. Grundsätzlich müsse derzeit jede Bank ihr Geschäftsmodell überdenken. Das Video-Terminal sei kein Angriff auf das Bankgeschäft, vielmehr solle davon das Signal ausgehen: "Wir sind weiter für die Region da, wir ziehen uns nicht zurück."

Die VR-Bank befragte 600 ihrer Kunden, wie sie die Innovation finden. Die meisten gaben ihr die Schulnote "gut". Manche müssen sich aber noch daran gewöhnen. Ein Kunde sagte, als sich die Service-Mitarbeiterin am Terminal aufschaltete: "Oh, Sie sind ja ein echter Mensch, ich dachte, das wäre eine Animation." Und ein Kind erschrak, als es den Sensor auslöste und eine Frau live und in Lebensgröße auf dem Bildschirm erschien.

© SZ vom 05.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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