Fahrverbote:Das müssen Diesel-Fahrer wissen

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Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen verhandelt über Diesel-Fahrverbote im Ruhrgebiet. Anlass sind Klagen der Deutschen Umwelthilfe. (Foto: Marcel Kusch/dpa)

In Gelsenkirchen entscheidet ein Gericht über weitere Diesel-Fahrverbote. Wo gelten schon solche Verbote und wer kontrolliert sie?

Von Benedikt Müller, Düsseldorf, Markus Balser und Michael Bauchmüller, Berlin

In immer mehr deutschen Städten drohen Fahrverbote für ältere Dieselautos. Bereits an diesem Donnerstag könnten Richter sie auch erstmals im Ruhrgebiet verlangen. "Bei den Bürgern gibt es Verunsicherung und Panik wegen ihrer eigenen individuellen Mobilität", sagte Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) der Süddeutschen Zeitung. Es sei die Aufgabe der Politik, weitere Sperren zu vermeiden. Was erwartet Autofahrer? Und kann der Staat ihnen wirklich helfen? Die SZ beantwortet die wichtigsten Fragen.

Was droht nun im Ruhrgebiet?

Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen entscheidet, ob Essen und Gelsenkirchen Fahrverbote für ältere Diesel einführen müssen. Beide Ruhrmetropolen zählen zu den 35 Städten mit den höchsten Stickoxidwerten in Deutschland. So liegt die Belastung mit Stickstoffdioxid (NO₂) in Essen an fünf Messstationen über dem zulässigen Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Auch in Gelsenkirchen war die Luft im vorigen Jahr an einer Messstelle schlechter als erlaubt. Deshalb hat die Deutsche Umwelthilfe das Land Nordrhein-Westfalen verklagt. Neben Dieselfahrzeugen tragen etwa auch Industrieabgase und Heizungen zur Stickoxidbelastung bei.

Ein Fahrverbot träfe in Essen etwa 25 000 Dieselautos der Abgasnorm Euro 4; zudem sind dort etwa 27 000 Euro-5-Fahrzeuge zugelassen. Die Stadt will Fahrverbote verhindern: Sie rüstet Busse um und baut Fahrradwege. Zudem wirbt die Bezirksregierung Düsseldorf dafür, dass Unternehmen ihren Beschäftigten Tickets für den öffentlichen Nahverkehr bereitstellen und ihre Fuhrparks umstellen sollten.

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Was sind das eigentlich für Grenzwerte?

In der EU darf die Luft seit 2010 höchstens 40 Mikrogramm Stickoxid pro Kubikmeter enthalten. "Das Kind liegt schon seit neun Jahren im Brunnen", sagte Verwaltungsrichter Michael Huschens kürzlich bei der Verhandlung in Köln. Nach Untersuchungen des Umweltbundesamtes lassen sich jährlich 6000 vorzeitige Todesfälle der hohen NO₂-Konzentration zuordnen, etwa durch Diabetes, Bluthochdruck oder chronische Lungenerkrankung. Das Problem hat sich dadurch verschärft, dass viele Autos weit mehr NO₂ ausstoßen, als sie dürfen. Die Hersteller hatten die Motoren für das Prüflabor optimiert, nicht für die Straße.

Welche Fahrverbote gibt es schon?

Hamburg hat bereits im Juni eine Straße für Autos gesperrt, die nicht die neueste Abgasnorm Euro 6 erfüllen. In Köln dürfen Fahrzeuge der Klasse Euro 4 und älter von April an weite Teile der Stadt nicht mehr befahren. Das Land Nordrhein-Westfalen hat Berufung eingelegt, weil das Gerichtsurteil unverhältnismäßig in den Verkehr eingreife. Stuttgart muss Euro-4-Fahrzeuge bereits von Anfang 2019 an aus dem Stadtgebiet aussperren. Auch in Frankfurt werden alte Dieselautos von Februar an wohl nicht mehr den Bereich innerhalb des Autobahnrings befahren dürfen, sollten die derzeit gemessenen Stickoxidwerte bis dahin nicht deutlich sinken. Diese strengen Verbote sollen von September 2019 an auch für jüngere Euro-5-Fahrzeuge gelten.

Wo drohen Sperren einzelner Straßen?

Bonn muss im April 2019 zwei Straßen für ältere Diesel sperren. In Berlin dürfen Fahrzeuge der Klasse Euro 5 und älter von Juli an elf besonders belastete Abschnitte nicht mehr befahren. Auch Bayern muss den Luftreinhalteplan für München derart überarbeiten, dass dieser Fahrverbote in bestimmten Straßen enthält. Zudem drohen in Aachen und Mainz im nächsten Jahr Fahrverbote, falls die Städte nicht vorher noch Erfolge für sauberere Luft vorweisen. Insgesamt führt die Deutsche Umwelthilfe derzeit Klageverfahren in 29 Städten bundesweit. Und der Verein will noch in diesem Monat weitere Klagen einreichen.

Was unternimmt die Bundesregierung?

Lange Zeit hat sie nur zugeschaut. Bei einem Spitzentreffen Anfang Oktober beschloss die Koalition eine Akut-Lösung für die 14 am stärksten betroffenen Städte. Das sind jene Städte, in denen die NO₂-Konzentration über 50 Mikrogramm liegt. Hier soll es Kaufprämien und Nachrüstungen geben. In den anderen Städten will der Bund per Gesetz Fahrverbote ausschließen. Diesen Donnerstag befasst sich das Kabinett damit.

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Kann die Regierung überhaupt mit einem Gesetz gegen Fahrverbote vorgehen?

Der Bund beruft sich auf die (Un-)Verhältnismäßigkeit von Fahrverboten. Demnach sei in Städten, die den Grenzwert nur um bis zu zehn Mikrogramm überschreiten, auf kurz oder lang mit der Einhaltung der Vorgaben zu rechnen. "In der Regel" kämen Fahrverbote deshalb nur jenseits der 50 Mikrogramm in Betracht. Dort wiederum schreibt das Gesetz nun auch Ausnahmen von Fahrverboten fest: So bleiben Handwerker- und Lieferfahrzeuge ausgenommen, wenn sie sich nachrüsten lassen, ebenso Busse oder Müllautos. Autos der Euro-Norm 6 bleiben ausgenommen, und selbst Lastwagen der neuesten Euro-Norm VI müssen ein Fahrverbot nicht fürchten, sofern die Kommune nichts anderes bestimmt. Auch Krankenwagen, Polizei und Feuerwehr genießen Ausnahmen.

Rüsten die Autohersteller denn nach?

Die deutschen Hersteller gaben sich zuletzt sehr zugeknöpft. Vorige Woche hat Verkehrsminister Andreas Scheuer mit den Herstellern nun eine "Mobilitätsgarantie" ausgehandelt. Demnach will Daimler die Kosten einer Nachrüstung für ältere Diesel der Abgasnorm Euro 5 bis 3000 Euro voll tragen. VW kündigte ebenfalls einen Beitrag von bis zu 3000 Euro für die Nachrüstung an. BMW lehnt die Nachrüstlösung ab, will aber ebenfalls mit 3000 Euro helfen, Betroffene mobil zu halten.

Wann könnte die Nachrüstung starten?

Das ist noch offen. Nach Einschätzung von Politik und Unternehmen wird das frühestens 2020 möglich sein. Da Fahrverbote aber bereits 2019 greifen sollen, lässt sich Stillstand so kaum verhindern. Zudem muss die Regierung noch sicherstellen, dass die nachgerüsteten Euro-5-Autos dann auch wirklich von Fahrverboten ausgenommen werden. Dies soll nun ebenfalls das Fahrverbots-Gesetz regeln: Danach können Euro-4- und Euro-5-Autos von Fahrverboten verschont bleiben, wenn sie nach einer Nachrüstung nicht mehr als 270 Milligramm Stickoxide je Kilometer ausstoßen. Derzeit ist es bei vielen Modellen ein Vielfaches davon.

Lassen sich Fahrverbote kontrollieren?

Bislang gibt es kein System, mit dem Dieselsünder bei Kontrollen leicht zu erkennen wären, etwa eine Plakette für saubere Fahrzeuge. Die Polizei bezweifelt deshalb, dass Fahrverbote wirksam kontrolliert werden können. "Wer glaubt, dass wir dauerhaft solche Verbote durchsetzen können, der irrt", sagt Arnold Plickert vom Vorstand der Gewerkschaft der Polizei. Allenfalls Stichproben seien denkbar. Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, warnt vor fehlendem Personal. "Wir haben keine Hundertschaften im Keller, die nur auf neue Aufgaben warten." Verbotszonen seien nicht kontrollierbar.

Doch bei streckenbezogenen Fahrverboten drohen selbst dann Probleme, wenn sich alle daran halten: Der Verkehr verlagert sich auf Ausweichstrecken - und vermiest dann dort die Luft.

© SZ vom 15.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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